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Wissensarchäologie#

(Von der mündlichen Überlieferung zur Dokumentation, zum Beispiel: Puch Haflinger)#

von Martin Krusche

Der britische Landrover und der deutsche Unimog wurden für die agrarische Welt konstruiert, landeten bei Militär und mußten Kommunaldienst tun. Beim Steyr-Puch Haflinger war es umgekehrt. Er wurde für das Militär geschaffen, landete im Kommunaldienst und teilweise in der agrarischen Welt. Das ist natürlich eine sehr gestraffte Kurzfassung, wobei alle drei auch ihre Momente als private PKW fanden, der Landrover naturgemäß am stärksten.

Der Ur-Haflinger in einer Ausgabe des Periodikums „Motorrad“ 2/59 – (Archiv Martin Krusche)
Der Ur-Haflinger in einer Ausgabe des Periodikums „Motorrad“ 2/59 – (Archiv Martin Krusche)

Es gibt übrigens auch Berichte, die den amerikanischen Jeep beim Ackern zeigen. Aber weder Landie noch Jeep sind aufgrund ihrer Bauweise für den Einsatz auf Feldern geeignet. Der Unimog war immerhin als Geräteträger tauglich, wurde aber von modernere Traktoren in diesem Sektor überflüssig gemacht. Der Hafi wäre für das Umbauen von Feldern zu klein und zu leicht, von der Konstruktion her untauglich. Dafür konnte er in der Forstwirtschaft einige Jobs machen und wird von Jägern manchmal heute noch geschätzt.

Kontrukteur Erich Ledwinka (links) im Haflinger neben Ferdinand „Fredi“ Thaler – (Archiv Thaler)
Kontrukteur Erich Ledwinka (links) im Haflinger neben Ferdinand „Fredi“ Thaler – (Archiv Thaler)

Was im Volksmund Haflinger heißt, ist der Steyr-Puch AP 700, die Allrad-Plattform mit einem 650 ccm-Triebwerk. Diese Konstruktion stammt von Erich Ledwinka nach Prinzipien, die sein Vater Hans Ledwinka ersonnen hat: Zentralrohrahmen, Pendelachsen und luftgekühlter Heckmotor. Sie finden im Austria-Forum ein par Seiten der Dissertation von Erich Ledwinka, welche dieser 1974 bei der Technischen Universität Graz vorgelegt hat, gewidmet dem Problem des Geländefahrzeugs unter besonderer Berücksichtigung der österreichischen Entwicklungsbeiträge. Auf einem historischen Foto sehen Sie „Ledi“ in einem Haflinger an der Seite von Fredi Thaler, um den es hier unter anderem gehen wird. Der Haflinger wurde von 1959 bis 1974 produziert. Wir gehen also auf ein 60 Jahr-Jubiläum zu, wie es heuer den Steyr-Puch 500 betraf; siehe dazu das Heft Mythos Puch!

Blatt aus einem amtlichen Prüfdokument vom 31.7.1958 – (Archiv Martin Krusche)
Blatt aus einem amtlichen Prüfdokument vom 31.7.1958 – (Archiv Martin Krusche)

Ich nenne den Haflinger gerne den kleinsten Lastwagen der Welt, weil er sehr puristisch als Packesel konzipiert wurde, um mit möglichst geringem materiellen Aufwand und einer smarten Bauweise ein Maximum zu erreichen, worin er bis heute ungeschlagen ist. Soweit ich sehe, kann kein anderes Nutzfahrzeug auf so kurzem Radstand solche Lasten in derart abwegigem Gelände bewegen, um dabei mit so wenig Motorkraft eines äußerst standfesten Triebwerks auszukommen. Als die Behörde allerdings dem Fahrzeug wesentlich mehr abverlangen wollte, ging es in die nächst größere Kategorie, die mit einer anderen österreichischen Pferderasse assoziiert wurde, dem Pinzgauer. (Der Gaul wird Pinzgauer Noriker genannt.)

Während nun der Haflinger ab 1959 angeboten wurde, kam 1979 eine völlige Neukonstruktion, der H2, auf den Markt, also der „Haflinger 2“. So kennen ihn natürlich nur Fans und Insider, denn für den Verkauf hieß er dann bei uns Puch G, in vielen Ländern Mercedes-Benz G-Klasse. Sie sehen hier Originalfotos eines Prototypen: Ein kantiger Langläufer!

Das hat gerade jetzt auf kuriose Art Aktualität. Vor rund zwei Wochen, Mitte Jänner 2018, wurde eine gründliche Neufassung der G-Klasse präsentiert und Designer Gorden Wagener erläutere, wie man mit so einem Klassiker umgeht, wenn er in die nächsten Jahrzehnte Laufzeit gebracht werden soll. Siehe dazu: Die Neudeutung!

Manfred Haslinger (links) und Constantin Kiesling – (Foto: Martin Krusche)
Manfred Haslinger (links) und Constantin Kiesling – (Foto: Martin Krusche)
Fredi Thaler – (Foto: Martin Krusche)
Fredi Thaler – (Foto: Martin Krusche)
Constantin Kiesling – (Foto: Martin Krusche)
Constantin Kiesling – (Foto: Martin Krusche)

Zurück zum Hafi. Nun gab es in Graz eine kleine Konferenz am Tisch des oben erwähnten Altmeisters Fredi Thaler. Dazu kamen Manfred „Hasi“ Haslinger, der einst in der Entwicklung tätig war, und Constantin Kiesling, der sich schon als Teenager auf das Thema Haflinger spezialisiert hat. Solche Treffen, bei denen Material ausgetauscht wird, bei denen Details debattiert werden, sind heute wichtig, weil sehr viel von diesem Bereich steirischer Industriegeschichte ursprünglich nicht dokumentiert wurde, respektive verfügbare Dokumente in alle Winde zerstreut oder sogar zerstört sind.

Das Drucksorten-Poster – (Von Constantin Kiesling)
Das Drucksorten-Poster – (Von Constantin Kiesling)

Die Haflinger-Collage – (Von Martin Krusche)
Die Haflinger-Collage – (Von Martin Krusche)
Das heißt, dieses Wissen ist vielfach nur noch in mündlicher Überlieferung vorhanden und die Männer, die damals dabei waren, die das alles umgesetzt haben, verfügen über Kenntnisse, welche Sie in keinem Buch nachlesen können.
Zitat aus der Ledwinka-Dissertation – (Archiv Martin Krusche)
Zitat aus der Ledwinka-Dissertation – (Archiv Martin Krusche)

Dazu kommen zwei weitere Aspekte. Erstens: Fachkräfte wie Haslinger und Thaler verkörpern einen Typ von Handwerkern, die zwar in der Industrie (Massenfertigung) ihr Brot verdient haben, dabei aber Prinzipien des alten Handwerks lebten und bis heute praktizieren. Das meint Bereiche eines sehr selbstbestimmten Arbeitens an einzelnen Projekten und nicht bloß an einzelnen Komponenten, die im Rhythmus der Fertigungsstraßen heruntergestanzt werden müssen.

Zweitens: Genau darin, in dieser Handwerkstradition, sind die Männer Teil einer hochkarätigen steirischen Schrauber- und Sammlerszene, die sich verschiedenen Aspekten einer Volkskultur in der technischen Welt verschrieben hat. Also der Bewahrung und Pflege von altem Wissen und alten Fertigkeiten, wie sie heute nicht mehr marktfähig sind, in der völlig veränderten Industrie (fast) nicht mehr gebraucht werden. Das äußert sich teils in solcher Wissensarchäologie wie beim erwähnten Treffen. Das äußert sich in einer handwerklichen Praxis, deren Zukunftsfähigkeit im Unklaren liegt. Das manifestiert sich in dem, was zum Beispiel das Motto der ÖGHK: Österreichischen Gesellschaft für historisches Kraftfahrwesen ausdrückt: Wir bewegen Tradition.

Martin Vormann (links) und Michael Kuhn – (Foto: Martin Krusche)
Martin Vormann (links) und Michael Kuhn – (Foto: Martin Krusche)

Damit sei betont, daß zu diesen Zusammenhängen auch ein ganz konkretes Brauchtumsleben gehört, welches seit dem späten 19. Jahrhundert sehr spezielle Formen herausgebildet hat, was ganz wesentlich auf ein Blühen der Radfahrvereine zurückgeht. In den letzten 1800er Jahrzehnten hatte sich das Niederrad („Safety“) als technische Lösung durchgesetzt und eine Revolution der individuellen Mobilität eingeleitet. Siehe dazu: Rasende Reisende! Ein komplexes Vereinswesen, Rituale, alljährliche Veranstaltungen, Liedgut, Dresscodes, Emblematik, Nippes und Souvenirs sind ein Teil der Ausstattung dieses kulturellen Feldes.

Apropos Vereinswesen. In Deutschland konnten zwar die Puch-Autos nicht gar so breit Fuß fassen, weil sie lange einer Exportsperre unterlagen. Aber die Haflinger haben sich passabel verbreitet und waren dort attraktiv, wo selbst der kleinste Unimog noch zu groß und teuer erschien. All dem ist in Deutschland der „Steyr Puch Freundeskreis“ gewidmet, der durch engagierte Kräfte wie zum Beispiel Haflinger-Pilot Martin Vormann oder Routinier Michael Kuhn dafür sorgt, daß die Fahrzeuge aus Graz präsent und im Blickfeld bleiben.

Vormann bat mich vor einer Weile um Material für die Darstellung des Haflingers. Kiesling kam der einschlägigen Bitte auch nach. In diesem Zusammenhang verabredeten wir uns nun in Graz, denn Vormann hatte mir inzwischen eine stabile Rolle zugesandt, in der mehrere Garnituren der Poster steckten, die aus unserem Material entstanden sind.

Manfred Haslinger (links) und Constantin Kiesling mit einem unrealisierten Pinzgauer-Konzept – (Foto: Martin Krusche)
Manfred Haslinger (links) und Constantin Kiesling mit einem unrealisierten Pinzgauer-Konzept – (Foto: Martin Krusche)

So wuchteten Kiesling und ich die Laptops auf Thalers Tisch, zu viert packten wie allerhand Unterlagen aus und notierten quasi ein nächstes Kapitel in der Sammlung fälliger Aufzeichnungen all jener Details, die derzeit verlorenzugehen drohen. Dabei steckte mir übrigens Fredi Thaler eine originale Betriebsanleitung des Puch Excelsior Pfluges zu, denn bei unserer letzten Begegnung hatte ich davon erzählt, daß mich die Geschichte des Pfluges gerade sehr beschäftigt. Sie illustriert nämlich, was mir inzwischen mehr als klar erscheint: Keine technische Revolution ohne agrarische Revolution.

Die Puch Excelsior-Betriebsanleitung – (Foto: Martin Krusche)
Die Puch Excelsior-Betriebsanleitung – (Foto: Martin Krusche)
Der Puch Excelsior Motorpflug von 1919 – (Sarchiv Österreichische Nationalbibliothek)
Der Puch Excelsior Motorpflug von 1919 – (Sarchiv Österreichische Nationalbibliothek)

Als der Excelsior, eine Lizenzversion aus dem hause Laurin & Klement, etwa 1919 in Österreich promotet wurde, konnten sich den die meisten Landwirte natürlich nicht leisten. Damals waren ja selbst Pferde als Zugtiere für einen großen Teil heimischer Bauern unerschwinglich. Erst ab etwa 1947 kam es zu einer neuen Mechanisierung der Landwirtschaft, die sich dann breiter durchsetzte. Siehe dazu: Der Fünfzehner und Konsorten (Kompakte Traktoren für Österreich)!

Darin liegt unter anderem ein Hinweis, daß volkskulturelle Phänomene mit der permanenten Veränderung von Lebensformen und Arbeitsbedingungen schon im 18. Jahrhundert begonnen haben, sich auch in der technischen Welt herauszubilden. Sie sind bloß bis heute auf merkwürdige Art in vielen Wahrnehmungsbereichen ausgeblendet. Wissen, Handfertigkeit und kulturelle Praxis spielen im direkten Zusammenhang freilich auch in diesem maschinisierten Bereich menschlicher Gemeinschaft wichtige Rollen. Dabei zeichnen sich gerade nächste Umbrüche ab, da wir uns längst in einer Vierten Industriellen Revolution befinden. Siehe dazu: Industrielle Revolutionen (Ein kleiner Überblick)!