Hirsch#
Die Säugetierfamilie der Cervidae umfasst mehr als 50 Arten, die vor allem in Europa, Asien und Amerika verbreitet sind. Rothirsch, Damhirsch, Reh, Ren und Elch zählen zu den bekanntesten. Schon vor 20 Millionen Jahren soll es Hirsche gegeben haben. Steinzeitliche Felsenzeichnungen zeigen geweihtragende Menschen und Tiere. Den Kelten soll der gehörnte "Cerunnos" heilig gewesen sein. Die griechische Mythologie brachte den Paarhufer mit der unbezähmbaren, jungfräulichen Göttin Artemis in Zusammenhang, die als Herrin des Waldes, der Tiere und der Jagd galt. Sie hätte den Jäger Aktaion in einen Hirsch verwandelt, weil er sie beim Bad in einer Grotte beobachtet hatte. Als solchen zerfleischten ihn seine eigenen Hunde. Nachdem Agamemnon eine Hirschkuh der Göttin erlegt hatte, forderte Artemis zur Sühne dessen älteste Tochter Iphigenie als Opfer. In der römischen Mythologie entspricht Diana der Artemis.
Den Rothirsch (Cervus elaphus) charakterisiert sein besonders großes und weitverzweigtes Geweih. Der aus Knochensubstanz gebildete Kopfschmuck ist eine begehrte Jagdtrophäe. In der Umgebung von Wien galt das "Edelwild" wegen des Geweihes, seiner Körpergröße und der Schwierigkeit, es zu jagen, als "König der Reviere". Von Karl VI. (1685-1740) ist überliefert, dass er Hirsche von 300 kg Gewicht erlegte. Viele Habsburger waren Jagdfanatiker. Erzherzog Franz Ferdinand und sein Gast, der deutsche Kaiser Wilhelm II., brachten allein am 19. September 1903 im Lainzer Tiergarten zehn kapitale Hirsche zur Strecke. Kaiser Franz Joseph war davon nicht begeistert. Er selbst schoss im Lauf seines langen Lebens 1436 Hirsche. Wenn ein starkes Tier erlegt wurde, war es Brauch, dass die Jäger vom Jagdherrn einen „Hirschdukaten“ erhielten. Manchmal errichteten sie dem Tier im Revier einen Gedenkstein. Darauf war das Abbild, Datum, Endenzahl und Gewicht eingemeißelt. Die Jagd war ein adeliges Privileg, dementsprechend dramatisch schilderten Lieder, Theaterstücke und Heimatfilme die Konflikte mit den Wilderern. Auch Jägerlieder sind zahlreich, wie das von Franz Schubert vertonte Gedicht: "Ich schieß’ den Hirsch im grünen Forst, Im stillen Tal das Reh…".
Buben, die eine hirschlederne Hose trugen, die oft als Zierrat ein Hirschlein aufwies, waren stolz, wenn sie einen "Hirschfänger" einstecken hatten, ein kleines Messer mit Griff aus Hirschhorn. Hingegen war der echte Hirschfänger eine 40 - 70 cm lange Blankwaffe zum Abfangen von großem Wild. Zunächst den Adeligen vorbehalten, führten später Jäger und Forstbeamte Hirschfänger als Seitenwaffe zur Jagduniform.
In sprichwörtlichen Redensarten kommt der Geweihträger durch seine Schnelligkeit vor, wie "frisch, flink, munter wie ein Hirsch". Ein "flotter Hirsch" ist ein Draufgänger ein "alter Hirsch" nicht nur ein erfahrener Soldat oder Pilot, sondern auch eine Predigt oder ein Vortrag, die vor Jahren gehalten und nochmals dargeboten werden. "Heimathirsch" war die scherzhafte Bezeichnung für jemanden, "der einen übertriebenen Lokalpatriotismus an den Tag legt und obendrein meist auffällig korrekt in der regionalen Tracht gekleidet auftritt."
In christlichen Legenden tritt ein (weißer) Hirsche mit einem (strahlenden) Kreuz im Geweih auf, so bei den Heiligen Eustachius und Hubertus von Lüttich. Dem römischen Feldherrn Placidus begegnete er auf der Jagd, daraufhin wurde dieser Christ, nahm den Namen Eustachius ("der Standhafte") an und starb den Märtyrertod. Die Eustachiusfeier im Lainzer Tiergarten (Wien 13) blickt auf eine mehr als 300-jährige Vergangenheit zurück. Die erste fand 1692 im Kloster Mariabrunn statt, wo kurz zuvor eine Jäger-Bruderschaft gegründet worden war. Es gab zwar wegen „sich verschiedentlich zeigenden Missbräuchen“ kaiserliche Verbote, doch ließen sich die Hofjäger die Teilnahme nicht verbieten. Die romanische Nikolai-Kapelle im Lainzer Tiergarten, die zu den ältesten Kirchen Wiens zählt, wurde im 19. Jahrhundert wurde k.k. Hofjagdkapelle. Davor findet alljährlich um den 20. September eine Messe mit Jagdhornmusik statt.
Hubert, geboren um 655, entstammte einer adeligen Familie. Auch an einem Karfreitag frönte er seiner Jagdleidenschaft. Dass er im Geweih eines Hirsches ein lichtglänzendes Kreuz sah, bewirkte seine Umkehr, später wurde er Bischof von Lüttich (Belgien). Beide Heilige zählen zu den Vierzehn Nothelfern, ebenso wie Ägydius. Er war nach der Legende ein vornehmer Athener, den in seiner Einsiedelei eine Hirschkuh mit Milch versorgte. Der König wollte dieses Tier erlegen, doch sein Pfeil traf den Eremiten. Als Buße versprach er ihm die Klostergründung - Saint Gilles. An der Pilgerstraße nach Santiago de Compostela gelegen, war es im Mittelalter ein beliebter Wallfahrtsort und der Heilige besonders populär. Zahlreiche Kirchen wurden ihm geweiht und Orte benannt, wie Sankt Ägyd am Neuwalde oder Sankt Gilgen am Wolfgangsee. Ägydius war der Landespatron der Steiermark.
Nicht nur in religiösen, sondern auch in superstitiösen Vorstellungen spielte der Hirsch eine Rolle. Besonders das Geweih galt als apotropäisch. Um Blitzschlag vorzubeugen, befestigte man es auf Kirchtürmen, weil man zu wissen glaubte, dass noch nie ein Hirsch vom Blitz getroffen wurde. Vom Wiener Stephansdom ist dies aus dem Jahr 1551 überliefert und so blieb es mehrere Jahrhunderte, obwohl es mehrmals eingeschlagen hatte und Feuer ausgebrochen war. Erst im 19. Jahrhundert entfernte man das Geweih und ließ daraus eine Pfeife schnitzen. Sie befand sich im Bierhaus "Zur Tabakspfeife" in der Inneren Stadt und war zwei Jahrzehnte die Sensation im Stammlokal der Ledererzunft in der Goldschmiedgasse. "Sie wog 227 Pfund, hatte ein Hauptrohr und 24 kleinere elastische Nebenrohre, aus denen die 24 ältesten Zunftglieder bei ihren fröhlichen Zusammenkünften in corpore zu rauchen pflegten." Der obere Teil des Pfeifenkopfes war als Eidechse gestaltet, der untere zeigte einen Bären und eine Schlange, auch ein Hirsch im Wald war abgebildet.
Zaubermittel trug man, in Hirschleder eingebunden, am Körper. Stücke vom Geweih, Hirschklauen und Eckzähne dienten als Amulette. Diese, "Grandln" genannt, galten als Jagdtrophäe und in Silber gefasst, als Schmuck. Sie waren auch Bestandteil von Freisenketten, die kleine Kinder schützen sollten. Vielfältig wusste man Teile des Tieres für Heil- und Zauberzwecke zu nutzen. Sogar die Kugel, mit der ein Hirsch erlegt wurde, sollte gegen Überbein und Nabelbrüche helfen.
In jüngster Zeit erlebt das Hirschmotiv eine Renaissance. Überall – nicht nur im Trachtensegment – ist es anzutreffen und hat sich zum beliebten Wohnaccessoire der urbanen Gesellschaft entwickelt. Das Motiv ist schick und modisch. Nur ältere Semester werden sich an Porzellanfiguren und Ölbilder erinnern, die den "röhrenden Hirsch" in dominanter Position zeigten. Dekorativ fand er sich auf gestrickten "Norweger-Pullovern".
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Beim Gasthaus "Zum goldenen Hirsch" in Hirtenberg, NÖ, 2015. Foto: H. M. Wolf