Lärmbräuche#
Lärm, Geräusche oder Musik bilden wesentliche Brauchelemente - eher sind sie laut als still. Kaum ein Arbeits- oder Festbrauch im Lebens- und Jahreslauf kommt ohne sie aus. Das "Fensterln" wäre eine private Angelegenheit gewesen, doch waren die entsprechenden Lieder weder geheim noch leise. Den lautstarken Abschied vom Ledigendasein nennt man bezeichnenderweise Polterabend. Zu den modernen Hochzeitsbräuchen zählen das Hupen im Autokonvoi und der Scherz, den Wagen des jungen Ehepaares mit einer Kette scheppernder Dosen zu versehen. Dabei steht der Spaßfaktor im Vordergrund, auch wenn populäre Erklärungsversuche gerne "uralte Fruchtbarkeitsbräuche" und "böse Geister" ins Spiel bringen. Solche Interpretationen sind längst überholt. Vielmehr geht es bei Lärmbräuchen um Freude und Angst - bei Lebensübergängen ebenso wie zum Jahreswechsel.
Knallkörper, Feuerwerke und das Läuten der Pummerin beherrschen die Klangkulisse der Silvesternacht. Das Neujahrskonzert bildet den ersten musikalischen Höhepunkt. Weltweit übertragen Fernsehstationen das hochkulturelle Ereignis. In der vorindustriellen Agrargesellschaft standen ganz andere Darbietungen am Jahresanfang, Nicht weil sie so schön, sondern notwendig waren, wie die Ansingelieder bei Heischebräuchen. Diese zählten zum überlieferten Brauchrecht von Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen, die zu bestimmten Terminen Geld oder Lebensmittel sammeln durften. Heischebräuchen liegt das Prinzip "Do ut des" zu Grunde, was sie vom Betteln unterscheidet. Wer nehmen will, muss geben. Arme Leute, die auf die Unterstützung der Wohlhabenden angewiesen waren, konnten nur etwas Immaterielles geben, wie Sprüche, Lieder oder Glückwünsche. Angesungen wurden einzelne Personen oder alle Hausbewohner, von einem oder mehreren Darbietenden, im Chor oder Wechselgesang. Zu Neujahr waren Wünsche üblich, wie der von Walter Deutsch überlieferte: "Wir wünschen dem Herrn einen goldenen Tisch, an jeder Ecke einen gebratenen Fisch. Wir wünschen der Frau einen goldenen Rock, sie kommt daher als wie ein Dock …" Zum Dreikönigstag gehen nicht nur die gut organisierten Sternsingerkinder oder traditionelle Männergruppen mit Liedern um. Besonders eindrucksvoll sind im Salzkammergut die Glöckler, die in weißen Kostümen mit meterhohen, leuchtenden Kopfbedeckungen durch die winterliche Landschaft laufen und bei den Bauernhöfen einkehren. Ihr Kommen kündigt sich durch die rhythmischen, dumpfen Töne der Kuhglocken an, die am Gürtel befestigt sind.
Die Ebenseer Glöckler zählen ebenso zum Immateriellen Kulturerbe Österreichs wie die Umzüge der Tiroler Fasnacht, wo Hauptfiguren nach ihren Lärminstrumenten Scheller und Roller heißen. Narrengilden in allen Bundesländern machen mit lauten Rufen - "Mö-Mö" in Mödling - auf sich aufmerksam. Bei Wiener Faschingsumzügen sind oft Trommelgruppen oder Guggenmusiken mit Blasinstrumenten aus dem alemannischen Raum zu Gast. Laut ist das auf jeden Fall, wenn auch selten harmonisch. Ganz anders bei den Bällen mit Walzer und klassischer Tanzmusik. Als Ottakring noch kein Teil von Wien war, spielte man im späteren 16. Bezirk - wie vielerorts in Niederösterreich - "Faschingbebraben". Bei der Parodie einer christlichen Beerdigung stellte eine Bassgeige die Leiche dar. Man wickelte sie in ein Tuch, bespritzte sie mit Wein und die Leidtragenden, die im Kreis herumstanden, "zechten und schmausten, sangen und jauchzten", berichtet Leopold Schmidt.
Wenn mit dem Aschermittwoch die Fastenzeit beginnt, wird es ruhiger und die Tonart ändert sich. In der Karwoche zeigt sich die Verwendung verschiedener Geräusche besonders deutlich: Was gerade angemessen ist, hängt vom Anlass ab. Am bekanntesten ist der Übergang von den klappernden Ratschen in den Kartagen zum feierlichen österlichen Glockenklang. Seit 2015 steht der vorösterliche Lärmbrauch auf der UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes. Der Antrag kam aus der Steiermark. Der Initiator, Tischlermeister Franz Ederer aus St. Kathrein am Offenegg, ist einer der letzten Ratschenbauer Österreichs. Er stellt mehr als 30 verschiedene Modelle her.
Kirchliche Gesänge sind meist getragener als weltliche Lieder, aber das war nicht immer so. Beispielsweise war die Christmette in der Barockzeit laut und lustig. Als überaus beliebt erwiesen sich Hirtenmusik mit Dudelsack und Drehleier, Nachtwächter-Rufe und die mit Wasser gefüllten tönernen Nachtigallenpfeifen, die wie Vogelstimmen jubilierten.
Mit Geräuschen ließ sich vieles auf einfache und unmissverständliche Art ausdrücken, etwa Warnungen bei Gefahr. Signale, wie Sirenen, waren weithin hörbar - aktuell sind es die Folgetonhörner der Einsatzfahrzeuge. Fabriksirenen markierten die Mittagsstunde. Dies war traditionell eine Funktion der Kirchenglocken, die nicht nur dem liturgischen Gebrauch dienten. Sie strukturierten die Zeit, als noch wenige Leute eigene Uhren besaßen. Beim Ave-Läuten am Abend mussten die Kinder daheim sein. Sonst, so drohte man ihnen im Marchfeld, hole sie die Klakanitza, eine Hexe. Jahrzehntelang waren die Mittagsglocken bei der Übertragung von "Autofahrer unterwegs" die meist gehörte ORF-Sendung. Kunstvolle Glockenspiele findet man in Niederösterreich u. a. im Stift Heiligenkreuz, am Badener Rathaus und auf einem Kremser Stadttor. Tiere, wie Pferde oder Kühe, tragen Schellen und Glocken, um auf ihr Herannahen aufmerksam zu machen.
Katzenmusik oder Charivari (frz. Durcheinander, Krawall) war ein Spott- und Rügebrauch, der mit Lärminstrumenten durchgeführt wurde. Mit Topfdeckeln, Ratschen, Glocken, Trommeln und anderen Geräten drückte eine Gruppe ihr Missfallen gegenüber einer anderen oder Einzelpersonen aus. Der Brauch galt als "außerhalb des Gesetzeskodex stehende Volksrechtspflege". Katzenmusik diente bei der Revolution 1848 in Wien als Unmutskundgebung.
Andererseits galt das Salutschießen mit Kanonen, Böllern oder Gewehren als Ehrerbietung. Bei Fronleichnamsprozessionen war es ebenso am Platz wie bei kaiserlichen Geburten. Schützen pflegen die Überlieferung. Der 1892 gegründete Landesschützenverband Niederösterreich zählt mehr als 4.000 Mitglieder. Als "gemeinnütziger Zweck" wird "die Pflege, Förderung und Lenkung des sportlichen Schießens und der Schützentradition" definiert.
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Ratschen beim Grafenegger Frühling, um 2019. Foto: Helga Maria Wolf