"Sie starb für ihren Glauben"#
Vor zehn Jahren, am 21. Juni 1998, ist die mutige Ordensschwester selig gesprochen worden.#
Von der Wiener Zeitung freundlicherweise zur Verfügung gestellt. (Samstag, 21. Juni 2008)
von
Evelyn Steinthaler
Der "Anschluss" im März 1938 und die Machtergreifung der Nationalsozialisten bedeuteten für Helene Kafka, so der bürgerliche Name Maria Restitutas, eine inakzeptable Provokation. Für die humorvolle, lebensfrohe und energische Nonne, die nicht ohne Grund den Spitznamen "Resoluta" trug, war Hitler nichts anderes als ein "Narrischer" und sie tat dies auch lauthals kund.
Restituta, wie sie von den meisten genannt wurde, hielt nichts vom allgemein verbreiteten Mundhalten. Wo sie nur konnte, widersetzte sie sich dem braunen Regime, hielt sich mit kritischen Äußerungen und Taten nicht zurück: Sie betete verbotenerweise, aber keineswegs geheim, mit kranken polnischen Zwangsarbeitern und ersetzte 1940 in den Krankenzimmern des Mödlinger Krankenhauses, in dem sie seit 1919 tätig war, die Hakenkreuze durch Kruzifixe. Diese Aktion führte zu einem Konflikt, der ihr beinahe zum Verhängnis werden sollte.
Dennoch trotzte sie der ständig drohenden Gefahr. Am 8. Dezember 1941 kamen zwei Wehrmachtsangehörige ins Krankenhaus, um einen Verband sterilisieren zu lassen. Sie trafen die widerständige Ordensfrau und zeigten ihr den Text eines kritischen Soldatenliedes, dessen Schlussverse lauteten:
" ...Was haben die Völker uns getan?
Wir nehmen die Waffen nur in die Hand
zum Kampf fürs freie Vaterland,
gegen das braune Sklavenreich,
für ein glückliches Österreich!"
Restituta ließ das Lied von einer Angestellten abschreiben, doch eine Blaupause davon gelangte in die Hände des SS-Arztes Stumfohl. Der überzeugte Nationalsozialist, der die Stelle eines vertriebenen jüdischen Arztes übernommen hatte, wurde von Restituta in aller Öffentlichkeit als "Nichtskönner" bezeichnet, und war ihr deshalb feindlich gesonnen. Nun war der Zeitpunkt der Rache für ihn gekommen – er denunzierte die Nonne. Am 18. Februar 1942, kurz nachdem die Blaupause gefunden worden war, stürmte die Gestapo den Operationssaal des Krankenhauses und verhaftete Maria Restituta.
Ein Blick zurück#
Helene Kafka ist am 1. Mai 1894 als sechstes von sieben Kindern des Schuhmachergehilfen Anton Kafka und der Blütenmacherin Maria Kafka, geborene Stehlik, in Brünn zur Welt gekommen. Als Helene gerade zwei Jahre alt war, zog die Familie nach Wien. Die Kafkas hatten im Brünner Stadtteil Husovice in ärmlichen Verhältnissen gelebt; die Hoffnung, es würde in Wien rasch besser werden, erfüllte sich nicht. Die Familie lebte in mehr als bescheidenen Verhältnissen in der Wiener Brigittenau.
Der Wunsch, einem Orden beizutreten, keimte schon früh in Helene, die in den ersten Jahren ihres Lebens stotterte und mit brachialpädagogischen Mitteln "geheilt" wurde. Unter anderem wurde ihr ein dreimonatiges Redeverbot auferlegt, in der damaligen Zeit eine verbreitete Therapie gegen das Stottern.
Nach dem Besuch der Bürgerschule arbeitete die junge Helene zunächst in einer Trafik. Doch bald wurde sie im Krankenhaus Lainz als Hilfskrankenschwester angestellt. Die Freude an dieser Arbeit, möglicherweise auch die Hoffnung, der familiären Armut zu entkommen und anderen aus einer gesicherten Position heraus helfen zu können, führte Helene im Alter von 19 Jahren in den Orden der "Franziskanerinnen von der christlichen Liebe", den sogenannten Hartmannschwestern. Ihre Tätigkeit als Ordenskrankenschwester nahm sie im Mödlinger Spital auf, wo sie Jahre später ihr Schicksal ereilen sollte.
Die Gefangenschaft#
Es war am Aschermittwoch des Jahres 1942, als die Denunziation des SS-Arztes Stumfohl schlimme Folgen zeitigte: Schwester Restituta, die Aufrechte, kam nach Wien und durchlief wie viele andere Widerständige die Wiener Stationen der Haft: "Die Liesl" (Elisabethpromenade, heute: Polizeigefängnis Rossauerlände) und "das Einser Landl" (Wiener Landesgericht), wo auch die Hinrichtungen mit der Guillotine durchgeführt wurden.
Auch in der Gefangenschaft ließ sich Schwester Restituta weder einschüchtern noch davon abbringen, anderen zu helfen. Wo sie konnte, stand sie ihren Mitgefangenen bei, mit ihrer Hilfsbereitschaft, Menschlichkeit und ihrem Glauben, aber auch mit ihrem fundierten medizinischen Wissen. Für die Gefangenen war es von unschätzbarem Wert, für wenigstens ein paar Stunden aus den beengten Zellen ins Inquisitenspital zu können und dort auf andere Häftlinge zu treffen. Restituta verhalf ihnen dazu, indem sie ihnen erklärte, wie man Gallenkoliken oder Magenbeschwerden vortäuschen kann.
Die Festnahme Restitutas wirft, trotz aller späteren Bemühungen um die Seligsprechung der Nonne, kein allzu gutes Licht auf die katholische Kirche. Es dauerte drei lange Monate, bis Kardinal Innitzer ein Gnadengesuch für die kämpferische Nonne an die Nationalsozialisten richtete. Kirchenintern war man der Meinung, dass eine Nonne nicht nur Jesus und Gott anzuerkennen, sondern sich auch demütig dem weltlichen Führer Hitler zu unterwerfen hätte. Das verzögerte Gnadengesuch wurde schließlich von Martin Bormann persönlich abgelehnt.
Nach einem Verhör bei der Gestapo durch den berüchtigten Schläger Franz Punz, bei dem ihre Nonnenkutte zerrissen wurde, brachte eine ihrer leiblichen Schwestern Zivilkleidung ins Gefängnis. Maria Restituta wurde dennoch nicht wieder zu Helene Kafka. Ihrem Prinzip des Widerstandes entsprechend blieb sie bei ihren Mitgefangenen und erledigte mit ihnen zusammen Arbeiten wie das Auftrennen verschmutzter Soldatenbekleidung.
Vom 5. Strafsenat wurde Schwester Maria Restituta am 29. Oktober 1942 wegen "Feindbegünstigung und Vorbereitung zum Hochverrat" zum Tode verurteilt, und am 30. März 1943 als eine von 18 Verurteilten – darunter fünf Straßenbahner aus Wien und zwei weitere Frauen – im Wiener Landesgericht hingerichtet.
Entgegen der nationalsozialistischen Propaganda waren nicht alle im Wiener Landesgericht Hingerichteten Kommunisten, sondern auch Schutzbündler, Monarchisten, Katholiken – kurz, Menschen unterschiedlicher Herkunft, die alle gegen das unmenschliche Regime auftraten.
Trotz kirchlichem Verlangen wurden die sterblichen Überreste der hingerichteten Ordensfrau nicht ihrem Orden übergeben. Maria Restitua wurde in der Nacht auf dem Wiener Zentralfriedhof verscharrt, wohl deshalb, weil man eine rasch aufkeimende Märtyrer-Verehrung fürchtete.
Mythenbildungen#
In der Tat bildeten sich um die aufrechte Ordensfrau bald Mythen. Nach dem Krieg erzählte die Kommunistin und Zellengenossin Anna Haider, dass Restituta in der Todeszelle gestrickt habe. Dieses Bild von der strickenden Nonne wurde auch in das Restituta-Musical übernommen, das 2003 im Brigittenauer Gymnasium aufgeführt wurde, doch es entspricht nicht den Tatsachen: Die Nationalsozialisten haben nachweislich niemandem erlaubt, in der Todeszelle Stricknadeln oder Ähnliches zu verwenden. Die Häftlinge durften sich durch keinerlei Beschäftigung ablenken, sie wurden gezwungen, tatenlos und demütig auf ihre Hinrichtung zu warten.
In der sogenannten 40er Gruppe am Wiener Zentralfriedhof wurde nicht nur die Leiche der seligen Maria Restituta verscharrt, sondern auch die sterblichen Überreste von etwa 2700 Widerstandskämpfern, die für ihren Glauben an ein demokratisches, antifaschistisches Österreich in Wien hingerichtet wurden.
Die wechselvolle Geschichte der 40er Gruppe illustriert den Umgang der Zweiten Republik mit diesen Helden, ohne deren Kampf für ein freies Österreich die Durchsetzung des Staatsvertrages weitaus schwieriger gewesen wäre. Denn die Moskauer Deklaration war nicht die einzige Begründung für die Alliierten Mächte, das befreite Österreich schon 1955 wieder souverän werden zu lassen. Nach ersten Bemühungen durch ehemalige Mithäftlinge und die Sowjetischen Alliierten scheiterte der Versuch, die 40er Gruppe zu einer würdevollen Stätte des Gedenkens zu machen, jahrzehntelang an der bürokratischen Haltung Österreichs. Die Zuständigkeiten zwischen der Stadt Wien und dem Innenministerium sind zwar klar verteilt, aber ein wirkliches Engagement für eine ehrenvolle Erinnerung an die Hingerichteten zeigt sich bis heute weder da noch dort.
Restituta-Gedenkstätten#
Auf dem kleinen Grabstein der Seliggesprochenen steht zu lesen: "Sie starb für ihren Glauben und ein freies Österreich". Im Wiener Hartmannspital gibt es eine Dauerausstellung zu Leben und Wirken der Seligen Maria Restituta. In Mödling wurde ihr zum Gedenken die westliche Hälfte der Weyprechtgasse (vor dem Krankenhaus) in "Schwester-Maria-Restituta-Gasse" umbenannt. 2006 verlegte der Kölner Künstler Gunter Demnig dort einen jener "Stolpersteine", die er auch in Wien und an vielen anderen Orten Europas als kleine Mahnmale für die Opfer des Nationalsozialismus installiert. Im 20. Wiener Bezirk gibt es seit dem Jahr 2000 den Maria-Resituta-Platz. An verschiedenen Schauplätzen ihres Lebens wird also ihrer gedacht.
Die Seligsprechung am 21. Juni 1998 durch Papst Johannes Paul II. am Wiener Heldenplatz, die vom Wiener Restituta-Forum jahrelang auf den unterschiedlichsten Ebenen vorangetrieben wurde, war ein wichtiger Schritt für die Anerkennung ihres antifaschistischen Engagements seitens der Kirche. Eine weitere, höchst notwendige Anerkennung wäre nun die Umwandlung der Grabstellen der 40er Gruppe in Ehrengräber – für Restituta und für tausende andere Männer und Frauen, die als Widerstandskämpfer hingerichtet worden sind. Eine Verpflichtung für das offizielle Österreich, das nur den Entschluss dazu fassen müsste.
Evelyn Steinthaler lebt als Journalistin und Autorin in Wien. Sie ist die Herausgeberin des Buches "Frauen 1938. Verfolgte – Widerständige – Mitläuferinnen", das vor kurzem im Wiener Milena Verlag erschienen ist.