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Die steirische Mundart im Rahmen der deutschen Sprache#

von Günther Jontes, Mai 2019

Zum Beginn etwas Prinzipielles

Die Deutsche Sprache hat sich vor etwa 1500 Jahren von germanischen Dialekten durch Vorgänge, die man Lautverschiebung nennt, gelöst. Sie gehört gemeinsam mit dem Englischen und Friesischen zu den westgermanischen Sprachen. Die ostgermanischen (Gotisch) und südgermanischen (Langobardisch) sind ausgestorben, ebenso das Westgermanische der Iberischen Halbinsel. Ihr Wortschatz ist zum Teil in Nachfolgesprachen aufgenommen worden. Nur das Nordgermanische konnte sich halten und weiterentwickeln und lebt heute im Isländischen, Norwegischen, Schwedischen, Dänischen und Färöischen weiter.

Die germanischen Sprachen gehören wie die slawischen, baltischen, italischen und das Griechische zum großen Bereich der indogermanischen Sprachen. Der Name „indogermanisch“ wird heute meist durch das weniger präzise „indoeuropäisch“ ersetzt. Mit „indogermanisch“ wird die West-Ost-Erstreckung von der Iberischen Halbinsel (Westgoten) bis nach Nordindien markiert, wo mit Sanskrit und dessen Tochtersprachen der östlichste Bereich erreicht, wenn man vom Tocharischen absieht, das noch weiter abgerückt ist. Die Wissenschaft von der Verwandtschaft aller dieser Sprachen ist die Indogermanistik als ein Teil des Faches Vergleichende Sprachwissenschaft.

Die germanischen Sprachen haben sich durch die 1. Lautverschiebung vom Urindogermanischen getrennt: pater > fathar. Die Folge war die Sprachstufe des Althochdeutschen, dem dann im Laufe von etwa 1500 Jahre das Mittelhochdeutsche, das Frühneuhochdeutsche und dann unser heutiges Neuhochdeutsch folgten.

Der Gesamtbereich des Deutschen lässt sich in drei Teile gliedern. Im Süden herrschen die oberdeutschen Mundarten des Bajuwarischen (Bayern und Österreich mit Ausnahme von Vorarlberg) und Alemannischen (u.a. Schweiz, Schwaben, Elsass). Sachsen und Thüringen gehört zur mitteldeutschen Dialektgruppe, die aber mit der oberdeutschen den Bereich Hochdeutsch bildet. Da hat noch die 2. Lautverschiebung gewirkt, die Norddeutschland („die Waterkant“) nicht erreicht hat: water > wasser, appel>apfel. Dies ergab das Niederdeutsch oder Plattdeutsch, welches im Mittelalter sogar Schriftsprache der Hanse war und noch im 19 und 20. Jahrhundert mit hervorragenden Dichtern wie Fritz Reuter glänzte.

Was so geläufig im allgemeinen Sprachgebrauch als Hochdeutsch benannt wird, sollte man besser Deutsche Hochsprache oder Schriftsprache nennen. Sie ist schriftlich kodifiziert und geht in ihrer heutigen Form lautlich, wortschatzmäßig und syntaktisch auf Martin Luther, die mittelalterliche Prager Kanzelsprache und die Dichter der Deutschen Klassik (Schiller, Goethe usw.) zurück, ist aber als lebendiger geistiger Organismus ebenfalls einem Wandel unterworfen.

Neben dieser Sprachstufe existieren aber – und das noch sehr lebendig – innerhalb des deutschen Sprachbereichs von Südtirol bis Schleswig-Holstein eine Unzahl von regional und lokal höchst unterschiedlichen Dialekten, die sich in den Lautungen, dem Wortschatz und dem Satzbau untereinander unterscheiden. Ihr Zustand hat sich aus historischen, politischen, siedlungsgeschichtlichen, wirtschaftlichen und verkehrsbedingten Umständen ergeben. Der Begriff Dialekt wird häufig auch als Mundart bezeichnet, was den jeweiligen Sprecher besser charakterisiert.

Daneben gibt es auch noch den Begriff Soziolekte, die soziale Schichten und deren Unterschiede im Sprachgebrauch manifestieren (Adel, Klerus usw.). „Fachsprachen“ hingegen sind solche, die im Wortschatz Besonderheiten zeigen, die auf Berufe oder Fähigkeiten hinweisen: Jäger, Seeleute, Imker, Sportler usw.

Die wissenschaftliche Erforschung der deutschen Mundarten begann im frühen 19. Jahrhundert vor allem durch die die Gebrüder Grimm. Damals entstanden auch die ersten Mundartwörterbücher. Das heute größte Projekt dieser Art ist das Bairisch-Österreichische Wörterbuch, das von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München und der Österreichischen in Wien gemeinsam in Lieferungen herausgegeben wird. Seit vielen Jahrzehnten wird bereits daran gearbeitet und man ist lexikalisch bis jetzt etwa bei der Hälfte angelangt. Das erste gesamtbairische Wörterbuch wurde im 19. Jahrhundert von Johann Andreas Schmeller herausgegeben und heute noch von Bedeutung. Wie sehr sich regionale Besonderheiten darüber hinaus ergeben, zeigt der 1903 in Graz erschienene „Steirische Wortschatz“ als Ergänzung zu Schmellers Werk. Es wurde vom Autor 2009 mit seinen fast 700 Seiten im Verlag der Akademischen Druck- und Verlagsanstalt (ADEVA) Graz neu herausgegeben.

Die orthographische Unterscheidung von Bairisch und Bayrisch wurde im 19. Jahrhundert getroffen. Politisch hinterlegte Begriffe wie etwa Freistaat Bayern enthalten das –y-, kulturelle und sprachliche das –i-. Man sagt, dass die emotionale Neigung des Königshauses der Wittelsbacher, die dann ja auch das griechische Königtum erlangten, zur griechischen Antike diesen altgriechischen Buchstaben in unsere Sprache brachte.

Bairisch ist auch die hochsprachliche Besonderheit des Österreichischen Deutsch. Es gibt keine Österreichische Sprache, sondern nur das Österreichische Deutsch, das sich in gewisser Weise im Wortschatz vom Deutsch, wie es in der Bundesrepublik und Teilen Bayerns gesprochen wird, unterscheidet und in seinen Eigenheiten und originellen Wendungen ein wunderschöner Beitrag zum gesamten Deutsch ist. Er ist im in zahlreichen Auflagen erschienen und immer wieder ergänzte Österreichischen Wörterbuch niedergelegt, dem in Deutschland der Duden entspricht, der für uns aber ebenfalls Autorität für den hochsprachlichen Bereich besitzt. An Beispielen wie Marille/Aprikose, Knödel/Klöße, zu Ostern/an Ostern usw. kann der aufmerksame Beobachter erkennen, dass wie in Speisekarten auch der Tourismus und die Fernsehreklame solche unterschiedlichen Wörter in unseren Alltag gebracht hat.

Mundarten sind keine erstarrten Komplexe, bei welchen sich nichts ändert. Im Gegenteil. sie wandeln sich nicht nur durch Neuerungen, sondern bewahren auch Wörter und Eigenheiten, die der Hochsprache längst verloren gegangen sind und in ihrer Form seit dem Althoch- und Mittelhochdeutschen, auch Klosterlateinischen nur in den Mundarten überlebt haben. Wer ahnt wohl, dass in der steirischen Korbflechterahle Fliam der tausendjährige Begriff Phlebotomus überdauert hat, der den Schnäpper meint, mit welchem der damalige Arzt beim Aderlass die Vene des Patienten öffnete ?

Die bairischen Mundarten werden in die Nord-, Mittel- und Südbairische Gruppe geschieden. Und es ist bedeutsam, dass die mittel- und südbairische durch eine Linie getrennt sind, die ungefähr über den obersteirischen Schoberpass in Ost-Westrichtung verläuft und die diesbezüglichen Systeme deutlich unterscheidbar macht.

Mundarten sind heute meist auf dem Lande im bäuerlichen Bereich lebendig, wenngleich sich aus erwähnten Gründen auch territoriale Verschiebungen ergeben haben. Was eher aus den Mundarten verschwindet sind Wörter, die an Sachen gebunden sind, die es nicht mehr gibt. Wer kann heute noch die Teile einer Sense benennen, seitdem nur mehr selten mit diesem Gerät, sondern fast nur mehr mit dem Motormäher gearbeitet wird. Hier greift schon die Wissenschaft ein, sammelt und dokumentiert, erklärt und publiziert solche Sammlungen.

Wir stehen auch vor dem Phänomen der Mundartpflege. Einen wichtigen Platz nehmen hier auch die sogenannten Mundartdichter ein, von denen es sehr gute, mittelmäßige und schlechte gibt. Letztere erkennt man daran, dass die schriftlich vorgetragene Mundart mit hochsprachlichen Wörtern durchsetzt wird, die es in den Dialekten gar nicht gibt. Manche dieser Poeten versuchen, ihre eigene regionale oder lokale Mundart schriftlich wiederzugeben. Der Autor wird selber immer wieder gefragt, wie man dieses oder jenes schriebe. Und ich kann nur antworten, dass man es so niederlegen möge, wie man es hört. Die Wissenschaft bedient sich ja einer genormten Umschrift, die konsequent in der Dichtung angewandt, diese Poeme unlesbar machen würde.

Es ist immer schwierig, wenn nicht müßig, Überlegungen über die Zukunft kultureller Erscheinungen anzustellen. Wer hätte noch vor kurzer Zeit daran gedacht, dass durch SMS eine neue Kurzsprache voller überraschender Wendungen entstehen würde, die besonders aus der Mitte der Jugend hervorgegangen ist? Es wird sich der Wortschatz durch den Eingriff neuer Technologien erweitern. Es ist ja auffällig, dass auch in Hoch- und Umgangssprache englische Wörter aus der Welt des Computers in der Originalschreibung angenommen, jedoch deutsch flektiert ersetzt hat. werden z. B. mail-en, blog-gen, update-n usw. Die Umgangsprache wird sich in Städten und anderen größeren Siedlungen eher und mehr verändern als die Sprache mehr ländlich gebliebener Gebiete. Eines der Wörter, die ganz organisch von der Jugend angenommen wurden, ist das bereits landläufige cool, welches das ältere klass und lässig verdrängt hat.

Beim Wortschatz der Gastronomie ist es ja in den Speisekarten der Restaurants auffällig, dass man sich hier an Gäste aus dem übrigen deutschen Sprachraum schon seit längerer Zeit anpasst: Sahne statt Rahm oder Obers u.s.w. Das lässt sich auch im sprachlichen Hintergrund des Sports beobachten, wo das Englische vor allem im Fußball seit mehr als hundert Jahren einen neuen Wortschatz geliefert hat. – Ich glaube, dass man generell sagen kann, dass es die Eigenarten steirischer Mundarten trotz moderner Kommunikationstechnologien und touristischer Einflüsse in phonetischer Hinsicht noch lange Zeit relativ unbeschädigt geben wird, dass aber der Schatz an Wörtern noch starken Veränderungen unterworfen sein wird.

Ein gewisses Bedenken ruft allerdings hervor, dass ein besonders wichtiges Wortfeld, nämlich das des Grußes und des Grüßens ersetzt wird. Die auf die Tageszeiten Bezug nehmenden Grußformeln von Guten Morgen bis Gute Nacht und Abschied weichen einem relativierenden, für alles gültigen Hallo. Dieser alte Ruf, der dem Fährmann auf dem gegenüber liegenden Flussufer bedeutete, dass jemand abgeholt zu werden wünschte und wohl so wie Hol (mich) a(b) gelautet haben muss, hat also eine überraschende neue Bedeutung erlangt. Bei der Jugend noch intensiver zu spüren ist ein solcher Austauschbegriff mit dem amerikanischen High – Hai.

Wert wolle wohl darauf gelegt werden, dass man Mundart „wie der Schnabel gewachsen ist“ nur dann und dort verwendet – wenn man sie beherrscht – wo dies inhaltlich und der Sprechsituation geschuldet vertretbar ist. Der Autor selber legt größten Wert darauf, dass im schulischen und universitären Lehrbetrieb hochsprachlich gesprochen und formuliert wird. Den Bildungsgrad von Politikern kann man im übrigen sehr gut daran erkennen, wie sie bei öffentlichen Auftritten mit der Sprache umgehen.

Das „Steirische“

Hierzulande gibt es ein Mundartwort, das auf einen jeweils spezifischen Dialekt Bezug nimmt. Es handelt sich um das „Stoansteirische“. Dieses gibt es natürlich nicht als einheitliche Sprache, sondern wird von den „steirisch“ Sprechenden jeweils auf die eigene bezogen. „Stoan-/ stein-„ ist eine Art von Steigerungsform, wie sich auch in „steinalt“ oder „steinreich“ vorkommt, hier jedoch im Gegensatz zu „stoansteirisch“ nur hochsprachlich Verwendung findet.

Interessant ist es, zu beobachten, wie Leute außerhalb des Landes, häufig Wiener und Kabarettisten unsere Mundarten zu hören vermeinen und auch spöttisch wiederholen. Sie ahmen besonders o-Dehnungen als –ou- nach wie etwa als „souwiesou“ und es gibt die Scherzfrage nach einem steirischen Ort, in welchem der Reihe nach alle Vokale vorkommen. Da wird dann das obersteirische Donawitz als „Daeiounawitz“ ausgesprochen.

In der Mundartdichtung wurde schon früh versucht, eine vorgebliche Einheit des „Steirischen“ zu konstruieren. Ein gutes Beispiel dafür sind die Mundartgedichte und die Mundartprosa bei Peter Rosegger. Er verfasste seine Mundartdichtungen in einer phonetischen Schreibweise und bemühte sich, den Leser nicht durch ausgefallene Wörter zu strapazieren. Seine Werke „Zither und Hackbrett“ (1870) und „Stoansteirisch“ (1885/89) zählen zu seinen bekanntesten. Der Meister der steirischen Mundartdichtung ist allerdings Hans Kloepfer (1867-1944), der mit seinen „Gedichten in steirischer Mundart“ (1924) seine heimatliche weststeirische Mundart in feinsinnigster Weise zum Ausdruck bringt und ihr poetische Größe verleiht.

Die „Grazer Mundart“

In Orten ab einer gewissen Größenordnung dominieren nicht mehr die Mundarten mit ihren lautlichen und wortschatzmäßigen Besonderheiten. Hier kann zwar besonders in den Lautungen die ländliche Umgebung manchmal mitschwingen. Man benennt aber die spezifisch städtischen Ausdrucksweisen mit dem Wort Jargon. Dieser ist nicht unbedingt fest an einen Ort gebunden, wenngleich es auch lokale Besonderheiten gibt. So gibt es das Wort Zechenpracker für „Steinschleuder“ nur in Graz. Aber man findet das meiste auch breitflächig gestreut in vielen Orten.

Ein Grazer Beispiel möge dies illustrieren: „Sich lachend über etwas freuen“ kommt hier bei Jargonsprechern, vor allem auch bei der Jugend folgender Wortschatz zum Ausdruck: sich zerpecken, zerfransen, zerkugeln, zerhacken. Das ist sehr beachtlich und zeigt die Ausdruckskraft dieser Stadtsprache. Gewaltakte wie sie nicht selten sind, haben eine noch größere Bandbreite wie etwas das Austeilen von Ohrfeige: abfotzen, abwatschen, abdetschen, jemandem eine auflegen, stecken, verpassen, schmieren, schießen, kleschen, pracken, reiben, zischen. Ein menschliches Grundbedürfnis ist der Schlaf und da hört man dann pfeifen, schlunzen, pilseln. Man kann sich auch ausmalen, wie breit gefächert erst der Wortschatz über erotische und sexuelle Belange ist.

Diese Stadtsprache ist nicht feinsinnig, ja oft sehr grob und vulgär. Dadurch kommt es zum Beispiel bei den Wörtern für die Geschlechtsteile zu Tabuisierungen, deren Bruch wieder auf bestimmte Teile der Gesellschaft fällt. Jargonwörter stammen zwar oft aus der Hochsprache, gewinnen aber andere Inhalte. Originär sind auch Wörter der Nahrungsaufnahme: habern, zwicken, würfeln, einhauen. Ein neues Verhältnis zur Tierwelt hat auch dazu geführt, dass Tiere nun auch essen und sterben und nicht wie früher fressen und eingehen.

Umschreibungen zeugen auch von Humor, wenn z. B. der Friseur als Glatzentischler oder der Zahnarzt als Pappenschlosser dasteht.

Besonders Jugendliche sind da sehr kreativ, wenngleich Wortmoden oft sehr schnell wechseln. Das ist eben Leben der Sprache als unser ureigenstes menschliches Eigentum. Der Autor dieser Betrachtungen hat zwei irrationale Wünsche: Er möchte wissen, wie unser Deutsch vor 1200 Jahren geklungen hat und ebenso was in tausend Jahren von unserer schönen deutschen Muttersprache übriggeblieben ist.


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