Heilung ohne Spuk#
Von der Wiener Zeitung (Samstag, 05. Februar 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
Von
Peter Markl
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse über den Placebo-Effekt und das Zusammenspiel von Geist und Körper. Die PISA-Studie ist ein in allen 34 OECD-Staaten angestellter Vergleich der Lesefähigkeit von 15-jährigen Jugendlichen und deren naturwissenschaftlichen und mathematischen Kenntnissen. Was sich in den auf das Ergebnis der jüngsten PISA-Studie folgenden Wochen in der öffentlichen Diskussion abspielte, geriet zu einer Lektion in Sachen proklamierte Einsichten und darauf beruhenden, der Jugend vorgelebten Wertungen.
Noch bevor die ersten Meldungen über das sehr schlechte Abschneiden der österreichischen Jugendlichen veröffentlicht worden waren, wurden die Ergebnisse einer anderen – auf Grund privater Erfahrungen plausibel klingenden – Umfrage veröffentlicht, in der man österreichische Führungskräfte nach ihrer Meinung zu PISA gefragt hatte. Viele von ihnen meinten, dass die ökonomischen Aussichten Österreichs schlecht blieben, solange es nicht wenigstens gelänge, den Jugendlichen auch nur das Lesen beizubringen. Da sie in einer von den Naturwissenschaften geprägten Welt leben müssten, sei es auch geboten, ihre naturwissenschaftlichen Kenntnisse zu verbessern. Viele der Befragten gaben indes zu, dass sie selbst Physik, Chemie und Mathematik ohne Verlangen ehrten, so dass sie sich davon – soweit möglich – stets entfernt gehalten hätten. Immerhin aber nicht so weit, dass sie sich nicht doch in der Lage fühlten, ein Urteil über die Lehrpläne abzugeben, von denen sie aufgrund unangenehmer Erfahrungen von gescheiterten Versuchen, ihren Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen, etwas in Erfahrung hatten bringen können.
Quote statt Aufklärung#
Nach der Veröffentlichung der PISA-Resultate war es geboten, diese im Hinblick auf ihre Konsistenz mit früheren Resultaten und jenen aus benachbarten Ländern zu vergleichen. Es gab viele, welche die österreichischen PISA-Resultate beklagten, andere hingegen versuchten, die Blamage einfach weg zu erklären. Und zwar bisweilen mit Argumenten, die fast noch beunruhigender waren als der traurige Tatbestand selbst.
So etwa die frühere Unterrichtsministerin Gehrer, die in einem Zeitungskommentar "picobello Kulturtechniken und keine Kinkerlitzchen" für die Lehrpläne forderte und die Tatsache, dass beängstigend viele Jugendliche nicht Sinn erfassend lesen können, eher verständlich fand, weil doch die Texte, die sie hätten lesen und verstehen sollen, ihrer Lebenswelt so fern stünden. In den OECD-Staaten taten sich nur die 15-jährigen Türken, Chilenen und Mexikaner noch schwerer als die Österreicher.
Das österreichische Fernsehen, das die Lebenswelt der Jugendlichen stark prägt, hat in den folgenden Ferienwochen die intelligenzdämpfenden und Einschaltquoten hebenden Ski-Übertragungen weiter ausgebaut und damit die Wahrscheinlichkeit verringert, dass Jugendliche, wenn sie schulfrei haben, vielleicht ein Buch zur Hand nehmen.
Ja, und dann gab es zu später Stunde im Fernsehen auch einen "Club 2", also eine Sendung, die – laut dem Selbstverständnis des ORF – in der intellektuellen Auslage der Anstalt steht. Das gewählte Thema hätte durchaus mit der aufklärerischen Relevanz der Naturwissenschaften zu tun haben können. Wie es um die Haltung der zuständigen Redakteure steht, konnte man aus der Themenwahl und der Besetzung der Diskussionsrunde unschwer erahnen. Es ging um Esoterik, und deshalb durfte eine Hellseherin ihr tristes Gewerbe so extensiv verteidigen, als ob es nicht auf der ganzen zivilisierten Welt als moralisch abzulehnende Tätigkeit angesehen würde. Eine ernsthafte Detailkritik an den fragwürdigen Voraussetzungen der Hellseherei ließ der Diskussionsleiter erst gar nicht aufkommen.
Da es also um die quotenträchtige Esoterik ging, und da die Dramaturgie solcher Diskussionen Exponenten von extrem widersprüchlichen Positionen erfordert, gab man einem besonders unverfrorenen Exemplar der fragwürdigen Branche Gelegenheit, ohne ernsthafte Einwände vor sich hin zu reden. Die in die Diskussion gebetene Schwadroneurin wurde durch die – wie sie behauptet – mit dem Jenseits bestens vernetzte Lotte Ingrisch ergänzt, eine ob ihrer Persönlichkeit respektgebietende Greisin mit unübersehbaren Problemen, die in ihrer treuherzigen, aggressionshemmenden Art unter Verwendung mancher naturwissenschaftlicher Begriffe wie Quantenmechanik und unter Berufung auf Schrödinger wieder einmal eine für sie typische Show bot. Auch sie wurde dabei nicht im Geringsten eingebremst – etwa durch die sanfte Nachfrage, was ihrer Ansicht nach an der Quantenmechanik oder an Schrödingers Weltsicht ihre "Konversationen mit Toten" plausibel machen könnte. (Wohl doch nicht, dass Schrödinger in einem berühmten Gedankenexperiment zur Verschränkung quantenmechanischer Zustände die Diskussion auf etwas gelenkt hat, das Einstein als "spukhafte" Fernwirkung nicht akzeptieren wollte.)
Auch wenn das sehr viel verlangt ist: Die erfreulicherweise zur Weltelite gehörenden österreichischen Quantenmechaniker sollten es nicht länger schweigend hinnehmen, dass die noch immer nicht gelösten Grundlagenprobleme bei der Interpretation des formalen mathematischen Apparats der Quantenmechanik als Stütze von abstrusen Behauptungen herangezogen werden.
Seine lebenslange Erfahrung in solchen Diskussionen hat den amerikanischen Mathematiker Martin Gardner gelehrt, dass das Einzige, was gegen derart unverfrorene Leute hilft, Ironie ist, welche das Publikum dazu bringt, über das Gebotene befreit lachen zu können.
In dieser ORF-Sendung lachte allerdings niemand, denn Frau Ingrisch wurde durch andere Diskussionsteilnehmer mit Sympathien für die eine oder andere esoterische Idee flankiert. Darunter befanden sich selbstverständlich auch ein – diesmal evangelischer – Theologe, ein Miliz-Offizier, der Präsident der parapsychologischen Gesellschaft ist, und natürlich auch ein Vertreter der Naturwissenschaften auf der Gegenseite: ein theoretischer Physiker, der sich der Verbreitung naturwissenschaftlicher Ideen auch mittels einer kabarettistischen Gruppe, der "Science Busters", gewidmet hat.
Im Kontext dieser Diskussion war er jedoch eine massiv kontraproduktive Besetzung, ein Art Kuckucksei, denn er verhielt sich ähnlich wie Politiker auf Wahltournee, indem er schweißtreibend oft recht fragwürdige Sager von sich gab. Der stammtischtaugliche Satz "Wer nichts weiß, muss alles glauben" ließ ihn – vielleicht zu Unrecht – als einen der ärgerlich naiven Wissenschafter erscheinen, die sich im Besitz sicherer Wahrheit wähnen – womit er leider nur ein weitverbreitetes dümmliches Vorurteil gegen die Naturwissenschaften zu bestätigen schien.
Der in dieser Diskussion verblüffendste Moment aber war, als Lotte Ingrisch bekannt gab, dass sich die Jenseitigen bei ihr aus einer Gegend um ihre Thymusdrüse vernehmen ließen. (Wenn sie da nur nicht jemand aus dem Jenseits zum Narren hält?) Vielleicht war diese Bemerkung aber auch nur eine missglückte Paraphrase auf Descartes, der ja bekanntlich die Hirnanhangdrüse für den Sitz der Seele hielt. In der Zeit, von der hier die Rede ist, hat aber ein ganz und gar unesoterisches Decartsches Thema viele Schlagzeilen gemacht – nämlich der Zusammenhang zwischen dem materiellen Körper und dem immateriellen Geist.
Psyche und Heileffekt#
Anlass dazu waren neuere Arbeiten über den Placebo-Effekt – ein Heileffekt, der alle Therapien begleitet und nicht etwa durch die materielle pharmakologische Wirkung eines Medikaments oder eines Heilverfahrens bewirkt wird. Dieser psychosomatische Effekt kann durch die Rituale einer klinischen Behandlung, also durch das Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Patienten, aber eben auch durch pharmakologisch unwirksame Scheinmedikamente (etwa Zuckerpillen) ausgelöst werden.
Die Existenz von Placebo-Effekten ist heute ebenso unumstritten wie die Vermutung, dass solche Wirkungen durch Erwartungen ausgelöst werden. Es ist jedoch gar nicht leicht, sie zu beweisen und ihren Beitrag zu Heilerfolgen richtig einzuschätzen. Die Beweise für das Vorliegen eines Placebo-Effekts stammen vorwiegend aus klinischen Versuchen, in denen man die Versuchsteilnehmer nach dem Zufallsprinzip einer von drei Gruppen zuordnet: Die erste Gruppe wird mit dem zu prüfenden Medikament behandelt, die zweite Gruppe – eine Kontrollgruppe – erhält die gleiche Behandlung, allerdings nur mit einem Scheinmedikament. Geht es der ersten Gruppe am Ende des Versuchs signifikant besser, dann ist das ein Indiz für die Wirksamkeit eines Medikaments; Beweise für einen Placebo-Effekt können solche Daten allerdings noch nicht liefern. Dazu braucht man eine zweite Kontrollgruppe, die überhaupt keine Behandlung erhält, also weder den klinischen Kontext noch dem Medikament ausgesetzt wurde. Diese dritte Gruppe ist notwendig, um abschätzen zu können, wie viel an Verbesserungen bzw. Veränderungen in der Placebo-Gruppe überhaupt nicht durch den Placebo-Effekt verursacht wurde, sondern durch den natürlichen Verlauf einer Erkrankung.
Um zu prüfen, ob tatsächlich die Erwartung eines Heileffekts natürliche Heilmechanismen auslöst, führte man einen Versuch durch, bei dem die ethischen Bedenken gegen den Einsatz von Placebos dadurch umgangen wurden, dass man den Teilnehmern in der Placebo-Gruppe mitteilte, dass sie ein Scheinmedikament erhalten würden. Unter diesen Umständen, so hatten viele Anhänger der Meinung, dass es Erwartungen sind, welche den natürlichen Heilmechanismus in Gang setzen, vermutet, könnten sich gar keine Erwartungen aufbauen und folglich auch keine Heileffekte ausgelöst werden. Man hat allen an chronischer Darm-Irritation leidenden Versuchsteilnehmern dieselbe Behandlung angedeihen lassen, unabhängig davon, ob sie in der Placebo-Gruppe waren oder in der Vergleichsgruppe. Bei solch offener Anwendung von Placebos würde niemand in ethisch fragwürdiger Art getäuscht werden. Erwartungen waren bei diesem Versuch freilich trotzdem erzeugt worden, da man alle Teilnehmer im Vorhinein informiert hatte, vorherige Untersuchungen hätten gezeigt, dass bei chronischer Darm-Irritation Placebo-Effekte erzeugt werden könnten.
Bei einem anderen Versuch über die Rolle von Erwartungen beim Auslösen natürlicher Heilmechanismen ging man einen viel direkteren Weg. Man verhinderte die Entstehung von Erwartungen durch transkraniale magnetische Beeinflussung der Hirnregionen im präfrontalen Cortex, die für die Bildung von Erwartungen entscheidend ist. Das Magnetstimulationsgerät kann wie ein Schalter eingesetzt werden, mit dem man Erwartungen an- und ausschalten kann. Das Team um Peter Krummenacher am Zürcher Kollegium Helvetika (ETH Zürich) konnte solcherart zeigen, dass man damit das Auftreten eines schmerzlindernden Placebo-Effekts gezielt beeinflussen kann.
Literatur:#
- Ted j. Kaptchuk, et al: Placebos without Deception: A Randomized Controlled Trial in Irritable Bowel Syndrome. PLOs On 5812): e15591
- Peter Krummennacher,et al: Prefrontal Cortex modulates placebo analgesia. Pain. 2010 Mar. 148(3) 368-74t