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Josua im Zeugenstand#

Vor 475 Jahren verurteilte Martin Luther das kopernikanische Weltbild. Doch seine Glaubensbrüder verhalfen ihm schließlich zum Durchbruch.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung (Sa./So., 24./25. Mai 2014)

Von

Christian Pinter


Luther-Statue in Hamburg
Martin Luther wies die kopernikanische Idee zurück - mit Zitaten aus der Bibel. (Hier die Luther-Statue in Hamburg.)
© Pinter

Frombork, im späten Mai 1539: Ein weitgereister 25-jähriger Mathematikprofessor trifft beim katholischen Domherren Nikolaus Kopernikus ein. Der junge Mann nennt sich Georg Joachim Rheticus. Er wurde am 16. Fe- bruar 1514 in Feldkirch, Vorarlberg, geboren. In Zürich hat er die Lehren des Schweizer Reformators Ulrich Zwingli, in Wittenberg Martin Luther persönlich kennen gelernt. Dessen einflussreicher Weggefährte Philipp Melanchthon fördert Rheticus seither; er half ihm 1536 auch, die Professur an der Wittenberger Universität zu erlangen.

Nur fünf Semester später ließ sich der Vorarlberger allerdings wieder beurlauben, um gelehrte Männer aufzusuchen. In Nürnberg traf er den Pfarrer Andreas Osiander, den Instrumentenbauer Georg Hartmann, den Drucker Johannes Petreius und den Kosmographen Johannes Schöner - allesamt prominente Protestanten. Johannes Schöner war es wohl auch, der Rheticus von den höchst eigentümlichen Vorstellungen des Domherren Nikolaus Kopernikus erzählte. Neugierig geworden, machte sich der junge Professor Richtung Ostsee auf.

Kosmos des Domherrn#

Im kleinen Ort Frombork (Frauenburg) am Frischen Haff (heute Polen) steht er dem 66-jährigen Kopernikus dann endlich gegenüber. Als Domherr der mächtigen Kathedrale ist dieser vor allem mit Verwaltungsaufgaben betraut. Sie haben ihm Muße genug gelassen, ein neues Universum zu entwerfen. Das steht allerdings im krassen Gegensatz zu dem seiner Zeitgenossen. Für sie jagt das All nämlich noch tagein, tagaus um die Erde herum - mitsamt allen Sternen, der Sonne und den Planeten. Die Erde ist in der Mitte der göttlichen Schöpfung fixiert und jeder Bewegung unfähig.

Claudius Ptolemäus hat diese erdzentrierte Kosmologie 14 Jahrhunderte zuvor mit besonderer Raffinesse beschrieben. Sie entspricht dem Augenschein, zumal man die Gestirne ja tatsächlich täglich auf- und untergehen sieht. Bei Kopernikus ist alles anders. Hier ruht der Kosmos, während die Erde einmal pro Tag um die Achse wirbelt. Erde und Sonne tauschen Platz. Die Sonne wird im kosmischen Zentrum verankert, die Erde dafür in Fahrt versetzt. Hätte Kopernikus Recht, wären alle Himmelsbetrachter seit dem Altertum einem fundamentalen Irrtum aufgesessen.

Kopernikus hat seinen Kosmos schon gut drei Jahrzehnte zuvor erdacht. Spätestens 1514 teilte er seine Gedanken wenigen Freunden und ausgewählten Gelehrten mit - nur handschriftlich. Mittlerweile hat er eigene Messungen am Firmament vorgenommen und seine Theorie mathematisch durchgearbeitet. Trotzdem zögert Kopernikus, seine Gedanken der Druckerpresse anzuvertrauen. Er weiß, wie "widersinnig" sie erscheinen müssen, weil sie "nahezu entgegen allen gesunden Menschenverstand" gerichtet sind.

Kaum beugt sich Rheticus über die Aufzeichnungen des Domherren, regt sich Einspruch aus Wittenberg. In seiner Tischrede vom 4. Juni 1539 spricht Martin Luther aus, was er von Kopernikus hält: "Es ward gedacht eines neuen Astrologi, der wollte beweisen, dass die Erde bewegt würde und umginge, nicht der Himmel oder das Firmament, Sonne und Mond". Das sei, als glaube jemand im fahrenden Wagen, nicht er, sondern das Erdreich und die Bäume gingen herum und bewegten sich. Kopernikus wolle die ganze Kunst der Astronomie umkehren, empört sich Luther: "Aber wie die Heilige Schrift anzeigt, so hieß Josua die Sonne stillstehen und nicht das Erdreich".

Gelobtes Land#

Gemäß der Heiligen Schrift drangen die Israeliten unter Josua, dem Nachfolger von Moses, ins Gelobte Land vor. Die Landnahme Kanaans soll teils friedlich, teils mit Waffengewalt erfolgt sein. So führte Josua das Heer etwa gegen Jericho und Ai. Die Bewohner der großen, streitbaren Stadt Gibeon schlossen vorsorglich Frieden mit den Israeliten. Das wiederum störte fünf Amoriterkönige. Sie versuchten nun, Gibeon zu erobern.

Die bedrohte Stadt wandte sich an Josua, der ihr mit seinem Kriegsvolk zu Hilfe eilte. Auf die fliehenden Amoriter ließ Gott sodann Steine - Luther spricht von "Hagel" - regnen: Dadurch sollen mehr von ihnen umgekommen sein als durch die Schwerter der Israeliten. Um Zeit für die Rache an den Feinden zu gewinnen, hieß Josua den Herren, das Tageslicht zu verlängern. "Also stund die Sonne mitten am Himmel und verzog unterzugehen einen ganzen Tag", liest man im 10. Kapitel des Buchs Josua.

Da Gott damals die Sonne hat stillstehen lassen, müsse sich diese vor und nach der göttlichen Intervention bewegt haben - folgert Luther. Er erinnert außerdem an den Psalm 19: Da freut sich die Sonne, ihren Weg "wie ein Held zu laufen". Und im Psalm 104 heißt es: "Der du das Erdreich gründest auf seinen Boden, dass es bleibt immer und ewiglich". Für Luther gibt es somit keinen Zweifel: Die Sonne läuft, während die Erde wie angewurzelt dasteht.

Kopernikus wird später von einer "bös verdrehten" Stelle der Heiligen Schrift sprechen. Und auch Rheticus sieht keinen wirklichen Widerspruch zur Bibel. Wer philosophiere, müsse im Geiste frei sein, unterstreicht er. Von der neuen Kosmologie überzeugt, drängt er Kopernikus, endlich zu publizieren. Vergeblich.

Deshalb greift Rheticus im Sommer 1539 selbst zur Feder. In seiner Narratio prima (Erster Bericht) stellt er die Thesen des Domherren ausführlich vor. Diese seien "gewiss nicht ohne göttliche Eingebung und Geheiß der Himmlischen" aufgestellt worden, versichert der Vorarlberger. Könnte Ptolemäus ins Leben zurückkehren, schlüge er heute keinen anderen Weg ein als Kopernikus - so Rheticus sinngemäß. Diese Schrift erscheint im März 1540. Das erste Druckwerk über die kopernikanische Lehre stammt also von einem Vorarlberger Protestanten.

Philipp Melanchthon ist alles andere als begeistert vom Vorstoß seines Protegés. In einem privaten Brief an den Mathematiker Burkhard Mithob macht er seinem Ärger 1541 Luft. Es sei "absurd", die Erde zu bewegen und die Sonne festzumachen. "Weise Herrscher sollten die Dreistigkeit der Geister zügeln!", schreibt Melanchthon darin.

Im Sommer 1541 hat Rheticus den Domherren endlich überredet: Kopernikus willigt in die Veröffentlichung seines Werks ein. Länger, so wird sich sehr bald herausstellen, hätte der Astronom nicht mehr zögern dürfen. Sein Manuskript wartet nun schon seit zehn Jahren auf den Druck. Es umfasst rund 200 doppelseitig beschriebene Blätter. Rheticus organisiert sie neu, schreibt sie in seiner Studierstube ab und bricht mit dieser Kopie nach Nürnberg auf.

Kathedrale von Frombork (Frauenburg)
Die Kathedrale von Frombork (Frauenburg), wo Kopernikus Domherr war und 1539 vom Vorarlberger Protestanten und Mathematiker Rheticus besucht wurde.
© wikimedia

Er trägt die Abschrift zum gelehrten Drucker Johann Petreius, der seiner wissenschaftlichen Werke wegen gerühmt wird. Aus seiner Offizin stammen auch Dutzende Publikationen der Reformation, darunter Schriften von Luther und Melanchthon. Rheticus übernimmt die Aufsicht über den Druck. Doch dann bietet ihm die Universität Leipzig eine überaus verlockende Professur an. Melanchthon hilft auch hier nach.

Rheticus tritt die neue Stelle im Wintersemester 1542 an und überlässt die Druckaufsicht nun Andreas Osiander: Der Pfarrer der Lorenz-Kirche hat 17 Jahre zuvor die Nürnberger Religionsgespräche entschieden, mit der Bibel als einziger Referenz: Seit diesem Streitgespräch zwischen den Anhängern Luthers und den Altgläubigen ist die Stadt evangelisch. Mit Osiander wirkt nach Rheticus und Petreius nun schon die dritte protestantische Persönlichkeit an der Publikation eines Weltbilds mit, das von Luther und Melanchthon abgelehnt wird.

Auf dem Weg von der Lorenz-Kirche zur Druckerei quert Osiander immer wieder den Nürnberger Hauptmarkt: Dessen Schöner Brunnen ist gerade renoviert worden. Seine 40 farbig bemalten Holzfiguren stehen für das damalige Weltbild: Auch die Figuren des biblischen Josua und des antiken Astronomen Claudius Ptolemäus finden sich hier. Osiander will weder die Theologen, noch die Naturphilosophen verschrecken. Er hat Kopernikus deshalb schon früher empfohlen, sein Werk nur als Rechenhilfe zum leichteren Kalkulieren der Planetenbahnen vorzustellen - und nicht als neue Kosmologie mit Anspruch auf Wahrhaftigkeit. Für Kopernikus ist das unannehmbar.

Osianders Alleingang#

Osiander fügt ein entsprechendes Vorwort schließlich ohne Zustimmung des Autors ein. Die im Werk genannten Grundannahmen (bewegte Erde, unbewegliche Sonne) müssten weder wahr sein noch wahrscheinlich, schreibt er darin: Es genüge schon, wenn sie eine stimmige Berechnung der beobachteten Himmelserscheinungen erlaubten. Niemand solle Gewissheit von der Sternkunde erwarten und die für einen anderen Zweck (nämlich zum bloßen Berechnen) ersonnenen Annahmen für wahr halten. Sonst ginge er törichter von dieser Wissenschaft fort, als er zu ihr gekommen sei.

Osiander - er wird später Professor für Theologie an der Universität Königsberg - (unter-) zeichnet sein Vorwort nicht. Dem Leser muss es scheinen, als zweifle Kopernikus selbst an seinem Weltbild. Der aber ist seit einem Schlaganfall im späten Herbst 1542 gelähmt und bekommt Osianders Alleingang nicht mehr mit. Der Astronom schließt seine Augen am 24. Mai 1543, nachdem man ihm das druckfrische Werk "De revolutionibus orbium coelestium" ans Totenbett gehalten hat. Ohne den Vorarlberger Protestanten Rheticus wäre es nicht erschienen.

Die sonnenzentrierte Kosmologie bleibt lange Zeit bloß eine unbeweisbare Hypothese. Nur wenige Gelehrte nehmen sie ernst. Am evangelischen Stift in Tübingen macht der Mathematiker Michael Mästlin einen äußerst wissbegierigen Studenten damit vertraut, den schwäbischen Protestanten Johannes Kepler. Dessen drei Planetengesetze werden dem Kopernikanismus letztlich zur Anerkennung verhelfen - ebenso wie die Fernrohrbeobachtungen des Katholiken Galileo Galilei.

Christian Pinter, geb. 1959, lebt als freier Journalist in Wien und schreibt seit 1991 über astronomische Themen im "extra".

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Wiener Zeitung, Sa./So., 24./25. Mai 2014