Signatur einer Epoche #
Impressionismus? Das unmittelbare Erlebnis dominiert gegenüber der vermittelten Reflexion, und der spontane Einfall entzieht sich der wohlüberlegten Kontrolle. #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE, 8. März 2018
Von
Oswald Panagl
Starre Fachbegriffe und zu Termine gefrorene Wörter, die bereits in den allgemeinen Sprachgebrauch eingesickert sind, können verdeutlichen und verwirren, sie vermögen dem Benützer einen Gegenstand ebenso näherzurücken wie ihn zur Unkenntlichkeit zu verfremden. Der Ausdruck Impressionismus ist wohl jedem Freund der Künste – ob Malerei, Literatur oder Musik – geläufig. Aber ist er ihm wirklich vertraut?
Oder dient er eher als ein wohlfeiles Etikett, eine griffbereite Worthülse, die sich bei manchen Gelegenheiten, etwa in Diskussionen, bequem und widerstandslos anbietet, dazu jederzeit abrufbar ist? Übersetzt man Impressionismus als „Eindruckskunst“, sagt das Wort wenig aus: denn welches Kunstwerk verdankt sich nicht einer „Impression“, die der produzierende Künstler empfängt, in ein Artefakt umsetzt und an den Betrachter, Leser oder Zuhörer weiterreicht, wie auch immer der Empfänger mit dem Pfund wuchert, das Angebot aufgreift und bewertet sowie nach seiner Aussagekraft interpretiert.
Facette und Fragment #
Als Terminus verwendet, bezeichnet und bedeutet Impressionismus freilich mehr, ist in seinem Vermittlungswert triftiger und lässt sich am sinnvollsten mit einem Merkmalbündel angemessen beschreiben: die Facette steht dabei für den Sachverhalt, die subjektive Wahrnehmung ersetzt den realen Befund, das Fragment verdrängt das große Ganze der Wirklichkeit, die Spiegelung vertritt die gestalthafte Realität, der Schein hebt gleichsam das Sein auf. Auf einen knappen Nenner gebracht dominiert das unmittelbare Erlebnis gegenüber der vermittelten Reflexion, und der spontane Einfall entzieht sich der wohlüberlegten Kontrolle.
In den verschiedenen Künsten offenbaren sich diese Wesenszüge auf jeweils angemessene Weise. Wenn etwa in der Malerei Edgar Degas den Sinnbezirk des Balletts zum Sujet wählt, so bevorzugt er die Probe eines Tanzes, das Wer Werden einer künstlerischen Darbietung gegenüber der vollendeten Aufführung auf der Bühne. – Für Edouard Manet erschließen sich die Pariser Folies-Bergères prototypisch durch eine Bar samt ihrer attraktiven weiblichen Bedienung.
Eine besondere Variante dieser künstlerischen Bewegung, welche manche Experten bereits als ‚ Postimpressionismus‘ verstehen und in die Richtung von Décadence oder Symbolismus abschieben, ist der Pointillismus eines Georges Seurat. Die Eindrücke stellen sich diesem Künstler ‚pointiert‘ dar, der Maler zerlegt das visuelle Ensemble methodisch in einzelne Splitter, setzt diese in Form von Farbtupfern um. Erst das diagnostische Auge und die Sinngebung des Betrachters nehmen diese Momente als gegenständliche Form wahr und führen sie zu einer fassbaren Gestalt zusammen. Im Fachjargon ausgedrückt überlässt und ermöglicht die Ästhetik der Produktion – im Wege der neurophysiologischen Ausstattung des Individuums – dem Empfänger der Botschaft und ihrer optischen Darbietung die Ästhetik der Rezeption.
Wie nicht selten in der Kulturgeschichte verdankt sich auch der Name Impressionismus nicht einem selbstbewussten und programmatischen Sprechakt der Künstler, sondern entspringt letztlich einer vorwurfsvollen Schelte von Gegnern dieses Verfahrens der Darstellung. Der Kunstkritiker Louis Leroy hatte 1874 den Maler Claude Monet für sein Bild „Impression – soleil levant“ (also „Eindruck der aufgehenden Sonne“) keineswegs freundlich und anerkennend als „Impressionisten“ bezeichnet, da er und seine gleichgesinnten Freunde und Kollegen (Auguste Renoir, Alfred Sisley, Edgar Degas, Camille Pissarro und Paul Cézanne) nur Eindrücke, unfertige Entwürfe sowie bloße Skizzen lieferten, ohne diese zu stimmigen künstlerischen Bildwerken auszubauen und zu vollenden.
Doch schon bald darauf nahmen die betreffenden (und betroffenen) Maler das ursprüngliche Stigma als charakteristisches ästhetisches Merkmal in ihr künstlerisches Selbstverständnis auf. Sie bekannten sich in der Folge zu Vertretern einer neuen Richtung, die vom Atelier in die freie Natur überwechselte und dem konventionellen akademischen Stil innovative Impulse entgegensetzte.
Neuer Idealismus #
Wer den begrifflichen Horizont erweitern und ihn auch auf andere Kunstformen und Darstellungsweisen anwenden will, der wird bei dem österreichischen Schriftsteller Herrmann Bahr fündig, welcher den Wandel und Wechsel der Stilrichtungen mit seismographischer Sicherheit aufspürte, deutete und im geistesgeschichtlichen Profil der Epoche verortet hat. In seinem Essay „Die Überwindung des Naturalismus“ (1891) nennt Bahr die Befreiung von den Fesseln des Naturalismus einen neuen Idealismus, in dem auch die Wesenszüge des Impressionismus ihren Platz finden: „Der neue Idealismus drückt die neuen Menschen aus. Sie sind Nerven; das andere ist abgestorben, weg und dürr.“ Wenig später in seinem Aufsatz wird er noch wortreicher und fügt der Beobachtung und Beschreibung auch eine erklärende Deutung hinzu: „Wenn erst das Nervöse völlig entbunden und der Mensch, aber besonders der Künstler, ganz an die Nerven hingegeben sein wird, ohne vernünftige und sinnliche Rücksicht, dann kehrt die verlorene Freude in die Kunst zurück […] Es war ein Wehklagen des Künstlers im Naturalismus, weil er dienen mußte; aber jetzt nimmt er die Tafeln aus dem wirklichen und schreibt darauf seine Gesetze.“
Doch holt man diese ‚moderne Nervosität‘ aus der rein künstlerischen Nische heraus und erhebt sie zum prägenden Zeitsymptom, so lässt sich das Triebleben des Menschen als ein weitergefasstes dominierendes Moment verstehen. Und schon sind wir unwillkürlich und gleichsam unmerklich bei Sigmund Freud gelandet, dessen lehrhafte Ansicht in den lapidaren Satz mündet: „Unsere Kultur ist ganz allgemein auf der Unterdrückung von Trieben aufgebaut.“
Betrachten wir eine Skizze von Peter Altenberg näher, dessen Kurzprosa der Autor selbst authentisch charakterisiert: „[Ich] habe edle und ganz unedle Damen heiß geliebt, bin in Wäldern herumgelungert, war Jurist, ohne Jus zu studieren Mediciner ohne Medicin zu studieren Buchhändler ohne Bücher zu verkaufen, Liebhaber ohne je zu heiraten, und zuletzt Dichter ohne Dichtungen hervorzubringen! Denn sind meine kleinen Sachen Dichtungen?! Keineswegs. Es sind Extracte! Extracte des Lebens. […] Dem Leser bleibt es überlassen, diese Extracte aus eigenen Kräften wieder aufzulösen, in genießbare Bouillon zu verwandeln, aufkochen zu lassen im eigenen Geiste, mit einem Wort sie dünnflüßig und verdaulich zu machen.“
Fülle an Gedankenstrichen #
In Bänden mit Titeln „Wie ich es sehe“, „Was der Tag mir zuträgt“, „Neues Altes“ oder „Bilderbuch des eigenen Lebens“ fasst dieser Poet ‚wider bessere Einsicht‘ persönliche Erlebnisse, Beobachtungen in Parks, Kaffeehäusern und bei allerlei Gesprächen zusammen. Diese ergeben zwar keine durchgehende Handlung, bauen aber in der Abfolge der zufälligen Ereignisse Atmosphäre auf und stiften Sinn. Thomas Mann, im Jahr 1920 bereits als ‚Großschriftsteller‘ betrachtet und gefeiert, charakterisiert diese Abfolge von Bildern und Situationen so: „Mit dieser seligen Manier schien es möglich, das Leben täglich und stündlich, restlos, ohne Verzicht und namentlich mühelos einzufangen und zu bewältigen.“
Im Text „Wie wunderbar - - -“ , dem Andenken an die Seelenfreundin Olga Waissnix gewidmet, fällt die Fülle an Gedankenstrichen auf. Als Inbegriff impressionistischen Schreibens bezeichnen sie das Momentane, Unabgeschlossene, Fragmentarische und Verfließende der sinnlichen Eindrücke und ihres Widerhalls im Gemüt des Autors. Merkwürdig genug beginnt und schließt der kurze Text mit der Aussage „Es hat ein Ende - - -“. Der Prosaist hebt sich vom eigentlichen Dichter ab. Denn selbst bei einer unverhofften Begegnung mit der verehrten Frau äußert sich die innere Empfindung seltsam unscharf und in einen scheinbar trivialen Vergleich verpackt. Der Leser muss den Text aus den beiläufigen Feststellungen erst zu einem seelischen Röntgenbild verdichten.