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Ned Ludd, der fiktive Anführer historischer Maschinenstürmerei. Eine Grafik von 1812.
Ned Ludd, der fiktive Anführer historischer Maschinenstürmerei. Eine Grafik von 1812.

Automatisierung#

(Die Wucht der Entwicklung)#

Von Martin Krusche#

Die meisten unserer Mitmenschen besitzen individuell eine so große Anzahl an Dingen, wie das in früheren Zeiten für die Bevölkerung undenkbar war. Wir sind es gewohnt, jederzeit auf preiswerte Massengüter zugreifen zu können. Der Markt hat so seine Nischen für höherwertige Produkte. Zwischen Kunsthandwerk und Luxussegment sind Preissprünge letztlich ohne Limit. Aber Alltagsgüter, Konsumgüter, Massenwaren dominieren meist unsere Wohnräume.

Handarbeit#

Am Beispiel von exklusiven Automobilen läßt sich gut veranschaulichen, wofür alte Modi gepflegt und bezahlt werden. So heißt es beispielsweise über die Zweisitzer von Morgan: „Seit 1909 wird in der Nähe des idyllischen viktorianischen Ortes Great Malvern, am Fuße der Malvern Hills, in traditioneller Handarbeit ein Roadster gebaut, der für sich zu recht in Anspruch nimmt, der erste und letzte unter den wahren Sportwagen zu sein.“ Das betrifft Holz, Metall, Leder, Glas…

Ein anderes Exempel. Von Japan bis Deutschland oder Italien findet man im Hochleistungs- und Hochpreisbereich das Produktionsprinzip „One man, one engine“. Das heißt, die mächtigen Motoren, Wunderwerke der Präzision und Kraft, werden von jeweils nur einer Person per Hand gefertigt. Da greift niemand sonst hin.

Ob feine Keramik, ob luxuriöse Armbanduhren, die über Generationen halten, ob vorzügliche Torten, Fleischwaren, Begriffe wie „handgefertigt“ oder „hausgemacht“ signalisieren ein höheres Qualitätslevel, auf dem die Herstellung weitgehend ohne Automatisierung stattfindet. Das betrifft die Güte der Materialien, die Kompetenzen der jeweiligen Handwerkskraft und die Arbeitszeit.

Da ist über Handfertigkeit und Werkstolz zu reden, darüber, daß jemand eine Sache um ihrer selbst willen gut machen möchte. Das hat seine ethische Dimension, was etwa „Die Ehre des Handwerks“ meint. Es bedeutet aber auch, und davon bin ich überzeugt, daß wir die Handfertigkeit nicht bloß brauchen, um Dinge herzustellen und zu warten. Dieses Tun mit den Händen hat vorteilhafte kognitive Effekte, wie ich sie für unverzichtbar halte. Die sollten wir nicht aufgeben, bloß weil sie in der Güterproduktion von Gesellschaften keine Rolle mehr spielen.

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Ich hab übrigens erst begriffen, wovon das im Kern handelt, als ich bei Meister Franz Lukas in der Werkstatt stand, mit der Metallsäge meinen ersten Würfel von einem Stahlbarren schnitt und zu feilen begann. Diese langwierige Arbeit steht in einem harten Kontrast zu den Möglichkeiten, welche Bandsäge, Fräse, Standbohrgerät und Drehbank in der nämlichen Werkstatt bieten. Das hat seine Steigerung in einer CNC-Fräse, bei der man zusehen kann, wie die EDV das Werkzeug führt, um ein Werkstück entstehen zu lassen.

Von Handarbeit geprägt: Ferdinand M. Lanner mit seinem Morgan Roadster auf Gleisdorf-Besuch.
Von Handarbeit geprägt: Ferdinand M. Lanner mit seinem Morgan Roadster auf Gleisdorf-Besuch.

Automatisierung#

Ich hab nun nach einem Beispiel gesucht, das näher bei der „Mutter der Industrien“ liegt, der Textilproduktion. Die Dampfmaschinenmoderne rollte Gesellschaften auf, indem sie etwa die Weberaufstände und die Maschinenstürmerei auslöste. Wodurch? Als Spinnmaschinen und automatischen Webstühle verfügbar waren, fürchteten Menschen zurecht um ihr Brot, weil sich die Produktionsweisen völlig veränderten, die Heimarbeit verdrängt wurde, Fabriken und industrielle Zentren entstanden.
Eine harte Lektion: Man unterschätzt anfangs die Mühen, Stahl ohne Maschine zu bearbeiten, ganz erheblich.
Eine harte Lektion: Man unterschätzt anfangs die Mühen, Stahl ohne Maschine zu bearbeiten, ganz erheblich.

Für diesen Teil der Geschichte sind die Augsburger Weberaufstände von 1784/85 und 1794/95 sowie der Schlesische Weberaufstand von 1844 exemplarisch. Das ist noch Teil der ersten Revolutionsphase. Seit damals wird laufend menschliches Know how und Können an Maschinen übergeben. Sozialhistoriker Roman Sandgruber bietet Details, die auch für Laien sehr anschaulich machen, was quer durch die rund zwei Jahrhunderte der permanenten technischen Revolutionen möglich wurde.

Sandgruber: „Die Garnmenge, die ein Spinner verarbeiten kann, betrug mit der Handspindel ein halbes bis zwei Gramm pro Stunde, mit dem Spinnrad 4 Gramm, mit der Mule um 1800 ca. 400 g, mit einer Ringspinnmaschine um 1950 ca. 15 kg und mit den modernsten Open-End-Maschinen, die heute in der Linz-Textil arbeiten, ca. 400 kg.“

Sandgruber betont, daß der Schritt von den Webstühlen mit vertikaler Kette zu jenen mit horizontaler im Spätmittelalter entscheidend gewesen sei. Was folgte? Die Progression in der Neuzeit ist atemberaubend. „Auf urzeitlichen Webstühlen mit senkrechter Kette schaffte man einige Zentimeter Gewebe pro Stunde, auf mittelalterlichen Trittwebstühlen etwa 40 cm pro Stunde und mit einem mechanischen Webstuhl um 1850 etwa 4 bis 5 Meter. Heute werden in der Linz Textil pro Tag 55 Kilometer Stoffbahnen gewebt.“

Gehen Sie davon aus, daß wir derzeit noch gar nicht absehen können, welche neuen Erfahrungen uns bevorstehen, da nun Maschinen von Maschinen lernen und Dinge eigenständig miteinander kommunizieren.

Aber lassen Sie sich davon nicht gleich zu Schreckensbildern verleiten. In all dem liegt ja eine markante Einladung, neu zu klären, was die Conditio humana sei und wie wir unser Verhältnis zu unseren Werkzeugen wie Maschinen aktuell definieren möchten. Es ist auch die Einladung, das Menschsein und das Verhältnis der Menschen untereinander neu zu klären; und zwar nicht national beschränkt, sondern global.