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Die Sprache der Jagd#

Gänzlich unvorstellbar wäre die europäische Jagd ohne die dazuge­hörige Sprache. Gewissermaßen bildet sie neben dem entsprechen­den Brauchtum das kulturelle Herzstück des Weidwerks, ja ist für den Weidmann geradezu identitäts­stiftend!#


Von Der Anblick (12/2004) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Dr. Harald W. Vetter


Jäger auf der Pirsch
"Ungerader Eisprosszehner," sagte der Berufsjäger zum Jagdgast und letzte­rer wusste sofort, welchen Hirsch sie vor sich hatten.- Versuchen Sie einem Nichtjäger zu erklären, Sie werden viele Sätze dafür brauchen.
© H. Ctverak

Die Sprache ist zentrales Element jeder Kultur und Zivilisation. In einer Zeit der totalen Globalisierung sind die Weltsprachen zu Mitteln der interkulturellen Kommunikation ge­worden, was die Gefahr von Sprach­verlust und Einebnung in sich birgt. Genauso wie Tier- und Pflanzenarten in vielen Teilen unserer Welt rapide verschwinden, so ist es vor allem um die "kleineren" Sprachen, die Dialek­ten und Mundarten bestellt. Denn der weltumspannende Technizismus, das sprichwörtliche Zeitalter der Kom­munikation lebt nicht aus der Spra­chenvielfalt heraus, sondern gründet vielmehr auf Vereinheitlichung und Normierung.

Gerade auch die deutsche Hochsprache ist ohne wechselseitige Befruchtung durch Mundarten und Sonder- bzw. Berufssprachen in ihrer heutigen Form undenkbar. Jenseits al­ler gelehrten Soziolinguistik gilt wohl immer noch das Wort des Denkers Martin Heidegger: „Die Sprache ist das Haus des Seins."

Ohne Worte gäbe es für den Men­schen keine Vorstellung, keine Erinnerung, kein Begreifen, keine zureichende Verständigung und damit kein koordiniertes Handeln. Somit wäre auch unser jägerisches Tun unmöglich. Gänzlich unvor­stellbar wäre die europäische Jagd aber ohne die dazugehörige Sprache. Gewissermaßen bildet sie neben dem entsprechenden Brauchtum das kulturelle Herzstück des Weidwerks, ja ist für den Weidmann geradezu identitätsstiftend!

Identität wird jedoch nur durch eine lange und tiefe Herkunft gestiftet, was besonders für die Weidmannssprache zutrifft. Bereits in Jagdschriften und Urkunden des 7. und 8. Jahrhunderts finden wir Begriffe dieses in Jahrhun­derten gewachsenen Idioms. Doch erst im Hochmittelalter, also etwa zwischen 1000 und 1250 weicht die Weidmannssprache deutlich von der Gemeinsprache ab und erwächst so zu einer Fach- und Zunftsprache, de­ren Wortschatz weitaus größer ist als der der Bergleute. Im Hochmittelalter wird durch die Landesfürsten die Jagdhoheit geschaffen, und wesentli­che Teile des Weidwerks wie Beize und Jagd auf Rotwild werden zum alleinigen Privileg des Adels. Eine Standessprache entstand, die neben der Herrschaft nur der „gerechte" Berufsjäger zu führen verstand. Damit war schon eine deutliche Abgrenzung vom „gemeinen" Volk vollzogen. Es waren vielleicht knapp 1.000 Ausdrü­cke, die damals in die Weidmanns­sprache eingeführt wurden. „Tritt, treten, treiben, aufwerfen, wechseln, edel und stark" gehören dazu. Später kamen z. B. die Ausdrücke „Krone, äsen, verbrechen und ansprechen" hinzu.

Mit dem wachsenden Standesbe­wusstsein der höfischen Jäger und Jagdgehilfen des 15. Jahrhunderts begann die völlige Entfaltung der Standessprache, die uns Begriffe wie „Gehöre, Lauscher, Blume und Ro­sen" tradierte. Bei Strafen wurde den damaligen Standesgenossen verboten, diesen Sprachschatz an Nichteinge­weihte weiterzugeben. So steht in „Neuw Jag unnd Weydwerck Buch" aus dem Jahre 1582 recht martialisch zu lesen: "Jedermenniglich aber die Jägerische heimlichkeit zu entdecken unnd zu öffnen, ist höchlich verboten bey straff des Weydmessers." - Kein Wunder, wenn Außenstehende auch heute noch von der Jagd als einem grünen Geheimorden sprechen! Nicht zu Unrecht spricht der Jagd­historiker Hans-Dieter Willkomm hier von einem „ständig erweiterten und verfeinerten esoterischen(!) Wortschatz." Er bemerkt weiters dazu, dass die äußerst bildhaften, zu Döbels und Flemmings Zeiten noch verwendeten „barocken" Wendungen und Ausdrücke längst verklungene Sprachrelikte darstellen, die entweder allgemein ganz abgekommen oder nur mehr von jagdlichen Spezialisten gebraucht werden.

Nach Schätzung von Sprachwissen­schaftern waren im Hochbarock, also zwischen 17. und 18. Jahrhundert, im deutschen Sprachraum bis zu 10.000 Ausdrücke und Wendungen im jagdlichen Gebrauch, wovon heute vielleicht noch rund 3.000 auch wirklich eingesetzt bzw. verstanden werden. Hinzugefügt werden muss, dass diese Schätzung in Anbetracht der besonders ausgeprägten Dialekt­ausformungen in unserem heimat­lichen Alpenraum eher zu gering angesetzt ist. Jedenfalls muss die Sozialkontrolle im 18.Jahrhundert in dieser Beziehung noch recht erheblich gewesen sein, schreibt doch der schon erwähnte Heinrich W. Döbel in seiner „Neu eröffnteten Jägerpractica" (1746) über die nicht „gerechten" Weidmänner, die ihre Berufssprache nicht beherrschen, verächtlich als den „Federschützen" oder "Bönhasen", was natürlich auf die damals nicht besonders geachtete Niederwildjagd verweist! Mit der anbrechenden Re­volution scheint der weidmännische Wortschatz in seine Fixierungs- ja Stagnationsphase getreten zu sein, sieht man von den bereits angedeute­ten mundartlichen Besonderungen in den Ostalpen ab. Dass die Weidmannssprache innig mit dem jagdlichen Brauchtum zusammenhängt, wissen wir ebenso wie um ihre Funktion als Erkennungs­ und Abgrenzungscode. Was aber ist, jetzt genauer gefragt, wirklich das Wesen dieser Sprache, und was zeich­net diese von anderen Sondersprachen aus?

Sie besitzt zunächst eine äußerst tief­wurzelnde etymologische Herkunft und fußt vielfach im Gemeinger­manischen und Althochdeutschen. Weiters hat sich die Weidmannsspra­che kontinuierlich über Jahrhunderte hinweg entfaltet, wobei das Ende dieser Entfaltung ungefähr mit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zusam­menfallen dürfte. Die Jagdsprache birgt bedeutende Elemente sowohl der Geschichte als auch der Technik des Weidwerks in sich. Signifikant sind poetische Tiefgründigkeit, laut­malerisches Potential und besonders die ausgeprägte Bildhaftigkeit, wel­che in allen Begriffen, Wendungen und Sprüchen stecken.

Es ist naturgemäß unmöglich, die ganze Bandbreite der weidmänni­schen Sprache hier auch nur anzu­deuten, denn da müsste man tatsächlich seine „Flinte ins Korn werfen". Doch drei Wörter seien dazu nur stellvertretend zitiert und gestreift: Nehmen wir den Begriff „Blatt". Dieses Wort hat, althochdeutsch „plat", ein germanisches „blada" zur Grundlage. Aus dem ursprünglichen und sinnhaften "Ausgeblühtes" ent­wickelte sich schon bald das Laubblatt, das hernach auf dünne, flächige Gegenstände übertragen wurde, wo­bei ebenso das „Schießblatt, also die Schießscheibe, als auch der vordere Teil des Tierrumpfes - das Schulter­blatt - gemeint war. Übrigens wurde das Blatt während der „Blattzeit" zum Anlocken der Rehböcke bereits in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts eingesetzt.

Mit dem „Stück" wird - freilich etwas distanziert gesprochen - meistens ein weibliches Schalenwild gemeint. Das Wort ist wiederum gemeinger­manischen Ursprungs und führt auf die indogermanische Wurzel „steug", also „stoßen, schlagen, abhauen" zu­rück. Als "Abgetrenntes vom Ganzen" wurde der Begriff nach und nach zum „Stück eines größeren Ganzen". Im 17. Jahrhundert war „Stück" ein fixer Bestandteil im oberdeutschen Sprach­raum und galt als selbstständiger Teil einer unbestimmten Gesamtzahl von Schalenwild. Bei uns in den Alpen ist natürlich auch die Bezeichnung „Stuck" gebräuchlich.

Abschließend sei ein Wildtier genannt, das heute bei uns längst nicht mehr der Jagd unterliegt, aber unseren Altvorderen durchaus als weidmännische Herausforderung galt: Der Luchs. 1888 wurde übri­gens der letzte Standluchs in Bayern erlegt. Im Althochdeutschen „luhs" genannt, wovon unser leider schon etwas abgekommenes Wort luchsen (äugen, schauen) stammt, geht das Wort vermutlich auf die indogermanische Wurzel "leuk" zurück, was soviel wie „leuchten" heißt und die auffallend hellen und scharfen Lichter des Tieres meint. Spannend auch, dass das auf die griechische Sprache zurückgehende lateinische „lynx" 1350 von Konrad von Me­genberg in seinem „Buch der Natur" so zitiert wird: „linx heißt luhs." Hier hielt wohl das Mönchslatein Einzug in die Weidmannssprache! Uralte Wirrnis und Vielfalt, wer könnte je diesen sprachlichen Bannwald wirk­lich ausmessen?

Zurück zur Jetztzeit. Über die Not­wendigkeit einer Sprachkultur beim jägerischen Tun sollte eigentlich nicht diskutiert werden. Dass diese mehr und mehr abkommt, hat mit dem eingangs erwähnten Phänomen eines Modernisierungsschubs zu tun, der kein Ende finden möchte. Tatsächlich kann man Sprache nicht einfach „weitergeben", denn sie ist fest im jeweiligen Erlebnishorizont verankert, nämlich im schon zitier­ten „Haus des Seins". Das heißt vielleicht, dass wir uns und einander fortwährend sensibilisieren müssen für das jagdliche Erlebnis. Oft, zu oft steht der Vorwurf im Raum, dass die Jägersprache heute unverständlich, veraltert und zu ausschließend wäre. Dem zu entgegnen ist nicht leicht, vermutlich aber so: Die Jagdsprache sollte der Situation entsprechend verwvendet werden, nicht überzogen, doch angemessen. Es macht gar nichts, wenn man sich dabei einmal „verspricht". Der Komment verlangt freilich nach „Strafen", aber nachfra­gend wird man oft darauf kommen, dass sogar die Lehrprinzen zu wenig Bescheid wissen.

Souverän bleibt der, der sich infor­miert. „Sonntagsjäger" werden mög­licherweise auf einen sprachlichen „Verstoß" rasch und „angebracht" reagieren, weil ihnen das Ritual zum Ersatz für das innere Erlebnis ge­worden ist. Von solchem Snobismus abgetrennt bleiben diejenigen, die das Weidwerk existentiell empfinden und auch so zur Sprache bringen. Ihnen wird die Tradition nicht fern bleiben.

Der Jäger und die Sprache#

"Knapp vor dem Wald blieb das Reh noch einmal kurz stehen. Es knallte, das Tier bäumte sich auf, raste zehn Meter wie eine Furie dahin, wobei es den Kopf ganz tief unten hatte, und überschlug sich. Ein paar Mal zappelte es noch, dann blieb es still liegen."

"Nun schien der schlecht verfärbte Gabler endgültig einziehen zu wollen. Sekunden bevor er die Deckung erreichte, stellte er sich breit und verhoffte. Der Schuss fiel, die Kugel war vielleicht ein wenig zu kurz angetragen. Dennoch, sie schien Leben gefasst zu haben, denn der zurückgesetzte Altbock zeichnete mit einem Aufsteilen und ging mit tiefem Haupt ab. Nach ein paar rasenden Fluchten rollierte er, schlegelte ein paar Mal und war gleich darauf verendet."

Ein und dieselbe Szene, aber zwei verschiedene Sichtweisen: einmal durch die Augen und Sprache des Nichtjägers, einmal durch jene des Jägers. Wirklich ein und dieselbe Szene?

Aus: Der Jägerbrauch, Österreichischer Jagd- und Fischereiverlag

Der Anblick (12/2004)


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