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Franz Grillparzer 1791-1872#


Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus dem Buch: Große Österreicher. Thomas Chorherr (Hg). Verlag Carl Ueberreuter, Wien. 1985.


Die Zeiten, in denen man in Österreich ungestraft Franz Grillparzer als den dichtenden Hofrat und Stammvater aller in Postämtern oder Gemeindestuben vor sich hin dösenden Schriftsteller präsentieren konnte, sind vorüber. Jahrzehnte hat es gedauert, ehe sich ein anderes - kein klares, aber immerhin ein anderes - Bild Grillparzers in der Öffentlichkeit erkennbar zeigte. Und immer noch ist es unscharf und zeigt niemals den ganzen Grillparzer und hat, als wäre es eine Landkarte, weiße Flecken, die keiner auszufüllen bereit ist.

Zum Beispiel: Weiß einer von der Jugend Grillparzers, von der sonderbaren Erziehung durch einen Hofmeister und durch die Verwandten, die mütterlicherseits Sonnleithner hießen und Musiker und Musiknarren stellten, einen Sekretär des Hoftheaters und einen kunstverständigen Bürger der Stadt, bei dem die beste Hausmusik gemacht wurde? Weiß man davon, dass Grillparzer Geige lernen wollte und Klavier lernen musste und dass er - seinen eigenen Angaben folgend - als ein Ahnherr der musikalischen Graphik angesehen werden kann? Denn später im Leben verschaffte er sich in Mußestunden Freude, indem er ein Bild zum Klavier stellte und über dieses phantasierte ...

Weiß man von seiner Jugend, in der er -die Familie verarmte nach dem Tode seines Vaters plötzlich - als Informator und Hofmeister junge Adelige zu unterrichten hatte und selbst Aufsätze schrieb, die er als Übersetzungen ausgeben musste, um nicht sofort für ihren revolutionären Inhalt hinausgeworfen zu werden? Weiß man davon, dass er Hunger und Not zu erleiden hatte, ehe er von der untersten Stufe her Beamter wurde, damals etwas Sicheres, aber auch sicher immer Armes?
Für die immer seltener werdenden Literaturfreunde im Land wird Grillparzer zweifellos erst eine erkennbare Gestalt in den Tagen des Juli 1816, in denen er das Drama »Die Ahnfrau« aus sich herauswirft wie ein Elementarereignis. Das von Joseph Schreyvogel bestellte Drama wurde 1817 aufgeführt und sofort in ganz Deutschland nachgespielt, es brachte kein Geld, aber Ruhm. Grillparzer war mit seinem Erstling ein geachteter Mann, der, wiederum in nur drei Wochen, »Sappho« schreiben und 1818 am Burgtheater aufgeführt sehen konnte. Metternich empfing ihn sofort nach dem rauschenden Erfolg, er wurde festbestallter Theaterdichter, auf fünf Jahre erwartete man von ihm fünf neue Stücke...

Ob aber jedem Literaturfreund erinnerlich ist, daß Grillparzer vom Augenblick seines von Amts wegen bestätigten Erfolges an ein gefährdeter Autor war? Er hatte mit der Arbeit am »Goldenen Vlies« noch nicht begonnen, da hatte er schon eines Gedichtes wegen die Zensur am Hals und das Mißtrauen der Lakaien Metternichs für immer eingehandelt und musste von seinem Gönner, dem Grafen Stadion, ins Finanzministerium geholt werden, damit der Burgtheaterautor einige Ruhe haben konnte. Man weiß viel eher, dass er »König Ottokars Glück und Ende« schrieb und zwei Jahre warten muss, bis das Stück der Zensur entrissen und auf ausdrücklichen Wunsch des Kaisers wirklich aufgeführt ist. Man erinnert sich wahrscheinlich, daß dem »Treuen Diener seines Herrn« ein noch seltsameres Schicksal zuteil wird - der Kaiser läßt die umjubelte erste Aufführung zu, und der Polizeipräsident Graf Sedlnitzky erbittet unmittelbar nachher von Grillparzer das Manuskript als persönliches Eigentum des Besitzers, will es also auf eine elegante, teure Art für immer in Archiven verschwinden lassen.
Das bedeutet, Grillparzer musste 1828 begreifen, dass der Kaiser - und mit ihm selbstverständlich auch Metternich - auf höchst subtile Art mit dem Burgtheaterautor unzufrieden war: Dass man ihm sagen ließ, er könne für eine Abtretung des Stückes eine beliebige Geldsumme fordern, war ein höfliches Zugeständnis an Grillparzer, jedoch zugleich auch seine Rettung. Er konnte einen untertänigen Gegenzug ausspielen und dem Kaiser mitteilen lassen, der »Treue Diener« sei bereits in zu vielen Exemplaren außerhalb des Landes, weder der Autor noch der Herrscher könne jetzt noch über ihn verfügen.

Das bedeutet, die allgemeine Situation des »Vormärz« in der Literatur - kritische Anmerkungen zu Österreich wurden in Österreich verfasst, in Deutschland verlegt und in Österreich mit großem Interesse gelesen - ist zugleich auch die zweifellos an die Nerven gehende persönliche Situation Grillparzers gewesen, der uns als griesgrämig beschrieben wird, jedoch guten Rechts auch sehr viel mehr als vergrämt hätte sein können: Ein loyal-kritischer Schriftsteller, von seinem Kaiser vor dem Publikum hoch geschätzt, in Wahrheit unterdrückt und auch im Leben stets unter seinem eigentlichen Wert honoriert, wird Direktor des Hofkammerarchivs und soll sich nicht weiter beklagen, erhält aber auf seine Bewerbungen um die Leitung der Universitätsbibliothek oder die Stelle eines ersten Kustos der kaiserlichen Hofbibliothek »in kränkendem Ton« gehaltene Absagen und damit den Hinweis, er habe sich mit dosiertem Wohlwollen zu begnügen. Ein weltoffener Österreicher, der seinen Platz innerhalb des von ihm anerkannten Systems durchaus einzuschätzen weiß, wird vom System einige Ränge unterhalb dieses Platzes festgehalten.

Er reagiert fortan mit Witzeln, die man als typisch für ihn bezeichnen kann. Von einer großen Reise gleichsam erfrischt, schreibt er sein einziges Lustspiel »Weh dem, der lügt« und hat mit dem großen heiteren Antwortspiel auf die Frage, was Wahrheit sei, erstmals keinen Erfolg. Er arbeitet lange und sorgsam an der Novelle »Der arme Spielmann« und schenkt der deutschen Literatur mit der erst sechs Jahre nach der Vollendung veröffentlichten Dichtung ein Juwel, das Zeiten überdauert und allein völlig genügen würde, ihn für immer unter die Bedeutendsten der deutschen Sprache einzureihen.

Vor allem aber: er zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück und wird zum scheinbar verdrossenen Beobachter einer Zeit und Szenerie, die seine polemischen Anmerkungen nicht zur Kenntnis nehmen will. Und er ist hellsichtig genug, um zu begreifen, dass alle ihm zuteil werdenden Ehrungen, die nach 1848 kommen, etwas von schlechtem Gewissen der Ehrenden und hohlem Glanz der vielen dargebotenen Geschenke haben.

Einige davon? Heinrich Laube wird Burgtheaterdirektor und setzt sich mit allem Gewicht für die Aufführung der Werke Grillparzers ein. Grillparzer erhält den Orden, den vor ihm nur Goethe und Collin erhalten haben. Er wird Hofrat. Er wird Ehrendoktor der Universitäten von Wien, Leipzig, Graz und Innsbruck. Durch ein kaiserliches Handschreiben wird er in das Herrenhaus berufen. Er wird Ehrenbürger von Wien. Der Kaiser verleiht ihm das Großkreuz seines Franz-Joseph-Ordens und setzt ihm einen Ehrensold aus ... Grillparzer nimmt die Auszeichnungen an und vermerkt, sie löschten einige der Erinnerungen an erfahrenes »Schlimmes« aus und notiert damit sehr bewusst, dass er das immer noch in Erinnerung hat. Der einstige Archivar verliert auch im hohen Alter sein gutes Gedächtnis nicht.

Er muss in diesen letzten, von äußerem Glanz erhellten Lebensjahren tatsächlich viel zu erinnern gehabt haben: Da waren seine musikalischen Freunde Beethoven und Schubert, denen er in der Jugend begegnen durfte, freilich auch die Grabinschriften widmen musste. Da waren seine glücklichen Beziehungen zu Dichtern - Goethe selbst schätzte ihn, und nur an Grillparzer lag es, dass bei den Begegnungen der beiden immer wenigstens ein Zeuge anwesend war, Ferdinand Raimund wiederum wurde von Grillparzer geschätzt und war in seinen trübsten Tagen glücklich, dem Dichter nicht unwürdig zu erscheinen. Da waren seine politischen Erinnerungen - als Mitglied der harmlosen literarischen Vereinigung »Ludlamshöhle« geriet er früh in die Fänge der Geheimpolizei, als klarblickender Zeitgenosse beobachtete und notierte er die Ereignisse des März 1848 (und alle folgenden des Revolutionsjahres) mit bestechend ruhigen Sätzen.

Und da waren, bisher mit keinem Satz erwähnt, die vier Schwestern Fröhlich, die seit 1849 mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebten und, so eine besonders hübsche Formulierung, über sein Alter einen sanften und versöhnlichen Schimmer breiteten. Grillparzer hatte sich nie dazu entschließen können, Kathi Fröhlich zu heiraten - im Winter 1820/21 war er zum ersten Mal bei den Schwestern eingeladen und hatte die Atmosphäre eines ärmlich-bürgerlichen Haushaltes, in dem musiziert und mit Franz Schubert konversiert wurde, genossen. »Von dem Augenblicke an, als der teilnehmende Gegenstand nicht mehr haarscharf in die Umrisse passen wollte, die ich bei der ersten Annäherung voraussetzend gezogen hatte, warf ihn auch mein Gefühl als ein Fremdartiges so unwiderruflich aus, dass meine eigenen Bemühungen, mich nur in einiger Stellung zu erhalten, verlorne Mühe waren.« So beschrieb Grillparzer selbst das Problem, das ihn vor einer Heirat bewahrte, jedoch angesichts der Kathi Fröhlich nicht zum völligen Verzicht auf weibliche Gesellschaft brachte. Er muss sie und sich hart behandelt haben, ehe man zu der Lebenshaltung fand, in der Grillparzer bis zu seinem Tod verblieb. »Ich hätte müssen allein sein können in einer Ehe ...« schrieb er, sich und der Nachwelt auch über diese so wesentliche Eigenschaft nicht belügend. Mit allen vier Schwestern war er selbstverständlich immer allein. In Zeugnissen seiner Zeitgenossen ist er dermaßen vielgestalt geschildert, dass man kein einziges Bild gelten lassen will. In den dreißiger Jahren soll er ein liebenswürdiger und witziger Gesellschafter, ein aufgeschlossener Mensch gewesen sein, später beschreibt man ihn vor allem als »nach außen grantig wirkend« und als Sonderling und meint, nur im kleinsten Kreis sei er weiterhin liebenswert und sogar gütig gewesen -einem Wiener muss man den Ausdruck »grantig« nicht erläutern, er ist in der Stadt zumeist älteren Menschen vorbehalten, von denen man berichten will, sie gäben sich weniger freundlich, als sie seien. Grant ist ein Zustand, der Laue abschrecken soll, jedoch weder Güte noch Liebe ausschließt. Bis in die Gegenwart müht sich die österreichische Literatur, Grillparzer zu erklären. Und ist es nicht erstaunlich, dass allein in unserem Jahrhundert so ganz und gar nicht aufeinander abgestimmte Persönlichkeiten wie Hugo von Hofmannsthal, Ernst Lothar und Hans Weigel ihre Liebe und ihr Verständnis für den »Sonderling« bekundeten und seine Größe auf ihre Art interpretierten? In allerjüngster Zeit hat sich die etwas angestrengte Arbeit der ehrwürdigen Grillparzer-Gesellschaft auf allerschönste Art gelohnt: Eine sehr junge Generation von Theaterleuten versucht, Grillparzers Dramen zu »entstauben«. Das tun die jungen Leute nur einem Dichter an, von dessen Haltbarkeit sie überzeugt sind.