CSI Graz – und das vor mehr als 100 Jahren #
Im Dezember 1915 starb der Grazer Hans Gross, der Begründer der Kriminalistik als Wissenschaft. Noch heute hat er weltweit Bedeutung. #
Mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt von der Kleinen Zeitung (Montag, 28. Dezember 2015)
Von
Norbert Swoboda
Es weht ein Hauch von 19. Jahrhundert ins 21. Jahrhundert herüber, sieht man sich den Tatortkoffer von Hans Gross an. CSI anno 1893: Der gebürtige Grazer, der vor 100 Jahren starb, war mit dieser „Kommissionstasche“ seiner Zeit weit voraus. Er gründete die Kriminalistik, die Lehre von der Bekämpfung von Straftaten und Straftätern.
Der gebürtige Grazer Hans Gross (1847) ging zunächst in Admont und in Graz zur Schule, ehe er Jus studierte. Mehrere Stationen im Justizdienst (URichter in Leoben, Staatsanwalt etc.) brachten ihn mit der Praxis in Berührung. Schon früh erkannte er, dass man naturwissenschaftliche Methoden zur Wahrheitsfindung einsetzen müsse.
Ein Schlüsseljahr wurde das Jahr 1893: Sein „Handbuch für Untersuchungsrichter“ erschien, womit er die künftige Wissenschaft begründete. Welche Kriminalitätsformen gibt es, wie ist das „Wesen der Verbrecher“ beschaffen, wie geht man praktisch am Tatort vor? Das waren die Themen. Das Buch wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und erlebte zahllose Auflagen Es war beinahe 50 Jahre das Standardwerk in der Kriminalistik.
„Das Besondere bei Hans Gross war die Verbindung von Praxis und Theorie“, erklärt Christian Bachhiesl, der an der Universität Graz das Hans- Gross-Kriminalmuseum betreut und zu dem Thema forscht und publiziert. Um die Verbindung von Theorie und Praxis ging es Gross, als er 1893 die Einrichtung einer Lehrkanzel für Kriminalistik als strafrechtliche Hilfswissenschaft forderte. Dies wurde zwar zunächst in Wien nicht erhört, aber das Justizministerium beauftragte ihn, einen Kurs für Untersuchungsrichter durchzuführen.
Wie sehr Gross an die Praxis dachte, wird in dem Tatortkoffer sichtbar. Der Beamte sollte nicht nur forensische Hilfsmittel mit sich führen, sondern auch Bonbons, um Kinder zu „bestechen“. Warme Strümpfe sollten ebenso eingepackt werden wie Zigarren, mit denen man den Obduktionsgeruch bekämpfen könne. Anfragen kamen aus ganz Europa und sogar aus Übersee.
Ein Jahr später veröffentlichte Gross das „Lehrbuch für den Ausforschungsdienst der k. k. Gendarmerie“. Dabei empfahl er auch erstmals, Hunde bei der Aufklärung bestimmter Straftaten einzusetzen.
Konsequenterweise gründete er eine Lehrmittelsammlung, die zur Ausbildung von Studenten, Beamten und U-Richtern diente. Sie war die erste in Europa.
Fünf Jahre später veröffentlichte Hans Gross sein zweites bedeutendes Werk, die „Criminalpsychologie“. Hier bot er dem Kriminalisten eine Zusammenstellung psychologischer Lehren, um Täter und Tathergang besser einschätzen zu können.
Späte Berufung nach Graz #
Seine Tätereinteilungen würde man heute nicht mehr akzeptieren – Vererbungsthesen und Degenerationsthesen lehnt man heute ab. Genetik stand ja damals hoch im Kurs, aber antisemitisch war Gross nie. Spätere Nachfolger wie Ernst Seelig dienten sich allerdings den Nazis an.
Erst über Umwege stieg Gross in die akademischen Hallen auf; völlig anerkannt wurde er dort nie. 1898 wurde er nach Czernowitz berufen, 1902 nach Prag und 1905 endlich nach Graz.
Doch gerade die letzten Jahre waren für Gross von einer persönlichen Tragödie überschattet. Sein Sohn Otto, ein bekannter Psychiater und Psychoanalytiker, verfiel den Drogen und wurde Anarchist. Gross ließ ihn entmündigen und in eine Irrenanstalt einweisen. Er selbst starb am 9. Dezember 1915 in Graz und verbat sich jede Form von Begräbnisspektakel.
ZUR PERSON #
Hans Gross wurde 1847 in Graz geboren. Schule und Studium (Jus) in Admont und Graz, Beamter in Feldbach, Graz, Leoben.
1905 wurde er an die Universität Graz berufen (Professor für Strafrecht), 1913 wurde das Kriminalistische Institut an der Universität gegründet. Gross starb am 9. 12. 1915.
Der Tatortkoffer#
Hans Gross fasste erstmals kompakt alles in einem Koffer zusammen, was man als Polizist oder Gendarm am Tatort braucht.
- Akten und Schreibutensilien: Löschpapier, Briefpapier (zum Einwickeln von kleineren Corpora Delicti), Formulare für Befragungen und Lokalaugenscheine, Pauspapier, Durchschlagpapier (zum „Abklatschen“ von Spuren) etc.
- Chemikalien: für Untersuchungen am Tatort (z. B. Substanzen zur Blutidentifizierung, Präzipitin für die Unterscheidung von Tier- und Menschenblut, Rußpulver zum Sichtbarmachen latenter Fingerabdrücke; Bleiweiß, Eisenspäne etc.
- Seifenblätter
- Seife
- Kleines Kruzifix mit zwei Kerzen: zur Vereidigung von Zeugen, Sterbenden; sogenannte „Schwurgarnitur“
- Glasröhre: zur Verwahrung von Objekten, z. B. von gefundenem Arsen, oder des Mageninhalts obduzierter Leichen
- Bürste: zur Reinigung
- Apotheke
- Amtssiegel
- Verschiedene Gegenstände (unter dem Zwischenfach): etwa Wechselstrümpfe, weil man ungern mit nassen Füßen arbeitet; Feldstecher; Zigarren, weil das Obduzieren von Leichen ohne Tabak sehr lästig fällt
- ein Blechkästchen mit Gipspulver: zur Abnahme von Fußspuren; dazu wurden auch Öl und Leim verwendet, wenn Gips zu schwer war, z. B. bei Spuren im Schnee
- Reißnägel
- Kompass
- Strafakt des Falles, um den es konkret geht
- Schrittzähler: den soll man bei Gebrauch in den Stiefel stecken und nicht in die Westentasche, damit er auch jede Erschütterung registriert
- Maßband: vermessen wurden alle möglichen Spuren und Distanzen; bei Fußspuren u. a. auch die Schrittlänge, weil man laut Gross von der Schrittlänge auf den Beruf des Spurenlassers schließen kann
- Bonbons: zum Bestechen von Kindern, die sich nicht trauen auszusagen
- Wachskerze
- Etui mit Faltlaterne
- Streichhölzer
- Siegellack: zum Ausgießen von Einkerbungen etc.
- Zirkel
- Stifte: zum Schreiben und Abpausen und Pinsel zum Auspinseln von Fußspuren vor dem Gipsabguss und zum Abnehmen von Fingerabdrücken
- Lupe
- Allzweckwerkzeug: Hacke, Hammer, Schraubenzieher etc.