Die „Harden-Eulenburg-Affäre“ und der „Fall Redl“#
Der Essay ist eine gekürzte Version eines Vortrages (September 2014)
von
Manfred-Guido Schmitz
Ich w e i s s : In der Geschichtswissenschaft ist die M e t h o d i k äußerst wichtig; zuweilen könnte man sogar den Eindruck gewinnen, sie sei sogar n o c h wichtiger als etwaige Ergebnisse.
Nun geht es in diesem kleinen Vortrag um den „Fall Redl“ in Österreich-Ungarn, um die „Harden-Eulenburg-Affäre“ im Deutschen Kaiserreich und um e t w a i g e Zusammenhänge;
Selbst h e u t e wäre es für einen hohen Offizier noch durchaus n a c h t e i l i g, wenn seine Homosexualität bekannt werden würde, d a m a l s allerdings hätte das Bekanntwerden seiner [angeblichen] Homosexualität Redl seinen „Job“ als Offizier gekostet, d a mit hätte er vor dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen „Aus“ gestanden u n d er hätte mit einem Strafverfahren rechnen müssen.
So stellte sich mir die Frage:
Konnte Redl – falls er homosexuell gewesen sein sollte – die Risiken und Folgen u n t e r s c h ä t z t haben, wenn er „geoutet“ werden würde?
Hätte er annehmen können, bei einem so hohen Offizier wie ihm wäre ein etwaiger Skandal vereitelt bzw. vertuscht worden, weil man im Interesse des gesamten Offizierskorps den Vorgang „unter den Teppich kehren“ würde?
Standen die Folgen – alles zunächst rein theoretische Fragen – bei einem Bekanntwerden von Homosexualität möglicherweise nur auf dem Papier; im Gesetz, in den Dienstvorschriften, alles das wäre aber, sprichwörtlich, nicht so heiß gegessen worden wie es gekocht wird?
Und j e t z t und vor d i e s e m Hintergrund erscheint die Harden-Eulenburg-Affäre äußerst interessant und so komme ich, wie eingangs versprochen, nun detaillierter auf diese Affäre zurück:
In einem w i s s e n s c h a f t l i c h e n Vortrag dürfte ich es mir nicht so einfach machen, für unsere Zwecke erscheint jedoch legitim, trotz aller gebotener Vorbehalte aus „Wikipedia“ kurz zu zitieren; was den Vorteil hat, dass Sie meine Angaben dort auch ganz leicht überprüfen können.
Ich zitiere:
„Die Harden-Eulenburg-Affäre [...] war die Kontroverse um eine Reihe von Kriegsgerichts- und fünf reguläre Gerichtsverfahren wegen homosexuellen Verhaltens und die gegen diese Vorwürfe geführten Verleumdungsklagen. Betroffen waren prominente Mitglieder des Kabinetts von Kaiser Wilhelm II. in den Jahren 1907 und 1909. Die Affäre wird als einer der größten Skandale des deutschen Kaiserreiches bezeichnet. [...]
[Es] verübten in den Jahren 1906/07 sechs Offiziere Suizid, nachdem sie erpresst worden waren. Sie versuchten, dem Schicksal von 20 anderen zu entgehen, die in den Jahren zuvor einzig aufgrund ihrer Sexualität vom Kriegsgericht verurteilt worden waren. [...]
Wilhelm II., der bereits über die Verfahren gegen Major Graf Lynar und G e n e r a l l e u t n a n t Graf Wilhelm von Hohenau, [...], beide V e r w a n d t e des K a i s e r s, aufgebracht war, verlangte eine Liste seiner Vertrauten, die man der Homosexualität bezichtigte. [...] Wilhelm II. verlangte von den [...] aufgeführten Militärs [...] abzudanken.
[...] Seine Forderung nach Suspendierung der Betroffenen und einer gerichtlichen Klärung der Vorwürfe löste eine b r e i t e B e r i c h t e r s t a t t u n g in der P r e s s e und damit den Skandal aus.“
Zitat-Ende und nun freie Wiedergabe in m e i n e n Worten:
M i t in den Skandal verwickelt war mit Stammsitz Schloss Liebenberg der preußische Diplomat und enge Vertraute von Wilhelm II., der promovierte Jurist und später in den Fürstenstand erhobene Philipp (Friedrich Alexander Graf) zu Eulenburg und Hertefeld (1847 – 1921) und d e r war von 1894 bis 1902 Botschafter in W i e n
In diesem kleinen Vortrag geht es ja um die „H a r d e n –Eulenburg-Affäre.
Wer Eulenburg war, wurde bereits erwähnt.
Kommen wir nun zu dem anderen Herrn: Harden
Er war 1861 in Berlin als Sohn eines jüdischen Kaufmanns unter dem Namen Felix Ernst Witkowski geboren worden, trat später zum protestantischen Glauben über und machte sich unter dem Namen Maximilian Harden als Schauspieler, Kritiker, Journalist und Publizist einen Namen.
Harden stand v o l l hinter dem Kaiser und dessen „eisernen Kanzler“: Fürst Otto von Bismarck. Der war „zu seiner Zeit“ faktisch der mächtigste Mann in deutschen Landen, aber „seine Zeit“ war 1890 vorbei, als ihn Kaiser Wilhelm II. entmachtete; auch alles dies hier stark vereinfacht und verkürzt.
Nun kommen wir zu etwas, was ich unter logischen Gesichtspunkten für eine Legende halte, um nicht zu sagen: für eine gezielt gelegte falsche Spur:
Ausgerechnet bei j e n e r Flasche Wein, die der Kaiser zur Versöhnung dem geschassten Kanzler geschenkt habe, soll Bismarck nun Harden „gesteckt“ haben, dass der „Liebenberger“ Kreis, benannt nach Schloss Liebenberg von Graf bzw. Fürst Eulenburg, ein „homoerotischer Zirkel um Kaiser Wilhelm II.“ und Eulenburg selbst homosexuell sei.
Bismarck war – wie man heute sagen würde – ein „schlauer Fuchs“ und „mit allen Wassern gewaschen“. Deshalb meine Z w e i f e l an dieser Darstellung.
Für das, was m i c h an diesem Vorgang interessiert, ist es letztlich gleichgültig, w i e und von w e m Harden erfahren haben will, dass Eulenburg „homosexuell“ war:
R e l e v a n t erscheint mir:
Harden soll Eulenburg 1902 e r p r e s s t haben, seinen Botschafterposten in W i e n aufzugeben, den Eulenburg seit 1894 innehatte.
Und jetzt machen Sie sich bewusst:
Alfred Redl arbeitete seit 1900 für das „Evidenzbüro“, für den österreich-ungarischen militärischen Geheimdienst, in W i e n.
Das bedeutet für meine bzw. unsere Fragestellung zunächst nur:
Als G e h e i m d i e n s t mitarbeiter k a n n Redl davon erfahren haben, w a s d e r G r u n d dafür gewesen war, dass der langjährige B o t s c h a f t e r des dt. Kaiserreiches in Wien von seinem Posten 1902 zurücktrat: der Vorwurf der Homosexualität.
S p ä t e s t e n s jedoch durch die breite Berichterstattung über die Harden-Eulenburg-Affäre in den Jahren von 1907 bis 1909 m u s s Redl u n m i t t e l b a r zur Kenntnis genommen haben und deshalb „gewarnt“ gewesen sein:
Der Vorwurf der Homosexualität kann sogar
- einen hohen Diplomaten/Botschafter wie Graf bzw. Fürst Eulenburg zu Fall bringen
- ebenso einen G e n e r a l l e u t n a n t , der zugleich ein V e r w a n d t e r des deutschen Kaisers war
- und die Betroffenen wurden in einen sozusagen noch nie dagewesenen S k a n d a l verwickelt.
Betrachten wir nun Redl, seine Herkunft – und seine Ziele:
Er stammte aus k l e i n e n Verhältnissen, war offensichtlich von Ehrgeiz zerfleischt und wollte - wie der oberste k.u.k General Conrad (= Nachname) von Hötzendorf -
a) zum General befördert und
b) in den Adelsstand erhoben werden.
Nun könnte man einwenden:
Als (ehemals) zweiter Mann im österreich-ungarischen Geheimdienst in W i e n hätte sich Redl sicher geglaubt, sozusagen qua amte r e c h t z e i t i g zu erfahren, dass ihm – unterstellt, er s e i homosexuell gewesen, – eine Enttarnung drohe; und dann hätte er noch rechtzeitig reagieren, beispielsweise nach Russland fliehen können.
Allerdings wurde Redl im Oktober 1912 als Generalstabsoberst nach P r a g versetzt; nach meiner These:
a) um formal die Generalstabslaufbahn zu durchlaufen, um zum General befördert zu werden und vor allem
b)um g e t a r n t als Generalstabsoberst einen streng geheimen Spionageauftrag in Prag, dem Zentrum oppositioneller Strömungen in der Donaumonarchie, zu erfüllen.
Ob meine These nun zutrifft oder nicht: Zumindest bestand, falls Redl homosexuell war, das Risiko, statt im Spionagehauptquartier in W i e n nunmehr in P r a g etwaig zu s p ä t zu erfahren, ob wann und wie ihm ein ;Geoutet-Werden’ drohe.
N o c h d a z u kurz vor dem sicher geglaubten Ziel – Beförderung zum General und Erhebung in den Adelsstand – hätte Redl in P r a g nur allzu gute Gründe gehabt, gerade j e t z t b e s o n d e r s v o r s i c h t i g zu sein.
T a t s ä c h l i c h jedoch stellte sich der noch heute offiziellen ,Lesart’ zu Folge der T o p - Agent Redl gerade j e t z t sozusagen „noch dümmer an als die Polizei erlaubt“…
... und das wiederum würde – bewusst zugespitzt – bedeuten:
Redl, bekannt als harter „Arbeiter“ sowie pflichtbewusster, extrem ehrgeiziger Offizier und erfahrener, cleverer k.u.k.-Agent,
wäre quasi ausschließlich „triebgesteuert“ gewesen und hätte trotz des aktuellen „Beispiels“ der „Harden-Eulenburg-Affäre“ im befreundeten Nachbarland die a l l e r g r ö ß t e n Risiken in Kauf genommen, um selbst in dieser für ihn e n t s c h e i d e n d e n Phase seines Lebens seiner Sexualität zu frönen.
Dem immer wieder vorgebrachten Argument, Redl sei möglicherweise aufgrund seiner Homosexualität zur Spionagetätigkeit e r p r e s s t worden, sei entgegengehalten:
Als 2. Mann im k.u.k.-Geheimdienst und als Generalstabsoberst in Prag am Vorabend des 1. Weltkrieges wusste Redl g e n u g , um beispielsweise in Russland als Überläufer willkommen zu sein; doch Redl floh n i c h t:
Und in der noch heute offiziellen ,Lesart’ wird ihm unterstellt, in gleichsam selbstmörderischer Absicht habe Redl letztlich seine eigene Enttarnung betrieben…
M i c h also bestärkt die „Harden-Eulenburg-Affäre“ in meiner These:
Der Top-Agent Redl war in Prag, im Rahmen seiner Geheimdienstmission auf obersten p o l i t i s c h e n Befehl, am „Vorabend des 1. Weltkrieges“ auf d e r a r t b r i s a n t e Informationen gestoßen,
dass das M i l i t ä r , das den Kriegsausbruch w o l l t e ,
Redl a) sofort und b) für immer zum Schweigen bringen zu müssen glaubte; und zwar so, dass es zu k e i n e m Prozess kam und niemand mehr „dumme“ = gefährliche Frage zu stellen wagte.
Da bot es sich regelrecht a n , Redl als Verräter darzustellen, der mit dem angeblichen Judas-Lohn seine Homosexualität finanziert hatte.
Was a u f f ä l l t:
In der noch heute gängigen ,Lesart’ hatte der Journalist Egon Erwin Kisch 1913 als erster über den „Fall Redl“ berichtet; und der Skandal erschütterte die Donaumonarchie.
Wie Kisch war auch Harden Journalist; und d e r hatte mit der von ihm ausgelösten „Harden-Eulenburg-Affäre“ einen ähnlichen Skandal im deutschen Kaiserreich heraufbeschworen.
Nicht nur R e d l muss diese Parallelen ge- und er-kannt haben; auch K i s c h .
Und doch ging Kisch 1924 in seinem Buch über den ,Fall Redl“ mit k e i n e m Wort hierauf ein; obwohl dieser ähnliche Skandal in D e u t s c h l a n d erst wenige Jahre zurücklag.
Da stellt sich die Frage nach dem ,Warum?’.
Werfen wir nun – vorläufig a b s c h l i e ß e n d - einen Blick auf die F o l g e n
a) der Harden-Eulenburg-Affäre und
b) des „Falls Redl“:
Noch einmal sei – erneut mit allen Vorbehalten – aus „Wikipedia“ zitiert:
„Kaiser Wilhelm II. wandte sich, wie Harden es beabsichtigt hatte, von den durch die Affäre stigmatisierten m o d e r a t e n Kreisen ab. In der Folge wandte er sich mehr militärisch ausgerichteten Beratern zu.“ Zitatende. Wir alle wissen, wohin das führte…
1924 beschrieb in seinem schon mehrfach erwähnten Buch Egon Erwin Kisch – wenige Jahre nach dieser Affäre in D e u t s c h l a n d – die weitere Entwicklung in der Donaumonarchie:
Der Kronprinz wollte die g e s a m t e Generalität austauschen, wobei sich der bereits benannte Conrad von Hötzendorf immer und immer wieder, aber immer und immer wieder vergeblich für einen Angriffskrieg gegen Serbien stark gemacht hatte.
Laut Kisch trotz deutlicher Hinweise auf zu erwartende Gewaltakte in Sarajevo reiste der Kronprinz dorthin – und fiel einem v e r m e i n t l i c h überraschenden Attentat zum Opfer. Conrad von Hötzendorf hatte den Kronprinzen k u r z vor dem Attentat unter einem V o r w a n d verlassen und blieb natürlich unbehelligt.
Jetzt wurde die Generalität n i c h t ausgetauscht und mit den Tod des k.u.k.-Thronfolgers gab es nach außen hin e n d l i c h einen Grund für den Beginn des (1. Welt-)Krieges.
Wie eingangs erwähnt:
Da wäre es doch m.E. naheliegend, anders als in meinem kurzen Vortrag: natürlich m e t h o d i s c h k o r r e k t
zu untersuchen, ob sich Belege finden lassen für einen von mir zumindest für möglich gehaltenen Zusammenhang
zwischen dem damals größten Skandal im deutschen Kaiserreich in Gestalt der Harden-Eulenburg-Affäre
und dem Skandal um Generalstabsoberst Redl, der kurz darauf die Donaumonarchie erschütterte;
beides vor ein-und-dem-selben Hintergrund.
Und hier sehen Sie nun den A u s l ö s e r für den Skandal im dt. Kaiserreich:
Harden hatte ab 1892 die Wochenzeitschrift „Die Zukunft“ herausgegeben, sie erschien bis 1922, bis rund 5 Jahre vor Hardens Tod (1927).
In Band 57 (die Zeitschrift wurde pro Quartal gebunden) findet sich h i e r [das Buch ist gerade an mich u n t e r w e g s...] Hardens Artikel vom 17. November 1906. D a s war der Auslöser für den Skandal...
Wenn Sie möchten, kann ich gerne ein paar Sätze daraus vorlesen und selbstverständlich stehe ich Ihnen zur Verfügung, falls Sie Fragen haben bzw. das Thema in einer Diskussion vertiefend erörtern möchten.
Manfred-Guido Schmitz (60), Journalist und Historiker, Nordstrand/Nordsee
Siehe auch
-- Lanz Ernst, Samstag, 19. September 2020, 09:14