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Notiz 069: Fahrt machen#

(Die Quest hat begonnen)#

von Martin Krusche
„Ich bedaure sehr, daß das verstehende Lesen von Texten sehr zurückgeht.
Aber ich muß das zur Kenntnis nehmen.“
Hermann Maurer, Informatiker (Gesprächsnotiz)


Das war nun eine Serie kleiner Kulturkonferenzen. Reale Treffen, die sich aufeinander bezogen haben, um etwas werden zu lassen. Als dieser Tage eine behördliche Lockerung des Corona-Lockdowns erfolgte, wurde es wieder möglich, sich in Lokalen an einen gemeinsamen Tisch zu setzen.
Franz Blauensteiner und Rezka Kanzian bei unserem Gleisdorfer Arbeitsgespräch. (Foto: Martin Krusche)
Franz Blauensteiner und Rezka Kanzian bei unserem Gleisdorfer Arbeitsgespräch. (Foto: Martin Krusche)

Ich hab in Notiz 066 („Hart am Wind“) von meinem Arbeitstreffen mit Wissenschafter Hermann Maurer erzählt, das zu einer Übereinkunft führte, die ein Angelpunkt für das neue Projekt wurde. Ein Beispiel für kollektive Wissens- und Kulturarbeit, wie sie nach meinem Geschmack ist. Davor waren schon „Vater und Mutter Übü in einem Gleisdorfer Moment“ zu notieren, siehe dazu: „Das Absurde als etwas Unverzichtbares!

Mit Musiker Oliver Mally bin ich ohnehin im ständigen Austausch. Das hat eine gesellige Seite, die nach draußen wirkt, wo wir uns als „Origami Ninjas“ geben. Backstage arbeiten wir an verschiedenen Dingen. Rund um all diese Ereignisse hat sich inzwischen ein komplexes Geschehen entfaltet.

Maurer hat mir Zugriff auf eine völlig neue Technologie verschafft, die Hypertext auf eine bemerkenswerte Art nutzbar macht.

Das System NID (Netzwerkorientierte Interaktive Digitale Dokumente) ist für unsere laufende Arbeit eine faszinierende Option: „In einem Team rund um Informatikprofessor H. Maurer an der TU Graz wurde ein System entwickelt, das als solches oder durch seine Grundideen das Lesen von Dokumenten jeder Art über das Internet dramatisch verändern wird.“

Bild 'notiz069b'

Genre und Erzählweisen#

Nun ist erstens geklärt, daß Oliver Mally als mein Lektor fungieren wird, um eine Auswahl und Anordnung vorzunehmen, die aus meiner Lyrik der jüngeren Vergangenheit eine Publikation herauskristallisiert. Zweitens ermöglicht es die neue Technologie, ein Buch im Web mit anderen Dokumenten und übrigen (digitalisierten) Quellen auf sehr dynamische Art zu verzahnen. Dadurch tun sich neue Erzählebenen und –formen auf, für die man verschiedene Zugriffsmodi definieren kann.

Macht nichts, wenn Ihnen das noch etwas unscharf klingt, wir sind selbst noch beim Klären genauer Möglichkeiten. Wir haben begonnen, ein Werk zu kreieren, das via Internetstützung sehr eigentümlich genutzt werden kann. Dazu kam nun auch ein nächstes Arbeitsgespräch mit Vater und Mutter Übü, also mit den Theatermenschen Franz Blauensteiner und Rezka Kanzian. Dabei haben wir diese Zusammenhänge (Leseverhalten!) und diese Technologie erörtert.

Bild 'notiz069c'

Dazu gehört, daß Kanzian eine exzellente Lyrikern ist, wir beide also auf künstlerischem Feld einen sehr speziellen gemeinsamen Bezugsrahmen haben. Damit nicht genug, Blauensteiner, einst Artist und Stuntman, also in einem ganz anderen Genre zu Hause, ist mit dem japanischen No-Spiel und mit dem Buddhismus gründlich vertraut, was bedeutet, er hat da noch ein völlig anderes Codesystem an der Hand als ich.

Sie ahnen nun vielleicht, was wir auszuloten beginnen. Es steht außer Diskussion: die reale soziale Begegnung ist das primäre Ereignis. Erst von da geht aus, was dann in‘ Web, in den Cyberspace, führt. Dort ist für sich nicht der virtuelle Raum als ein Möglichkeitsraum, sondern eben ein binär codierter Raum aus Maschinen.

Das Virtuelle und das Aktuelle#

Das Virtuelle als eine Vorbedingung des Aktuellen hat andere Dimension. So gesehen war in unserem Kulturverständnis der virtuelle Raum schon da, bevor es Computer gab. Er entsteht durch die menschliche Möglichkeit des symbolischen Denkens, das uns zur Phantasie befähigt, das uns erlaubt Dinge zu denken, die es nicht gibt. Das ist das Virtuelle, bevor es aktuell wird. Sie zu diesen Zusammenhängen auch meine Notiz „Da gibt’s kein Dort“ (Über Veränderungen im Verhältnis von Zentrum und Provinz)!
Das Projekt NID-Books von Hermann Maurer. (Foto: Martin Krusche)
Das Projekt NID-Books von Hermann Maurer. (Foto: Martin Krusche)

Sie sehen nun, wir sind einige Leute, sehr erfahren in ganz verschiedenen Metiers, die einerseits im Realraum miteinander zu tun haben, andrerseits via Internet die Optionen von Telepräsenz und Telearbeit nutzen. Wir haben überdies ein Interesse, unsere künstlerischen beziehungsweise wissenschaftlichen Optionen nicht nur auf klassische Weise zu pflegen, sondern auch mittels neuer Technologien zu verfolgen.

Genau das heißt jetzt nicht einfach, daß wir Texte, Bilder und Töne digitalisieren, ins Web wuchten; das geschieht längst massenhaft und wäre nicht weiter erwähnenswert. Aber! Durch Maurers Arbeit tut sich eine Möglichkeit auf, Telepräsenz und Teleworking auf dem Weg zu einem digitalen Werk ganz anders zu gestalten und zu einem möglichen Publikum hin zu verzweigen. Dieses Publikum kann nun auch sehr konkret und gezielt zurückwirken.

Das will praktisch und höchst konkret erarbeitet werden. Es verlangt nach einer Praxis des Kontrastes, und zwar genau weil wir so unterschiedliche Charaktere aus verschiedenen Branchen sind. Zur ersten Aufstellung (auch bezüglich relevanter Zeitfenster) für dieses Projekt siehe: „Peripherien" (Berührungspunkte der einzelnen Projekte)!

Ab in die Praxis!#

Darin liegt nun eine Aufgabenstellung, die zwei primäre Ebenen hat:
  • Kommunikation unter uns
  • Kommunikation mit dem Publikum
Musiker Oliver Mally (und Bob Dylan), gezeichnet von Heinz Payer.
Musiker Oliver Mally (und Bob Dylan), gezeichnet von Heinz Payer.

Das dabei entstehende Werk verändert sich im webgestützen Zugriff durch die technischen Optionen, die Maurer aufgemacht hat. Es geht also über ein bloßes Digitalisieren von Texten, Bildern und Tönen hinaus, schafft eine interaktive Kommunikationssituation, die ihrerseits völlig anders angelegt ist, als das bisherige Streamen/Downloaden künstlerischer Darbietungen, die live übertragen, beziehungsweise gefilmt/aufgezeichnet werden.

Das System NID (Netzwerkorientierte Interaktive Digitale Dokumente) ist gewissermaßen ein Ansatz, das Werk und den Ereignisort/Veranstaltungsort eng zu verknüpfen, zusammenzuführen. Eben weil das Publikum auf die Werke verändernd zugreifen kann, entsteht eine ungewohnte Situation.

Auf die Werke verändernd zugreifen bedeutet freilich nicht, daß der Grundbestand verändert wird. Es heißt, daß durch technische Optionen quasi „Layers an Ereignismöglichkeiten“ darübergelegt werden. Konkret: einzelne Personen oder Gruppen bekommen eine „Arbeitsebene“ eingerichtet, auf der Dokumente individuelle Ergänzungen erfahren, vertieft werden. Je nach Zugriffsrechten kann das Ergebnis dann nur von der Person, Gruppe, aber auch vom Publikum im öffentlichen Raum rezipiert werden.

Das bedeutet, Maurer hat uns eine Art „Neuen Raum“ eröffnet, den wir nun erkunden. Und zwar multidisziplinär, mit der Option, interdisziplinär zu werden, um jeweils in die Disziplin der anderen hineinzugehen.

Auf der künstlerischen Ebene ist der Ausgangspunkt nun so besetzt:

  • Zwei Leute der Lyrik: Kanzian & Krusche
  • Ein Musiker: Mally
  • Zwei Leute der Schauspiels: Blauensteiner & Kanzian

Je nachdem, wie sich der Prozeß entwickelt, erweitert sich das Setting. Mit Maurer sind Wissenschaft und Technik schon im Spiel. Zu weiteren Möglichkeiten führe ich derzeit Vorgespräche. Für mich ist es naheliegend, bei so einem Vorhaben, das ich im Sinne einer klassischen Quest deute, kompetente Menschen aus Kunst, Wirtschaft und Wissenschaft in Austausch zu bringen. Es erscheint mir außerdem als eine nächste Stufe von Netzkultur. Die Quest als Abenteuerreise, um Erkenntnisgewinn zu schaffen…