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Neuntes Kapitel: Adam 4#

Die Zeit Adams#

Endlich! Der lange Gang liegt hinter mir
Endlich! Der lange Gang liegt hinter mir - ich stehe im Freien, 1992

Nach der Begegnung im Labyrinth, in dessen Zentrum die endliche Vereinigung seiner drei Schicksalsfiguren mit ihm selbst stattfindet, ist Adam nun endlich allein und er selbst. Er hat alle seine existentiellen Tendenzen wie in einem Parallelogramm zu einer Resolution gebündelt und ist frei: er geht als ganzer Mensch aus dem Labyrinth hervor. Die Serie der letzten Adam-Bilder, die Hausner nach dem Labyrinth gemalt hat, bildet einen eigenen Zyklus und vielleicht den Höhepunkt im gesamten Schaffen Hausners. Das Erkennen, daß es sich bei diesen letzten Adam-Bildern um eine ganz eigene Art von Serie handelt, daß sich unter ihnen eine Beziehung und eine Verbindung ergibt und daß die Einzelbilder sich schließlich zu einer Figuration umformen, zeigt sich, wie erwähnt, im nachhinein. Die Anverwand-lung und die Annäherung an eine Lösung.

Endlich! Der lange Gang liegt hinterm mir
Endlich! Der lange Gang liegt hinter mir - ich stehe im Freien, 1992, Ausschnitt

Hausner hat diese Bilder nicht als eine Serie geplant, er hat auch keinen eigenen Zyklus schaffen wollen. Aber er hat es, aus heutiger Sicht, dennoch getan. Diese Bilder sind außerdem nicht nacheinander entstanden, sondern sie sind in einer losen Abfolge zwischen anderen, die zur gleichen Zeit entstanden sind, gemalt worden. Die Sicht von heute aus und unter der Perspektive des Gesamtwerkes von Hausner weist ihr eine besondere Stellung zu. Sie bildet das letzte Glied in einer vorläufigen Reihe als Ergebnis der Zentrierung und Fokussierung. Aus dem Gesamtschaffen von Hausner, das zeigen diese Bilder in unvergleichlicher Weise, kristallisiert sich nach vielen anderen Versuchen, nach vielen Wegen, nach dem Suchen, nach dem Finden von Inhalten unterschiedlicher Art, eine Zentrierung auf das Gesicht von Adam heraus. Diese Gestalt nimmt, das wird heute deutlich, eine Sonderstellung im Rahmen von Hausners Malerei ein. Dabei enthüllt sich, daß aus Sicht dieser Serie letzter Adam-Bilder die gesamte Malerei Hausners eigentlich nur als auf diese hin angelegt erscheint. Alles andere sind Umkreisungen, Annäherungen und Anverwandlungen an das Eigentliche, Wesentliche der Hausnerschen Malerei: die Ergründung des Adam, dadurch die Erschaffung eines Menschenbildes, eines Bildes einer Epoche. Schließlich die Formung einer Ikone, welche einer Zeit ihren Ausdruck eingegraben und die durch seine Malerei Gestalt angenommen hat.

Adam introspektiv
Adam introspektiv, 1992

Diese Einsicht unternimmt den Versuch, das Besondere an dieser Malerei herauszufiltern, das sich, aus einer heutigen Sicht mehr als je zuvor, nicht nur dem wissenschaftlichen, sondern jedem Betrachter aufdrängt: die Persistenz, das Insistieren auf dieser zeitgenössischen Gestalt des Adam. Es meint dies eine Sichtweise, die vom Maler selber, wenn überhaupt, dann nur teilweise geteilt werden mag. Hausners übrige Bilder als eine Annäherung an diese einzige Gestalt bezeichnen zu wollen, wird vom Maler sicherlich in dieser Art Aussage, in dieser wörtlichen und kognitiven Behauptung, wenn, nur zum Teil oder gar nicht geteilt werden. Aber einem Beobachter von außen, einem zeitweiligen Begleiter der letzten Jahre, und vor allem dem Blick eines Erforschers von künstlerischen und psychischen Strukturen, ergibt sich dieses Bild zwangsweise: nämlich das Hinarbeiten, das Sichzuspitzen, das Einengen, das Einkreisen eines einzigen Themas: Adam.

In der Malerei selber entziffert sich das Besondere an diesen letzten Adam-Bildern. Sie sind in ihrer Art singulär in Farbe und Form. Sie stellen sich vor mit einer Leuchtkraft, die sich auf einer besonderen Art von Malerei gründet, die nicht so sehr auf die Farbwirkung der reflektierten Lichtwellen sowie der jeweiligen Beleuchtung setzt. Durch das polychrome Gewebe der Strich- und Punktlagen wird die Farbmaterie in Schwingung versetzt. In jahrzehntelanger Untersuchung und einem halben Jahrhundert angewandter Methode entsteht die unvergleichlich eindrückliche Gestaltung der »menschlichen Oberfläche«, nämlich der Haut. Das ist exakt das, was Hausners Malerei vorrangig, hautnah ausmacht. Es ist nicht so sehr die Bekleidung, es ist nicht in erster Linie die Natur, es sind nicht die Gegenstände, sondern es ist immer wieder die Haut des Gesichts, des Körpers, vor allem der Hände, die bei seinen Gestalten Adam, Eva und Narrenhut deren Ausstrahlung erzeugen. In diesen letzten Bildern scheint dieses Charisma der Oberfläche wie von einer Quelle von Licht und Energie, wie von rückwärts, wie hinter dem Malgrund angebracht, herzurühren. Die Anverwandlung dieses Lichts an den Betrachter vollzieht sich komplementär wie über »dissipative Strukturen« an elektromagnetischen Schwingungsprozessen. (Jantsch, E. Die Selbstorganisation des Universums. Vom Urknall zum menschlichen Geist. 2. Aufl. München, 1992)

Adam introspektiv
Adam introspektiv, 1992, Ausschnitt

Ein anderes, äußerlich erkennbares Merkmal dieser letzten Bilder liegt darin, daß alle sonstigen Attribute, Dinge, Objekte, Mitpersonen, Mitspieler, Vorder-, Hintergrund, Natur oder Stadt zurücktreten oder verschwunden sind. Es ist nichts mehr zu sehen als das, was durch das Wegfallen der Akzidentien erst als das Wesentliche in Erscheinung tritt, nämlich das Gesicht eines Menschen, nicht mehr und nicht weniger. Gerade aber durch das Wegfallen von »intervenierenden Variablen« im Rahmen solcher Experimente, solcher Versuchsanordnungen, vollzieht sich unwillkürlich ein Hinbewegen auf das eigentliche, auf das »letzte« Experiment: die Existenz eines Individuums. Das ist dasjenige, was diese Bilder untereinander an Essenz verbindet.

In dieser Eigenschaft reiht sich diese Bilderkette ein in den Kanon der europäischen Portraits im Alterswerk großer Maler. Sie gemahnt an Bildnisse wie die Zeichnung Dürers von seiner alten Mutter oder das Portrait der Mutter von Rembrandt oder dessen Selbstportraits im Alter oder Tizians späte Bildwerke. In allen herrscht eine besondere, beinahe starre Sichtweise sowie ein Zurückblicken des Dargestellten; auch so etwas wie eine Leere, eine durch die lebenslange Erfahrung hindurchgegangene Beschränkung auf das Wesentliche, auf die Vorbereitung, auf die letzte große Prüfung. Auch auf die Wahrheit? »Das Wahre gibt es nicht, es gibt nur verschiedene Arten des Sehens« gibt Gustave Flaubert in einem Brief (2.2.1880) zu bedenken. Solche Portraits mögen für den flüchtigen Zeitgenossen wenig oder nichts aussagen; sie sind in ihrer Leere vielleicht sogar beunruhigend.

Adam introspektiv
Adam introspektiv, 1992, Ausschnitt

Der mediengewohnte, umherflatternde Blick des Zeitgenossen wird sich wohl eher an dem »Leonardo«-Zyklus erfreuen. Aber in Kenntnis dieses vorbereitenden Werkes, in Kenntnis auch der Früh- und der Reifewerke des Rudolf Hausner, ist es gerade die Faszination, die durch das Wegfallen, das Weglassen, durch die Aussparungen entsteht.

Das durch die Leere erst sichtbar Gewordene - der unverrückbare Blick Adams, der in Farben sinnlich vibrierende Mund, die Partie um Mund und Kinn, die unverkennbar identifizierbare Nase, die weit ausladenden Backen, die ziselierten Ohren, die auffallend niedrige Stirn mit der sie kompensierend erhöhenden Kopfbedeckung all dies tritt deutlich ins Blickfeld - und nahe an den Betrachter heran. Er kann sich dieser direkten, unmittelbaren Fokussierung, dieses Selberangeschautwerdens nicht erwehren, indem er ausweicht auf Details, die in früheren Bildern diesen treffenden Blick, diesen prägnanten Kopf, dieses forschende Gegenübertreten begleitet haben.

Stellt sich jedoch der Betrachter diesem ihn selber fixierenden Blick der späten Adam-Köpfe, dann gewinnt er sowohl neue Einsichten in diesen als auch in sich selbst. Er erwirbt latent Sympathie mit jemandem, der ein halbes Jahrhundert lang seiner Zeit seine Augen geliehen hat. Er gewinnt die Erkenntnis, daß es sich hierbei zwar um einen gewöhnlichen Menschen handelt, aber dennoch auch um einen erfahrenen, einen tiefsinnigen sowie um einen sehr komplexen Charakter: eben um eine multiple Persönlichkeit. Er nimmt teil an der Erfahrung, wie dieser Adam durch die Zeit mit vielerlei Arten von Erkenntnis hervorgegangen ist. Ihm fällt schließlich die Einsicht zu, daß es bei Adam um einen Zeitgenossen geht, um einen, der seine Zeit begleitet hat. Gleichzeitig findet er aber auch Einsicht in sich selber insofern, als er durch die Wahrnehmung der Entwicklung Adams eine Reflexion der eigenen Entwicklung gewinnt. Er wird an seine eigene Zeit gemahnt, er wird der Zeit ansichtig, da er die Zeit in der Malerei wahrnimmt. Der Akt des Malens wie der Impetus der Malerei dieser späten Serie sind in ihrer Substanz so angelegt, daß die Spektralprismen früherer Arbeiten zurücktreten. Was bleibt: der Pfeil der Zeit, die unumkehrbare Ausrichtung menschlichen Lebens.

»Im Freien«#

Adam mit roter Kappe
Adam mit roter Kappe, 1992

Schon die Abfolge, die Folgerichtigkeit dieser Serie in ihren einzelnen Bildern ist in vielfältiger Weise aufschlußreich. Man denke hier wiederum an die erwähnte mögliche Versuchsanordnung, diesmal filmischer Natur, in der durch Überblendungen der Adam-Kopf in der Mitte plaziert ist, um diesen herum kreisen die unterschiedlich farblichen Hintergründe. Der Blick des Betrachters gerät in einen Sog und schraubt sich ein in das dargestellte Gesicht. So in Adam introspektiv (1992). Es ist eine der Varianten der anamorphotischen Köpfe Adams, eine länglich in die Breite gezogene Kopfform, geschlossene Augen, breit aufgefächerter Mund, wulstige Nase wie ein flachgelegtes Oval. Dieser plattgedrückt erscheinende Kopf gewinnt durch die Verzerrung an Intensität. Er schaut in sich selbst hinein. Dieser Adam sitzt vor einer typisch Hausnerschen Erfindung: einem Himmel, der sich farblich von den dunklen bis in die hellen Spektralfarben stufenlos ausspannt. Dadurch entsteht eine räumliche Tiefe, die übergeht in die bleierne Oberfläche eines dumpf stillen Meeres.

Die weitere Faszination dieses Bildes ist angelegt in dem Oberkörper, von dem aus sich überlange Arme dem Betrachter entgegenstrecken, aufgestützt auf einer leeren, grauen Tischplatte. Sonst ist nichts zu sehen. Die einzige Tätigkeit dieses Menschen besteht darin, seine Hände ineinanderzulegen. Der Sog der Betrachtung zielt gerade auf die Hände.

Hausner ist ein Virtuose im Malen dieses schwierigen Sujets. Der Blick wird weiterhin gebannt und gelenkt über die absolute Prägnanz hinweg, z.B. der detailliert gemeißelten Hautfalten, ihrer Pigmentierung, der Formung des Volumens der Hände. Sie sind das Sprechendste am ganzen Bild, über dem im übrigen eine Atmosphäre von Zeitlastigkeit liegt. (Vgl. Adam Artist, 1991). Der Titel »Introspektiv« verweist darauf, daß es sich insgesamt, wie schon erwähnt, bei Hausner weniger um einen realistischen als viel eher um einen introspektiven Maler handelt.

Ein anderes Bild aus diesem Strom malerischen Bewußtseins: Vor dem großen Tor (1992). Es zeigt, wieder ein Novum, nicht nur Adam, sondern jemanden, in den das Selbst-portrait Hausners als alter Mann in Adam aufgeht. Ein Mann postiert im unteren Drittel der Mitte eines großen, breitformatigen Bildes. Das packend Neuartige an diesem Bild besteht darin, daß es außer um eine Kombination von Adam mit dem Selbstportrait um die Malerei selbst geht. Die Gestalt ist farblich angedeuteter, hingewehter als in der üblichen Hausnerschen Malerei detailliert erarbeitet. Die typische Detaillierung erstreckt sich dagegen auf die Malerei der übergroßen Backsteinmauer, die vom Vordergrund ausgehend als eine Röhre in einen Abgrund des Bildhintergrundes mündet, der eine Fläche von sich entfaltender Dunkelheit bildet. Hinter der Gestalt, hinter Adam-Hausner öffnet sich ein schwarzes Loch. Anfang, Ende oder was immer.

Vor dem großen Tor
Vor dem großen Tor, 1992

Das Trapez dieser Mauer steht, und das macht sie auffallend, wieder vor einem gleißend hellen Himmel, wie vor dem Prospekt eines Bühnenbildes. Das Format dieses Bildes sowie der Mauer erhöht und überdimensioniert die Aussage: die Gestalt des dadurch verkleinerten, verschwindenden alten Mannes, der allein ist, der von einer Reise kommt oder sich allein auf eine mit offenem Ende zu begeben anschickt. Es ist eine Umkehrfigur zu bestaunen, zwischen Selbstportrait und Idealisierung, zwischen Erfahrung und Typisierung, zwischen Ich und Adam, zwischen Selbst und dem Betrachter.

Das stillste und eindrücklichste Bild dieser letzten Adam-Serie ist betitelt: Endlich! Der lange Gang liegt hinter mir - ich stehe im Freien (1992). Dieses Verhältnis zu dem eher kleinen Bild, versehen mit diesem langen Titel, ist insofern einzigartig, da es in einer für Hausner unüblichen Art fast nur in weiß gemalt ist. Das Bild einer nüchtern, steril aseptischen Situation und einer Grenzerfahrung. Man wird an eine Intensivstation erinnert, auf der sich ein einsamer Patient befindet. Dieser Adam ist mit einem Kittel behängt und steckt mit der weißen Kopfbedeckung wie in einer Verkleidung, es herrscht eine kühle Stimmung. Es ist eines der subtilsten Bilder, da auch hier der Effekt in dem Nichteffekt besteht. Das virtuose Können, das farbenreiche Spektrum der Hausnerschen Malerei sind hier plötzlich nicht mehr vordergründig vorhanden. Dennoch ist die Gestaltung des Weiß in sich von einer Brillanz, die aus sich heraus leuchtet. Man wird nicht nur vom Titel her, sondern insbesondere von dieser Art von unfarbig-farblicher Prägnanz gemahnt an diejenige Stufe der Alchimie, auf der bei der Umwandlung der Materie die Weißung einen Höhepunkt darstellt. Hier: bei der Entwicklung eines Individuums im buchstäblich alchimistischen wie im übertragenen mythologischen und psychischen Sinn. Dieser Adam ist vielleicht der geheimnisvollste, den Hausner je gemalt hat.

Dieser Eindruck verstärkt sich um so mehr, als der Adam mit roter Kappe (1992), den auch der Umschlag dieses Buches ziert, von einer geradezu gegenläufigen, komplementären Farbexplosivität getragen ist. Vor jenem introvertiert stillen »Adam in Weiß« erscheint dieser wie ein auferstandener, ins Leben zurückgekehrter Held. Die rote Kappe ist von einer solchen Leuchtkraft, als sei sie in Licht getaucht. Auch das Gesicht. Die wie pastöse Schminke aufgetragenen roten Lippen, die fahl blaugraue Haut zeugen von einer ekstatischen Lust, einer Freude an der Selbstdarstellung; Darstellung eines Adams, dessen aufgeladene Kraft auf den Betrachter überspringt. Dieser präsentiert sich als Überlebender. Ist das vorher erwähnte Bild ein reversibler Höhepunkt an ergreifender Stille, eine Implosion in Weiß, so ist dieser Adam mit roter Kappe eine laute, mitreißend und hinreißende Explosion in Rot.

Adam mit roter Kappe
Adam mit roter Kappe, 1992, Ausschnitt

Vor dem großen Tor, 1992, Ausschnitt
Vor dem großen Tor, 1992, Ausschnitt

An der Horizontlinie#

Adam in Damengesellschaft
Adam in Damengesellschaft, 1994
Adam Bigamist
Adam Bigamist, 1994

Ein Adam Bigamist (1994) verwandtes Bild ist Adam in Damengesellschaft (1994). Während in jenem Adam sich der Anwesenheit zweier Frauen zu erfreuen scheint, die beide dieselben sind, nämlich Anne, so befindet er sich in diesem Bild in der Gesellschaft von zwei geklonten Damen. Diese sind die buchstäblichen Verkörperungen und die Entäußerungen von einer Idee, sie sind die Hüllen einer transportierten Mitteilung, sie sind die Träger eines komponierten, schönen Scheins. Es sind Puppen. Wie sich der getriebene Hoffmann in der Oper »Hoffmanns Erzählungen« immerzu in der wahnwitzigen Hoffnung auf das Glück der Liebe wiegt und dabei den Trugbildern von Schimären, Automaten und auch von Puppen erliegt, so wähnt sich dieser Adam in der heimlich wohligen und dennoch durch eine grell leuchtende Glühbirne hell ausgeleuchteten, künstlichen Gesellschaft zweier Sympathieträgerinnen der scheinbaren Annehmlichkeit eines Schönheitssalons.

Diese beiden Damen - ohnehin miteinander identisch - sind den Hochglanzillustrierten entsprungen und strahlen das kühle, gestylte Image der Kosmetikindustrie aus. Sie stellen das makellose Bild einer weiblichen Schönheit vor, das auf die Leserinnen, welche ihrerseits niemals diesem Ideal gerecht werden können, attraktiv und nachahmend wirken soll. Adam bewegt sich inmitten einer zur Schau gestellten Weiblichkeit seiner Zeit. Und zwar Adam als alter Mann. War er noch als Jugendlicher im Familienbild zu sehen als ein schmachtender Jüngling, kniend vor einer idealisierten Frau Mama, die aufgeputzt ist mit den Insignien der Mode ihrer Zeit, den 20er Jahren, so ist dieser alte Adam nun zu betrachten in ebensolchen, wiewohl zeitversetzten Displays, wie es mittlerweile heißt.

Adam in Damengesellschaft
Adam in Damengesellschaft, 1994, Ausschnitt

Adam in Damengesellschaft
Adam in Damengesellschaft, 1994, Ausschnitt

Die vielbeschworene Simulation der Wirklichkeit in den und durch die Medien ist demnach nicht nur heute angesagt, sondern sie ist, nicht ausschließlich aber dennoch vorrangig, ein Merkmal des ganzen 20. Jahrhunderts. Die Jagd auf und die Sehnsucht nach dem verlockenden Schein, das Verlangen des Mannes nach dem schönen Geschlecht stellt keine Angelegenheit eines Triebschicksals dar, sondern bedeutet ebenso, wenn nicht gar erstrangig, ein Ergebnis einer bildlichen Verordnung, einer Erziehung zum Konsumenten. Adam, der Zeitgenosse, ist zumindest in dieser Hinsicht ein guter Lehrling seiner Zeit. Das Verlangen, dem er sich hingibt, ist eins aus zweiter Hand. Das Bild der Frau, die er sucht, entspricht dem vorgestellten und veröffentlichten der Kulturindustrie und der Reklame.

An diesem Punkt enthüllt sich ein besonderer Effekt, daß nämlich in diesem Bild nicht nur die eine Frau mit der anderen identisch ist, sondern auch der Inhalt mit der Form. Die Hausnersche Malerei mit ihren unvergleichlichen Lichtspielen in der Herausstellung des Körperlichen, in diesem Fall der Formung des weiblichen Körpers, schafft jene gemalte Illusion des legendären Malers Apelles, nach dem der Betrachter meint, in einem Bild das Wirkliche, das Lebendige vor sich zu haben. Die feinsinnige Ironie dieses Bildes - man betrachte den genüßlich »unter der Lampe« und inmitten des Weiblichen sich sinnlich eingerichteten alten Adam - liegt darin, daß der Schein mit dem Inhalt, das Display mit dem Produkt, in diesem Fall das Pin-up Girl mit der Erotik, ineinander übergehen und eins sind.

Das Gesicht des alten Adam erscheint in diesem Bild wieder als eine Ausnahme: als eine Mischform aus einem Adam- und dem Hausner-Gesicht. Die zuvor meistens voneinander getrennt ausgeführten Gesichter verschwimmen von nun an mehr und mehr ineinander. Die gegenseitige Anverwandlung und die Identifizierung miteinander geht weiter. Was als ein Spiel mit verschiedenen Maskierungen begann, wird nun zur ernsthaften Umsetzung künstlerischer Ausformungen. Die einstmals ausgebildeten und seitdem entdeckten Anteile der eigenen Persönlichkeit, welche je einzeln untersucht und ausgestaltet wurden, schließen sich nun, im Alter, zu einem übergeordneten Ganzen zusammen. Zeit der Integrität.

Adam Bigamist
Adam Bigamist, 1994, Ausschnitt

Adam Bigamist
Adam Bigamist, 1994, Ausschnitt

Adam in einer Grube aufrecht stehend
Adam in einer Grube aufrecht stehend, 1993

Auch in Adam in der Grube (1993) präsentiert sich Adam als ein physiognomischer Anverwandter Hausners. An seinem altersgefurchten Gesicht, dunkel gebräunt wie nach einer langen Tätigkeit im Freien, sind nun mehr und mehr die typgerechten Einzelheiten und Eigenschaften zu studieren. Adam, der Beobachter, tritt plastisch in Erscheinung: mit Nase, Mund, Ohren und Augen nimmt er Witterung auf. Adams Gesichtssinne - von ihm ist seit eh und je fast ausschließlich der Kopf und der Oberkörper, entsprechend selten der ganze Körper, zu sehen - sind es, die in auffallender Weise seine Verbindungen zur Welt signalisieren. Adam sieht, hört und schweigt. Intensität sinnlicher Erfahrung.

In diesem Bild vollzieht sich diese Sinnesarbeit Adams vor dem Hintergrund eines schwarzen Lochs und oberhalb einer Grube. Adam balanciert - wie eine Figur von Beckett in einer Mülltonne oder wie Harry Lime im Film der »Dritte Mann« in einer Kanalschachtöffnung - am Rande einer Grube. Er nähert sich dem Element an, dem er entstammt. Doch selbst dieser abschließenden und entgültigen Epoche seiner Lebenszeit gewinnt dieser Adam noch alle Facetten der Erfahrung mittels seiner untrüglichen Wahrnehmung ab.

Adam in einer Grube aufrecht stehend
Adam in einer Grube aufrecht stehend, 1993, Ausschnitt

Seine sinnlich unmittelbaren Verbindungen zum Leben und zum Lebendigen heben ihn leicht und hellen Sinnes über die Schwelle der letzten aller Prüfungen hinweg. Sein Abschiednehmen von der Welt vollzieht sich weder rationalisiert, verdrängt oder fälschlich verklärt; es ist immerhin, so oder so, ein Abschiednehmen. Aber dies geht intensiviert als individuelle Erfahrung, als eine Art vorgezogener und selbst vollzogener Trauerarbeit sinnlich vonstatten. Zudem, gegossen in eine individuell unverwechselbare, künstlerische Handschrift, geschieht es in der Öffentlichkeit mittels einer allgemeinen Form künstlerischer Gestaltung.

Adam auf dem Weg zum Paß (1993) legt eine andere Ortsbestimmung vor, und zwar die, die am anderen Ende einer Skala sich befindet: ist die Grube der tiefste, so ist der Paß der höchste Punkt einer Wanderung Adams. Dieser klettert in einem Gebirgsmassiv, einem Tafelberg, irgendwo in südlichen Gefilden; es könnte sich um Atlasgebirge am Rande der Sahara handeln. Die Haut des Gesichts von diesem Adam ist rötlich, wie ledern gegerbt. Die unterschiedlichen Lebenserfahrungen, auch das Klima, haben sich ihm eingegraben; sie haben Adam unempfindlich gemacht, fast schon mumifiziert. Doch auch daraus gleiten die sinnlichen Beobachtungen höchst lebendig, wach, dem Betrachter farblich suggestiv und direkt nachvollziehbar, hervor und halten den Kontakt zur Umgebung.

Auf dem Weg zum Paß
Auf dem Weg zum Paß, 1993

Adam ist allein. Er vergewissert sich seiner individuellen Lebensstränge. Er verkörpert darin etwas von einem Eremiten in der Wüste, einem Wanderer in einer Einöde oder jemandem, der eine letzte, aber entscheidende Reise angetreten hat. Ihn umgibt eine Aura des Religiösen. Adam stellt sich dar wie Laotse auf seiner Reise auf einem Ochsen im Gebirge. Sind die großen Weltreligionen im Wüstenklima entstanden, so ist dieser Adam Teil einer mythisch religiösen Sinnsuche. Großes, diffuses Licht umfließt ihn und hebt vor allem seine Kopfbedeckung wie eine Gloriole plastisch hervor. Eine heitere, abgeklärte Ruhe umgibt ihn, das weise, erfahrungsreiche Sinnieren läßt seine subtile Heiterkeit aufleuchten. Dieser Adam ist durch ein langes Leben körperlich gezeichnet. Jetzt befindet er sich vor der entscheidenden Begegnung mit seinem Karma. Adam maßvoll (1993) präsentiert Adam seiner Bezeichnung angemessen - wieder in seinem gewohnten Outfit und seiner eingeübten Haltung: starr nach vorn ausgerichtete Kopfhaltung, fixierender Blick. Zudem bringt der niedrige Horizont vor der Weite eines weißblau strahlenden Himmels den Kopf plastisch ein. Dieser Adam ist ein später Nachfahre aus der Reihe früherer »Maßstäblich«-Bilder. Deren Zeichen basieren auf den Instrumenten des Vermessens, der Ortsbestimmung, des Einordnens in die unterschiedlichen Systeme der sogenannten äußeren Wirklichkeit, d.h. des physikalisch bestimmbaren Raums und der Zeit. Für Adam sind dies die Mittel, sich selbst zu definieren, seine eigenen Grenzen zu konstruieren und sie anzunehmen.

Auf dem Weg zum Paß
Auf dem Weg zum Paß, 1993, Ausschnitt

In diesem Bild wird dieses Maß durch einen Rahmen aus Legosteinen dargestellt. Dieser ist aufgesetzt auf der Linie des Horizonts und wirkt dergestalt in surrealistischer, verschrägter Manier, wie ein Trompe-l´oeil inmitten und als Teil der Landschaft. Hiermit kommt einmal mehr das Formale in dem Mittelpunkt des Geschehens zum Ausdruck. Das Weiß-rot des Legorahmens kontrastiert bestechend mit dem Blau des Himmels und dem Rosa-grau des Gesichts. Doch was sollte wohl der in Würden ergraute Adam mit einem Legorahmen, einem Kinderspielzeug anfangen? Was gibt deren Beziehung vor? Etwa die, daß dieses Spielzeug einen Teil der vergangenen Zeit bedeutet und daher als ein Fundstück des Archäologen Hausner zu einem Bestandteil der gewordenen Persönlichkeit wird? Vielleicht hat Adam, als Familienvater, auch einmal oder oft mit seinen Kindern Lego gespielt?

Wie dem auch sei, dieses Bild befindet sich in einem besonderen Zusammenhang, der von den Bildern des Adam maßstäblich (1972) bis zu dem der letzten »Rahmen«-Bilder: Adam Equilibrist reicht. Sie fallen dadurch auf und graben sich der Betrachtung ein, daß durch sie weniger ein Inhalt als vielmehr ein formales Prinzip vor Augen geführt wird. Dies besteht u.a. darin, daß durch vielschichtige, changierende Vordergrund-Hintergrund-Verschiebungen - etwa zwischen dem Rot der Rahmen und dem dazwischen einherschlierenden Blau des Himmels eine Sogwirkung ausgelöst und wahrgenommen wird, welche dazu führen kann, daß ein Kippeffekt zwischen vorn und hinten sich abzeichnet. Dies wird nachdrücklich in Adam Equilibrist vorexerziert.

»Adam Equilibrist«#

Adam Equilibrist
Adam Equilibrist, 1993

Bei Betrachtung dieser Bildgruppe wird man durch die Malerei, durch die Beachtung ihres Stellenwertes im Rahmen des gesamten Oeuvres, aber auch durch die Lebensumstände, und schließlich durch die in Gang gesetzte Selbstreflexion gestoßen auf das, was Hausner schon früh in seiner Kunst hat anklingen lassen, nämlich die Entwicklung eines Individuums auf ein Ende hin. Die Nähe von Anfang und Ende. Metamorphose, Krankheit, Resignation, Tod, all das ist sowohl in den Titeln, in der Malerei vorhanden, als auch durch andere Assoziationen abrufbar. Im Titel des Bildes ...nach dem langen Gang klingt eine Art Abgesang mit; er tönt wie die letzten Lieder von Richard Strauss oder das Requiem von Brahms. Endzeit, Abschied, Wandlung, Übergang.

Das kann in das Alterswerk eines Künstlers hineinprojiziert werden oder wie in diesem Fall vom Künstler z.T. selbst nahegelegt werden durch die Titel so wie die besonders emotionale Malerei. Auf der anderen Seite ist dies aber an keiner Stelle direkt ausgesprochen. Deshalb handelt es sich bei dieser Vermutung um eine Projektion, die zulässig sein mag, aber nicht zutreffend, weil es sich hier ja nicht um letzte Bilder handelt, sondern um Bilder in einer Entwicklungsreihe. Wenn dennoch diese Assoziation auftaucht, dann liegt es vielleicht begründet in dem erwähnten Wegfall von allem Überflüssigen, das ein Leben scheinbar ausmacht. Vom rein Organismischen und Psychologischen aus gesehen besteht allerdings das Leben aus fast nichts anderem als einem Körper mit einer Seele. Alles, was darüber hinaus hinzukommt - andere Menschen, Tätigkeiten, Verhalten, Arbeit, Feier, Handeln, Kleidung, Schmuck usw. - ist in dieser Bildserie weggefallen, weggemalt. Die Serie macht auf sich aufmerksam, weil in ihren Bildern gerade durch dieses Weglassen Auffallendes hinzugedacht werden kann. Und daraus entspringt erst eine Hinwendung zu den sogenannten letzten Dingen, denen man sich im Alterswerk eines Künstlers immer gerne hingibt. Nur - mit der Wirklichkeit dieser Malerei hat es wenig zu tun. Diese Serie stellt einen unvergleichlichen Bogen in der gesamten Entwicklung dar. Aber in keiner Weise ihren Endpunkt.

Adam Equilibrist
Adam Equilibrist, 1993, Ausschnitt

Denn es gibt da noch ein anderes Bild in dieser Gruppe, das eine Sonderstellung beansprucht: Adam Equilibrist. Dies reiht sich vordergründig ein in die großformatigen Bilder Hausners, die bei ihm eine Sonderstellung bilden. Es paßt aber auch durch die fünffache Rahmung zu dem Kreis der »Adam-gerahmt«-Bilder. Dieser Bildzyklus wird damit um ein bedeutendes anderes erweitert. Es ist ein quadratisches Bild, bei dem durch die gemalte und die konstruierte Rahmung ein besonderer Tiefenaspekt entsteht. Man wird hineingesogen in die Tiefe dieses Bildes, in die dritte Dimension. Gleichzeitig eröffnet sich eine vierte Dimension nach vorne hin durch den farblichen Effekt der roten Rahmen, deren Progression von hellrot nach dunkelrot reziprok zu den dazwischen liegenden blauen Himmelsstreifen, die ebenfalls progressiv, aber umgekehrt von dunkelblau nach hellblau übergehen. So entsteht ein nicht zu überbietendes Spannungsfeld über die ganze Bildfläche.

In der Mitte ist zu sehen der alte Adam Hausner - wiederum eine Verschmelzung des Selbstportraits mit dem Adams - der nun fast in ganzer Gestalt, ebenfalls ein Novum in der Hausnerschen Malerei, mit entblößtem Oberkörper vor den Augen des Betrachters herumturnt (Equilibrist ist die altmodische Bezeichnung für einen Akrobaten in einem Variete). Eine völlig neuartige Bewegung, eine Dynamik, eine Frische, eine Vitalität, die so manch andere Adam-Bilder, ausgezeichnet durch ihre eigensinnige und herausfordernde Statuarik, weitgehend offen lassen. Von Resignation kann also schon von daher, betrachtet man dieses ansteckend lebendige Bild, keine Rede sein. Adam schafft sich eine neue Rahmenbedingung. Er erweitert seine Perspektive, er versucht sich an neuen Definitionen, neuen Eingrenzungen und Entgrenzungen. Adam, wie der Titel andeutet, begibt sich in harmonische Einübungen mit sich selbst und der Welt, unterwirft sich einer neuen Auseinandersetzung. Er schwingt sich ein in eine und andere Situationen.

Adam Equilibrist
Adam Equilibrist, 1993, Ausschnitt

Dieses Bild enthüllt durch seine Größe, durch die farblich-energetische Leuchtkraft, durch das sublime Einherpendeln zwischen unterschiedlichen Dimensionen und der Erweiterung Adams um einen Oberkörper eines gealterten, aber noch nicht alten Mannes, eine völlig neuartige Vitalität, die eine Nähe zur Tradition eines Alterswerkes unwichtig und unrichtig erscheinen lassen. »Equilibrieren« oder die Balance halten zeugt zwar von Integrität, Harmonie und Weisheit, was man dem Alter früher einmal zuordnen konnte, aber ebenso von Vitalität und Augenmaß, welche man der Erfahrung beimißt. Insgesamt zeigt sich ein Reigen von späten Bildern, die von kleinformatigen, stillen, in sich gekehrten, bis zu großen, farbexplosiven reichen. Deren Inhalt allerdings birgt immer eine Fokussierung, eine Engführung auf das Wesentliche: auf die Gestalt eines Typus dieses Jahrhunderts.

Es ist damit, versenkt man sich gerade in dieses letzte Bild, eine Serie entstanden, die am vorläufigen Endpunkt einer malerischen Entwicklung angelangt ist, bei der alles offen ist. Weil, sowohl vom Inhalt als von der Form her, noch viel zu erwarten ist, da andere Dimensionen, obwohl enggeführt, aber keineswegs verengt, aufscheinen. Davon ist diese Serie ebenso weit entfernt wie frühere Bilder der Hausnerschen Malerei, die aus einer Betrachtung im nachhinein stets durch neue, überraschende Wendungen überzeugen.

Dennoch bildet gerade dieser Bilderzyklus von späten Adam-Köpfen und -Gestalten trotzdem den Höhepunkt der Hausnerschen Malerei insofern, als er geschichtlich, aus der Perspektive von den 30er bis in die 90er Jahre betrachtet, eine Spannbreite an Vertiefung, Intensivierung und an Zentrierung von sechzig Jahren Malerei umfaßt. In ihnen, und das machen sie deutlich, ist malerisch ein Typus ergründet. Und zwar mittels einer singulären Malerei: ein einziges Thema wird tief, genau, liebevoll, kritisch, farblich, formal, umkreist, gestaltet und ausgestellt. Typologie in Display. Adam - ein Typus des 20. Jahrhunderts.




Inhaltsübersicht#


© Walter Schurian, Hausner- Neue Bilder - 1982-1994, Edition Volker Huber