Wie wir Jesus begegnen sollten#
Von
Herbert Kohlmaier
Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 220/2017
Ich will im Folgenden ein besonderes Erlebnis schildern, das mich sehr beeindruckt und zu wei-terem Nachdenken angeregt hat. Ein Freund von mir, der so wie ich auf eine lebendige Kirche für Menschen unserer Zeit hofft, gestaltete an einem Wochentag eine familiäre Feier mit einem besonderen Gottesdienst, den er sorgfältig vorbereitet hatte. Etwa zwanzig dazu eingeladene Per-sonen waren anwesend, darunter meine Frau und ich. Es war kein Priester dabei.
Wir versammelten uns an Tischen, die in der Mitte kreisförmig aufgestellt waren, sodass wir eine Gemeinschaft bildeten, bei der jeder alle anblicken konnte. Wir fanden Texte vor, die in ihrer Abfolge den Anwesenden zugeteilt waren und im Zuge der Feier vorgetragen wurden. Es gab eine sehr schöne Musikbegleitung, am Beginn und zwischendurch wurden Lieder u. a. aus dem „Gotteslob“ gesungen.
Der Gottesdienst, zu dem wir eingeladen wurden, war frei gestaltet, aber lehnte sich mit seinen Elementen an die katholische Eucharistiefeier an. Ein Tagesgebet wurde gesprochen, dem die Lesungen folgten. Nach dem Halleluja war mir der Vortrag des ausgewählten Evangeliums über-tragen. Sodann wurde von allen dieses Glaubensbekenntnis gesprochen:
Ich glaube an Gott, der die Liebe ist und der die Erde für alle Menschen geschaffen hat.
Ich glaube mit Jesus, der seine Botschaft verkündet hat, um uns zu heilen und uns von jeder Unterdrückung zu befreien.
Ich glaube durch den Geist Gottes, der in allen und durch alle wirkt, welche die Wahrheit bezeugen.
Ich glaube an die Gemeinschaft der Christen, die berufen ist, im Dienst aller Menschen
zu stehen.
Ich glaube an Gottes Verheißung, die Macht der Sünde zu brechen und sein Reich der Gerechtigkeit und des Friedens für alle Menschen zu errichten. Amen.
Nach den Fürbitten wurde von einem der Feiernden das Gabengebet vorgetragen, welches mit folgenden Worten endete: „Jesus ist für Christen der, welcher für uns Brot zum Leben sein will, und so sprechen wir gemeinsam den Segen über das Brot“. Dies taten alle mit folgenden Worten: „Gesegnet seist Du, unsere Gott, König des Universums, der du das Brot aus der Erde hervor-bringst“. Der Segen über den Wein wurde von einer Frau eingeleitet und von allen gesprochen: „Gesegnet seist du, König der Welt, der die Frucht des Weinstocks geschaffen hat“. (Beides aus dem Kaddisch, dem jüdischen Heiligungsgebet.) Frauen und Männer trugen dann abwechselnd das Gebet vom Reich Gottes vor.
Danach wurde ein vorbereitetes Brot auf den Gabentisch in der Mitte gebracht, gebrochen und verteilt. Der Gastgeber ging mit einem Krug Wein zu den Tischen und goss ihn in die dort be-findlichen Gläser. Alle erinnerten mit gemeinsam gesprochenen Worten daran, dass Jesus als Zeichen der Liebe zu Gott und der Liebe zueinander Brot und Wein nahm, segnete und verteilte, und ebenso, dass er uns mit der Fußwaschung ein Beispiel gab.
Vor dem gemeinsamen Essen und Trinken wurde folgendes Vaterunser gesprochen:
Vater, Mutter, Urgrund des Kosmos,
dein heiliges Licht erstrahle in uns,
dein Reich der Liebe beginne.
Deine Sehnsucht werde zur unsrigen, jetzt und hier, in unsrer Welt.
Gewähre uns stets, was wir zum Leben nötig haben.
Löse uns von Zwängen und Fehlern, die uns fesseln,
so, wie wir all jenen verzeihen, die durch eigene Zwänge und Fehler gebunden sind.
Lass nicht zu, dass uns oberflächliche Dinge in die Irre führen
sondern befreie uns von allen negativen Gedanken, Worten und Werken,
denn aus Dir kommt die ewige Liebe und die lebendige Kraft. Amen
Die Feier endete mit einem aus dem Anlass gegebenen besonderen und einem allgemeinen Se-gen, dem Dank und einem Schlusslied. –
Soweit mein Bericht, den ich hier nur in geraffter Form geben kann. Dabei geht es mir nicht um die einzelnen gewählten Formulierungen, sondern um den Charakter des Geschehens. Aus vielen Gründen empfanden es alle Teilnehmer als sehr ergreifend. Warum wohl?
Es war dies zunächst schon deswegen der Fall, weil wir uns in sichtbarer und spürbarer Gemein-schaft versammelten, einander zugewendet, also in der Lage, miteinander sichtbar, hörbar und spürbar zu kommunizieren, auch wenn wir einander teilweise das erste Mal begegneten. Ich erin-nere mich hier an das Wort vom Herrenmahl, das die junge Christenheit feierte, und das als sol-ches die wohl geeignetste Art ist, sich des Abends vor dem Tod Jesu zu erinnern. Und das ist ja der eigentliche Gehalt der Eucharistiefeier!
Die Treue zum überlieferten Geschehen trifft besonders für das Brechen eines tatsächlichen Laib Brotes und das miteinander Trinken des Weines zu. Es bedurfte nicht des Ritus einer „Wandlung“, wozu auch? Was hätte da noch zusätzlich geschehen sollen, damit Jesus unter uns ist? Hat er uns das doch zugesagt, wenn wir uns in seinem Namen versammeln! Ohne Wenn und Aber und ohne die Voraussetzung des Absolvierens bestimmter später ausgetüftelter ritueller Handlungen, die erdachte Wirkungen („Realpräsenz“) erst herbeiführen sollten. Wirklich wohltuend empfand ich – und den anderen wird es wohl ebenso gegangen sein –, dass jene Elemente der katholischen Messfeier entfielen, die in Wahrheit eine Verfremdung des Heilsgeschehens bedeuten. Das Wort Opfer kam nicht vor, kein Lamm Gottes wurde uns entgegengehalten. Wir saßen auch während der ganzen Feier und konzentrierten uns auf die Worte und deren tiefe Be-deutung, entsprechend dem Umstand, dass wir uns nicht als Verpflichtete zum Exerzitium kultischer Übungen empfanden, sondern als Gäste einer wunderbaren Einladung, die in Wahrheit von Jesus ausgeht.
Wirklich wohltuend, ja geradezu befreiend war, dass wir nicht das so genannte apostolische Glaubensbekenntnis sprachen, welches ja in Wahrheit kein Ausdruck des Glaubens ist, sondern eine uns liturgisch auferlegte Bekräftigung der Abwehr von einst angenommenen „Glaubensirrtümern“. Und das noch dazu unter Berufung auf antike religiöse Vorstellungen, die heute weder bekannt noch überzeugend sind.
Wenn ich jetzt hinzufüge, dass wir bei dieser Zusammenkunft das Handeln eines Priesters nicht vermissten, möge das nicht falsch verstanden werden! Niemand wird sich anmaßen, Geistliche als überflüssig zu empfinden, denn Menschen, die Seelsorge zu ihrem Beruf wählen, verdienen in hohem Maß dankbaren Respekt. Dabei ist aber das Wort Seelsorge zu betonen, in allen seinen wertvollen und unverzichtbaren Ausprägungen! Priester sind aber nicht als Voraussetzung für eine im Glauben tief empfundene Feier der Eucharistie zu betrachten. Wenn sie eine solche lei-ten, was ja leider immer seltener geschehen kann, ist das erstrebenswert. Doch leider arg getrübt durch den Zwang, konstruierte und den Menschen immer mehr fremd werdende Formeln zu gebrauchen, die mit der Nachfolge Jesu und der Befolgung seines Beispiels nichts zu tun haben, ja diesen Zielen sogar zuwiderlaufen.
Gottlob gibt es Priester, die das verstehen und freiere Formen der Eucharistiefeier pflegen, aber sie sind die Ausnahme und finden im spärlichen Nachwuchs kaum Nachfolger. Ebenso müssen wir dankbar dafür sein, dass es – allerdings erzwungen vom drückenden Priestermangel – heute Wortgottesfeiern gibt, die von engagierten Männern und Frauen im Einklang mit einem wohlver-standenen Christenglauben gestaltet werden. Meist werden sie gern angenommen.
Können wir hoffen, dass die Menschen immer mehr solche authentische Gottesdienste erleben und damit wieder zur Kirche finden können? Also Feiern, die Freude bereiten und Kraft geben, weil sie nicht bloß das Abspulen eines heillos antiquerten Kultgeschehens sind! Leider sieht es nicht so aus, als ob die Kirchenleitung das verstehen und anstreben wollte. Aber selbst wenn es dank eines inspirierten Papstes Franziskus so käme, würden es die ewig Gestrigen verhindern. Jene Leute, die als Christenschar „im Staub vor Deiner Majestät“ liegen wollen, wie es im Kyrie der Haydnmesse heißt. Vor einem Altar als Kultstätte des Opfers, ängstlich auf klerikalen Gehor-sam bedacht, der vor dem Feuer der Hölle bewahrt. Lateinischem Gemurmel zuhörend und dann die Zunge herausstreckend, auf welche die Hostie gelegt wird, in welche der Herr durch den Ri-tus der Epiklese befördert wurde.
Aber niemand kann uns verbieten, dass wir ein als wahrhaftig empfundenes Christsein leben und erleben. So wie es an diesem Abend geschah, von dem ich meine, dass ich darüber und über das berichten sollte, was ich dabei empfand.