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Das unheimliche Potenzial der „Genschere“ #

Es ist die jüngste Revolution in der Gentechnik: „Genome Editing“ mittels CRISPR/Cas9 erleichtert Eingriffe an der Erbinformation von Bakterien, Pflanzen, Tieren und Menschen. Um mit den Entwicklungen mitzuhalten, braucht es verstärkte ethische Reflexion. #


Mit freundlicher Genehmigung der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (Donnerstag, 15. Dezember 2016)

Von

Martin Tauss


Symbolbild: Genschere
„RRI“ Eine Tagung der „Plattform für Responsible Research and Innovation“ (RRI) in Wien thematisierte Nutzen und Risiko von CRISPR/Cas9.
Foto: Shutterstock

Die gefährlichsten Tiere der Erde sind klein und lästig. Moskitos können aufgrund ihrer Vorliebe für menschliches Blut verheerende Infektionskrankheiten übertragen, darunter Malaria, Dengue- und Gelbfieber. Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO gab es letztes Jahr allein mehr als 200 Millionen Malaria-Fälle, verursacht durch infizierte Anopheles-Mücken, durch deren Stiche einzellige Parasiten (Plasmodium) in den Körper gelangen. Mehr als 400.000 Menschen sind vermutlich an dieser Tropenkrankheit gestorben, 90 Prozent davon in Afrika. Oft trifft es Kinder unter fünf Jahren.

Viele Anstrengungen wurden bereits unternommen, um die Moskitos und die von ihnen übertragene Krankheit zu bekämpfen. Doch Insektizide, Medikamente und andere Anti-Malaria-Maßnahmen waren nur begrenzt erfolgreich. Die Resistenzentwicklung und die rasche Vermehrung der Stechmücken machte allen bisherigen Strategien einen Strich durch die Rechnung. Kein Wunder, dass jedes neue Mittel in diesem Kampf mit großen Hoffnungen verbunden wird. Die jüngste Waffe heißt CRISPR/Cas9, kurz „Krisper“, und sie zielt direkt auf das Erbgut, die DNA. Das Werkzeug besteht aus einem riesigen Molekül, das wie eine winzige Schere funktioniert und die DNA zerteilen kann. Damit können DNA-Bausteine gezielt entfernt, eingefügt oder ausgeschaltet werden, so dass neue Varianten an Erbinformation entstehen. Das erinnert an die Bearbeitung eines Textes mit dem Word- Programm – „Genome Editing“ heißt daher der englischsprachige Fachbegriff.

Debatte über „Designer-Mücken“ #

Die so genannte „Genschere“ soll nun die Erbinformation der Anopheles-Mücke so verändern, dass die kleinen Blutsauger keine Gefahr mehr für den Menschen darstellen. Die Idee, die Genetik gefährlicher Mücken zu manipulieren, wird freilich schon länger verfolgt – doch mit CRISPR/Cas9 ist erstmals ein präziser, effizienter und kostengünstiger Weg des „Genome Editing“ verfügbar, wie Verena Seiboth vom IST Austria in Klosterneuburg bei Wien betont. Die Genschere habe die Arbeit im Labor deutlich erleichtert: „Das neue Werkzeug steigert generell den Forschungsumfang, der mit einem bestimmten Budget erreicht werden kann, und es erhöht auch die Forschungsgeschwindigkeit“, sagte die Biochemikerin bei einer Tagung der Plattform für verantwortliche Forschung und Innovation (RRI), die am 12. Dezember am Institut für Höhere Studien in Wien dem Thema „Ethik in der Forschungspraxis“ gewidmet war. „Damit lassen sich zum Beispiel Forschungsarbeiten von Post-doc-Mitarbeitern umsetzen, die bislang in einem Post-doc-Rahmen unvorstellbar gewesen wären.“

Bereits das Beispiel Malaria zeigt, dass mit dem gezielten Eingriff in das Erbgut stets auch ethische Aspekte verbunden sind: Werden die transgenen „Designer-Mücken“ vielleicht erst recht zu Monstern mutieren, mit letztlich unabsehbaren Folgen für die menschliche Gesundheit und das Ökosystem? Darf der Mensch so in die Natur eingreifen, dass er eine ganze Spezies manipuliert oder sogar ausrottet? Fragen dieser Art standen auch bei der Wiener RRITagung in einem Workshop zu CRISPR/ Cas9 zur Debatte.

Hoffnung bei HIV-Infektion #

Das neue gentechnische Werkzeug erscheint nicht nur für die Malariabekämpfung vielversprechend. Auch die Therapie von Krebs, AIDS oder Erbkrankheiten könnte dadurch auf neue Beine gestellt werden hoffen Mediziner. Im HIV-Modell etwa wurden im Tierversuch Stammzellen entnommen, um die Genscheren in die Zellen einzuschleusen und die veränderten Stammzellen wieder in den Körper zurückzuführen. Dieser Eingriff führte zum erwünschten Resultat: Die HI-Viren fanden keine Andockstelle mehr, da mit der Genschere jene DNA-Sequenz zerschnitten wurde, die den Bauplan für die entsprechenden Rezeptoren enthält. In zwei Jahren sollen die ersten klinischen Studien mit HIV-infizierten Menschen starten.

Unter allen medizinischen Anwendungen der Genschere hat die genetische Veränderung menschlicher Embryonen unter Laborbedingungen die größte Kontroverse entfacht. „Die Forschung hat noch einen sehr langen Weg vor sich, bevor eine solche Anwendung überhaupt in Betracht zu ziehen ist“, hält ein aktueller Report des britischen „Nuffield Council on Bioethics“ (2016) fest. „Aber sie ist theoretisch möglich und es gibt starke moralische Argumente dafür – zumindest für limitierte Zwecke – sowie dagegen.“ Ethische Fragen seien jetzt dringlich zu adressieren, zumal Bedenken bestehen, dass wissenschaftliche Innovationen wie das „Genome Editing“ zu schnell verlaufen, als dass die kritische Reflexion dieser Entwicklung in der Öffentlichkeit und Gesetzgebung damit noch mithalten könnte.

Da die Genschere potenziell jede DNA-Sequenz bei Bakterien, Pflanzen, Tieren und Menschen verändern kann, ergibt sich ein fast grenzenloses Spektrum potenzieller Anwendungen: Diese reichen von der Medizin über die industrielle Biotechnologie bis hin zur Landwirtschaft mit gentechnisch modifizierten Organismen.

Kontrolle über die biologische Welt #

Der Einsatz von CRISPR/Cas9 hat sich in den biologischen Wissenschaften rasant verbreitet. Seine Anwendung erfordert kein hoch spezialisiertes Forschungs- Know-how. Auch Eingriffe an mehreren DNA-Stellen können in nur einer Prozedur durchgeführt werden. Und das Genscheren- Werkzeug kann als Produkt leicht über das Internet bestellt werden, bemerkte Biochemikerin Seiboth: „Wenn man die wissenschaftliche Literatur zu potenziellen Anwendungen betrachtet, ist es schon ein bisschen unheimlich, was man damit alles machen könnte.“

Verantwortliche Forschung und Innovation sollte „eingebettet“ sein, empfahl Barbara Grimpe vom Institut für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) in Wien: „Wir sollten uns vor Generalisierungen hüten und sensibel für die konkreten Einsatzbereiche sein: Das heißt, welches Anwendungsfeld, welche Akteure, welche Technik, welche Förderbedingungen etc. untersuchen wir genau?“ Einerseits sei die Genschere schlicht „ein präziseres Werkzeug, um bereits etablierte Ziele zu erreichen“, konstatiert der Bioethik-Report des Nuffield Council. Andererseits aber könne das moderne „Genome Editing“ nicht nur die Biologie transformieren, sondern auch alle bisherigen Ideen und Ambitionen, wie Menschen die biologische Welt kontrollieren können. Die deutsche Wochenzeitung Die Zeit hat wohl ins Schwarze getroffen: Es wird nicht lange dauern, bis uns das sperrige Akronym CRISPR so geläufig sein wird wie heute die Abkürzungen DNA oder AIDS. Ein Hauch von „Science Fiction“, eine Aura von Zukunftsfragen liegt in der Luft. Ethische Antworten sind gefragt.

Der Streit der Forscher#

Emmanuelle Charpentier
Emmanuelle Charpentier
Foto: © @FPA

Es geht um Ruhm – und viel Geld: Ein Patentstreit ist darüber entbrannt, wer nun die revolutionäre Methode der „Genschere“ (CRISPR/Cas9) auf die Schiene gebracht hat. Auf der einen Seite stehen die französische Mikrobiologin Emanuelle Charpentier vom Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie (Bild) und die US-Biochemikerin Jennifer Doudna von der „University of California“, USA, die 2015 als Kandidatinnen für den Chemie- Nobelpreis gehandelt wurden. Charpentier war von 2002 bis 2009 an den Max F. Perutz Laboratorien in Wien tätig. Auf der anderen Seite beansprucht der chinesische Wissenschafter Feng Zhang vom Broad-Institut in den USA, das mit der Universität Harvard und dem Massachusetts Institute of Technologie (MIT) kooperiert, ebenfalls die Entwicklung für sich. Beide Parteien haben 2012 Patente angemeldet. Die Richter im US-Bundesstaat Virginia können nun einer der Parteien die Entwicklung von „CRISPR“ komplett zurechnen oder ihnen jeweils unterschiedliche Patente zusprechen. (mt)

DIE FURCHE, Donnerstag, 15. Dezember 2016

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