Weltberühmt in Österreich: Das Pucherl#
Heuer ist eine Ikone der steirischen Industriegeschichte zu feiern. Das Puch-Schammerl, der Steyr-Puch 500, wurde vor 60 Jahren per Pressekonferenz in Graz der Öffentlichkeit vorgestellt. Dieses kompakte Automobil in italienischem Gewand gilt heute gewissermaßen als Leitfossil österreichischer Volksmotorisierung.#
Von Martin Krusche
Erschienen in: Steirische Berichte (Ausgabe 2/17)
Bis zum Zweiten Weltkrieg waren die meisten Autos auf unseren Straßen Firmen- oder Behördenfahrzeuge. Der Privatbesitz eines Wagens blieb für den Mehrheit der Menschen unerschwinglich. Der populäre Fünfhunderter entstand in der Verantwortung von Chefingenieur Erich Ledwinka, dessen Vater Hans zu den bedeutendsten Konstrukteuren der Branche zählt. Nach drei Prototypen, die verworfen wurden, entschied man sich bei der Steyr-Daimler-Puch AG für eine selbsttragende Karosserie vom langjährigen Geschäftspartner Fiat.
Ein Hauptteil der Bleche des Fiat Nuova 500, wie ihn Dante Giacosa und Giuseppe Alberti geschaffen hatten, bot die Hülle für ein Ensemble an stabilen Grazer Komponenten. Die bis heute attraktive Form steht auf einem kurzen Radstand von nur 184 Zentimetern. Das Pucherl bewährte sich als Junggesellen-Rakete, als Familienkutsche, machte auch im Rennsport Furore.
Ein soziales Statement#
In genau dieser Spannweite emotionaler Möglichkeiten ist das Pucherl bis heute ein wendiges Monument steirischer und österreichischer Nachkriegsgeschichte. Es gehörte vor allem in den 1970er-Jahren zum Inventar der unermesslich weiten Kiesplätze und Privatschuppen mit Gebrauchtwagen, unter denen Führerscheinneulinge eine preiswerte Auswahl fanden. Dem waren Jahrzehnte sozialer Spannungen vorangegangen, die seit dem Auftauchen von Automobilen auf unseren Straßen (kurz nach 1900) bis heute weitgehend unverändert erscheinen. Erstens wurden Autos als soziales Statement wohlhabender Leute gedeutet und dienen in ihren teuren Versionen bis in die Gegenwart als Statussymbol.
Zweitens schoben sie sich mit Tempo und Lautstärke zwischen die anderen Verkehrsteilnehmer, drängten diese konfliktreich zur Seite, kollidierten mit Menschen zu Fuß oder auf dem Fahrrad, liefen zur Konkurrenz gegen Fuhrwerke und Straßenbahnen auf. Spätestens 1905 sah sich die Behörde genötigt, Nummerntafeln auszugeben und Kraftfahrzeuge zu registrieren, auf dass man gegen den „Raserwahnsinn" der vergnügten „Autler" vorgehen könne. (Anfangs wurde ein Tempo von gerade einmal 40 Km/h schon als Raserei gedeutet.) Vor diesem Hintergrund erscheint das Puch-Schammerl als eine Art Versöhnungsangebot zwischen diversen sozialen Schichten. Es ist übrigens eines der ersten Automobile unserer Historie, das sich Arbeiter, die es gebaut haben, auch selbst leisten konnten. Das Aussehen des Fünfhunderters kommt überdies den Kriterien des „Kindchen-Schemas" recht nahe: markante Augen, hohe Stirn und rundliche Pausbackigkeit lösen positive Gefühlsreaktionen aus. Durch den luftgekühlten Heckmotor kann ein Kühlergrill entfallen, der bei anderen Autos genutzt wird, um ein überhebliches „Millionen Dollar-Grinsen" darzustellen oder eine aggressiv geformte Raubtierschnauze. Wo das Puch-Schammerl aber in Rennen geschickt wird, kann ihm mit „Rallyestreifen" und anderen Dekors ziemlich rasantes Aussehen verpasst werden.
In dieser Bandbreite der Erscheinungsformen ist der Puch-Wagen beliebig einsetzbar. Das trägt zu seiner heutigen Popularität bei. Ob seriöser Klassiker im umfassenden Originalzustand, ob „Tussi-Kiste" oder großspurige „Renn-Semmel", ob Sonderfall im Raritätenkabinett, das Basisfahrzeug ist vielfältig inszenierbar.
Ein Stück steirischer Folklore#
Dazu kommt, dass Standardversionen heute noch ganz gut leistbar sind, falls man in der „Youngtimer-Szene" mitfahren möchte. Die gute Ersatzteillage bewahrt einen vor Verzweiflung. Allerdings sind die Preise von historischen Fahrzeugen mit dokumentierter Geschichte längst durch die Decke gegangen.
Das Pucherl wurde im allgemeinen Verständnis zum ersten österreichischen Serien-Automobil der Nachkriegsgeschichte, bis es in seiner Kategorie durch den Austin Mini mit seinem Frontantrieb von der Straße ins Museum verwiesen wurde.
Auch wenn das Pucherl zu seiner Zeit keinerlei Verkaufsrekorde brach, es gehört heute fix zum Inventarjenes „Österreichischen Erinnerungsortes", den dieser bedeutende Mischkonzern gebildet hat, die historische Steyr-Daimler-PuchAG.
Einer der Nachfolgekonzerne in dieser Geschichte ist Magna Steyr. Es spricht Bände, dass die Autobahnzubringer dort, wo es zum Werk Graz-Thondorf geht, immer noch mit Puchwerk beschrieben sind. (Das Werk besteht übrigens heuer im 75. Jahr.)
Schon mit den fulminanten Fahrrädern von Johann Puch begann eine Entwicklung, die bis in unsere Tage reicht und eine tiefe Verankerung in der Bevölkerung hat.
Die Volkskultur in der technischen Welt, wie sie uns von der Ethnologie seit über einem halben Jahrhundert beschrieben wird, findet quer durchs Land in vitaler Praxis statt.
Das zeigt sich bei vielfältigen Veranstaltungen rund ums Jahr, das bildet sich in einer regen Sammeltätigkeit ab, die über das primäre Feld der Fahrzeuge weit hinausgeht. Automobilia aller Art, Nippes, Miniaturen, Motorsport-Memorabilia, historische Werbemittel, Kleidung, Kataloge, Zeitschriften, Literatur, auch Musikstücke gehören dazu.
Martin Krusche, Jahrgang 1956, ist freischaffender Künstler und Initiator des "Kuratorium für triviale Mythen" (Kunst Ost).
Weiterführendes#
- Das Jubiläums-Booklet (NID)