Die Rückkehr der Grinser #
Ruth Beckermann zeigt das erste Filmdokument über eine „Reibpartie“ straßenwaschender Juden in ihrer Installation „The Missing Image“. #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 5. März 2015)
Von
Otto Friedrich
Der straßenwaschende Jude, genauer: die Bronze-Skulptur, mit der Alfred Hrdlicka (1928–2009) die Darstellung eines ebensolchen vorgab, gehört zum täglichen Vorbei-Blick eines FURCHE-Redakteurs. Denn die Räumlichkeiten der FURCHE liegen unmittelbar hinter jenem, heute Dr.-Helmut-Zilk-Platz benannten Areal vis-à-vis der Albertina, wo sich das „Mahnmal gegen Krieg und Faschismus“ befindet. Bald nach der Aufstellung des „Hrdlicka- Denkmals“ (schon der Volksmund entkoppelte das „Mahnmal“ schnell von seiner Intention) im Jahr 1988 war die Bronze- Skulptur der größte Stein des Anstoßes. Nachdem sich immer wieder Touristen darauf gesetzt hatten, „ummantelte“ Hrdlicka das Objekt mit bronzenem „Stacheldraht“. Aber diese Adaption brachte auch noch keine „praktische“ Lösung, konnte man, seltener als zuvor, aber immer noch, wurstsemmelmampfende Wienbesucher entdecken, die das Mahnmal zur Jausenstation degradierten. Ein vernichtenderes Urteil über den Hrdlicka’schen Skulpturenpark als diese Realität ist kaum denkbar.
Dabei ist auch für Juden von heute die Darstellung des „Straßenwaschers“ eine Demütigung. Die „Stacheldrahtabwehr“ hat an der Problematik der Darstellung nichts geändert, meint die Filmemacherin und Autorin Ruth Beckermann. Denn sie lasse unwillkürlich an die Dornenkrone denken – und diese Assoziation enthält für Juden gleichermaßen den demütigenden Beigeschmack, fußt doch das klassisch-christliche antijüdische Stereotyp auf einer jahrhundertelangen Auslegung der Passionsgeschichte, in der den Juden die Rolle der „Gottesmörder“ zukam.
Nicht auf dem Bauch liegend...#
Beckermann, die Dokumentarfilmerin und Chronistin gerade des jüdischen Lebens, hat der verbreiteten jüdischen Kritik an der Hrdlicka-Skulptur von Anfang an eine Stimme gegeben. Schon in ihrem 1989 erstmals aufgelegten Buch „Unzugehörig. Österreicher und Juden nach 1945“ schrieb sie gegen Hrdlicka an:
Da nahm einer die Photos der knienden Juden, die mit Zahnbürsten zur Belustigung der Wiener die Straßen waschen mussten, zur Hand, in die andere Hand die Schere und schnitt die Grinser, die ganz Unpolitischen in ihrer Alltagskleidung ohne Abzeichen und die in den Kniebundhosen mit den weißen Stutzen, die schnitt er weg. Der ewige Jude wurde zum ewigen Opfer anonymer Gewalt. Ein auf dem Bauch liegender bärtiger alter Jude, der eine Zahnbürste in der Hand hält … schrieb Beckermann und merkte dazu noch an, dass das nicht einmal richtig beobachtet war: Nicht auf dem Bauch liegend, auf Knien haben sie den Boden gerieben.
Unmittelbar nach dem „Anschluss“ wurden in Wien Juden zu den so genannten „Reibpartien“ gezwungen. Mit Bürsten und Zahnbürsten und mit scharfen Laugen mussten sie die Parolen der Schuschnigg-Regierung zur Volksabstimmung für eine staatliche Unabhängigkeit Österreichs entfernen. Umringt von einer grinsenden Menge fanden diese Aktionen statt. Die Reibpartien waren eine „Erfindung der Wiener“, sagt Ruth Beckermann. Nirgendwo sonst im Deutschen Reich gab es derartige Aktionen. Für die Filmemacherin stellt deshalb der bronzene Jude auf der Erde ohne die gaffenden Zuschauer bis heute eine Provokation dar. 1989 hat sie dazu auch angemerkt:
Wo ist das grinsende Publikum geblieben? Soll das Publikum, das das Denkmal betrachtet, die Szene vervollständigen? Falls das die Absicht des Bildhauers gewesen ist, so gelang ihm damit nicht mehr als ein zynischer Straßentheater-Effekt. Die rundherum stehen und antisemitische Bemerkungen machen, die Kinder, die auf den Rücken des Juden klettern, der mit seiner hündischen Haltung dazu auch einlädt, die Hunde, die an seine Wade pissen, sind nicht die von damals.
Vor etwa einem Jahr jedoch, erzählt Ruth Beckermann heute, hat sie im Filmmuse- um bei einer Aufführung von Filmen unbekannter Macher einen Sechsminüter über den Einzug Hitlers am 13. März 1938 in Wien gesehen. Der Kameramann muss prominent gewesen sein, meint Beckermann, denn er konnte Hitler von den besten Standorten aus filmen. Am Ende des Films sah sie eine fünf Sekunden dauernde Sequenz, die eine Reibpartie und die Menschen ringsum zeigt. Diese wenigen Sekunden zeigen, so Beckermann, „eine Wiener Geschichte: Eine Menge lachender Menschen sieht zu, wie zwei bürgerlich gekleidete junge Juden kniend das Pflaster reinigen. Ein SA-Mann hält den Besen in der Hand einer jungen jüdischen Frau in die Kamera. Die Zuseher haben ‚a Hetz‘“. Die Grinser sind nun – auch filmisch – zurückgekehrt. Beckermann sagt, das sei nun das fehlende Bild, nach dem sie solange gesucht hat.
Eine Intervention wider das Vergessen #
Seit April 2014 arbeitet sie daran, diese vom Österreichischen Filmmuseum zur Verfügung gestellten Bilder mit der Skulptur des straßenwaschenden Juden in Beziehung zu bringen. Die Installation „The Missing Image“ ist daraus entstanden und wird nun vom 12. März an bis in den November hinein als Intervention wider das Vergessen der „Grinser“ beim Mahnmal auf dem Albertinaplatz zu sehen sein. Beckerman hat gemeinsam mit Klaus Pamminger die fünfsekündige Sequenz mittels Zoom, Verlangsamung und dem Herausholen einzelner Bilder zu einem Film-Loop von 1 Minute 34 Sekunden Länge gestaltet, dazu hat Olga Neuwirth den Sound komponiert. Auf zwei LED-Bildschirmen wird „The Missing Image“ rund um die Bronze-Skulptur des Juden zu sehen sein.
Trotz aller Kritik will Ruth Beckermann aber das Mahnmal keinesfalls weghaben: „Ich bin nicht dafür, dieses oder ein anderes kompromittiertes Denkmal abzubauen. Karl Lueger & Co. gehören zur Geschichte dieser Stadt.“ Vielmehr geht es der Künstlerin darum, das „Mahnmal gegen Krieg und Faschismus“ durch ihre Installation neu zu kontextualisieren: „Durch die Einschreibung der Filmszenen in das Mahnmal treffen nun drei Körper und drei unterschiedliche Materien aufeinander.“ Die Bronzefigur des Opfers, die auf den beiden Bildschirmen projizierten Körper der historischen Täter und die realen Körper der Passanten, die sich jenen gegenüber sehen.
Und Ruth Beckermann fügt hinzu: Es geht ihr in „The Missing Image“ gar nicht um die Historie. Sondern sie will Situationen der Demütigung darstellen. Der von einer Menge auf den Boden gezwungene straßenwaschende Jude ist ein Bild derartiger Demütigung von Menschen durch Menschen. Ein Bild, das über die konkrete Erinnerung an den März 1938 in Wien hinausweist. Ruth Beckermann verweist etwa auf die 2004 um die Welt gegangenen Bilder von der Demütigung irakischer Gefangener durch US-Soldaten im Gefängnis Abu Ghraib bei Bagdad.
„Menschen auf die Knie zu zwingen und sie auszulachen wurde in Wien anno 1938 nicht als Verbrechen verstanden“, sagt Ruth Beckermann. Das war noch längst nicht das Morden, die Menschenvernichtung der Schoa. Aber die Bilder sprechen für sich. Und sie sind nicht ohne die scheinbar Unbeteiligten zu denken und zu verstehen. Ob der gedemütigte, straßenwaschende Jude in der verunglückten Skulptur des Alfred Hrdlicka mittels „The Missing Image“ in einen gerechteren Kontext gerückt werden kann? Als Versuch dazu kann die Installation hoffentlich wahrgenommen werden.
The Missing Image, Installation von Ruth Beckermann am Albertinaplatz.