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Die Hochburg des Techno-Animismus #

In der Robotik ist Japan an vorderster Front – aber warum stoßen Maschinenwesen dort auf so große Akzeptanz? Bei der „Robophilosophy“-Konferenz in Wien wurde der künftige Einsatz von Robotern aus geisteswissenschaftlicher Sicht beleuchtet. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE, 22. Februar 2018

Von

Martin Tauss


Robotertier Aibo
Künstliche Hunde (links und rechts: „Aibo“) oder Katzen sind pflegeleicht und stubenrein und insbesondere für Kinder und ältere Menschen als Haustierersatz gedacht.
Foto: © Foto: AFP / Kazuhiro Nogi
Robotertier Aibo
Robotertiere. Seit den 1990er-Jahren wurden diverse Robotertiere entwickelt:
Foto: © Foto: AFP / Kazuhiro Nogi

Sein Englisch ist nur schwer verständlich, doch der Hörsaal voll mit Zuhörern, die an seinen Lippen hängen: Hiroshi Ishiguro war der Stargast der Konferenz „Robophilosophy“, die letzte Woche an der Universität Wien stattgefunden hat. Die Verbindung von Technik und Geisteswissenschaft stand auf dem Programm, um den Einsatz von Robotern in diversen Gesellschaftsbereichen zu beleuchten – etwa als Sprachlehrer für Kinder, als Kellner in Restaurants, als Rezeptionisten in Hotels oder als Gesprächspartner für ältere Menschen, wie Ishiguro erläutert.

Der 54-jährige Japaner ist Direktor des „Intelligent Robotics Laboratory“ an der Universität Osaka, doch mit seinem glatten Gesicht und der schwarzen Lederjacke wirkt er seltsam alterslos. Immer wieder streicht er sich durch das dichte schwarze Haar, um seine Frisur zurechtzurücken. Der Forscher, der sich durch plastische Chirurgie jung zu halten versucht, wollte eigentlich Künstler werden. Irgendwie hat er das ja auch geschafft, als Pionier in den Computerwissenschaften. Mit seinen Roboter-Experimenten sorgt er für Aufsehen und Provokation, ähnlich wie ein Musiker oder Maler, der mit unerhörten Grenzüberschreitungen künstlerisches Neuland betritt.

Künstlicher Doppelgänger #

Weltweite Bekanntheit erlangte Ishiguro durch die menschenähnlichen Roboter (Androide), an denen er in seinem Labor tüftelt. Auch einen maschinellen Doppelgänger, einen Geminoid, hat er sich erschaffen. Damit erinnert der japanische Professor an eine moderne Version von Oscar Wildes „Dorian Gray“: In diesem Fall ist es aber sein Spiegelbild des Roboters, das dem Diktat des Alterns entkommen ist. Geminoide sind menschenartige Roboter, die einem konkreten menschlichen Vorbild nachgebaut sind. Der menschliche Körper wird hier mit einem 3D-Scanner vermessen, damit er als Roboter detailgetreu rekonstruiert werden kann. Durch Fernsteuerung über das Internet ist es möglich, dass der Roboter die Gesichtsbewegungen von seinem menschlichen Original übernimmt, auch dessen sprachliche Äußerungen. Wovon viele Berufstätige mitunter träumen, nämlich sich selbst für mehrere Tätigkeiten aufteilen zu können, wird hier realisiert: Denn Ishiguro nutzt diese Technik, um seine „Präsenz“, wie er sagt, zu verdoppeln und Vorlesungen mit seinem künstlichen Ebenbild zu bestreiten.

„Menschliche Präsenz zu transferieren“, ist einer der Schwerpunkte auf der Agenda des umtriebigen Wissenschafters. Es geht um die Simulation urmenschlicher Impulse – Gefühle, Wünsche, Begehren Untersucht wird etwa, wie Roboter Menschen sozial beeinflussen und was jene Menschen empfinden, die den Roboter steuern und durch ihn kommunizieren. Wie groß die Verbundenheit von Mensch und Roboter sein kann, zeigen Beobachtungen im Labor: Viele Menschen, die sich eines Geminoiden bedienen, berichten davon, dass sie es am eigenen Körper verspüren, wenn jemand ihren Roboter berührt. In einem Experiment von Ishiguro wurde dieser Befund bestätigt, wenn der Geminoid eine Injektion in die Hand erhielt: Die Teilnehmer hatten das Gefühl, als ob sie selbst von einer Injektionsnadel gestochen worden wären, und zeigten auch typische körperliche Reaktionen. Das Team von Ishiguro arbeitet zudem an ferngesteuerten Androiden im praktischen Handyformat. Die User sollen dadurch auch an entlegenen Orten anwesend sein und ihren Gesprächspartnern das Gefühl einer persönlichen Begegnung vermitteln. Es sind vor allem die Methoden der Ingenieurs-, Kognitions- und Neurowissenschaft, die bei diesen Projekten zum Einsatz kommen.

Gefühl der Präsenz #

„Wer ist schöner, die Menschen oder die Roboter?“ Im Wiener Hörsaal wendet sich Ishiguro nun den großen Fragen des Lebens zu. „Was ist überhaupt Schönheit?“, „Was ist Leben?“ und „Was ist der menschliche Geist?“ Diese Fragen werden in großen Lettern an die Wand geworfen. Die Roboter sollen letztlich dazu dienen, das Menschsein besser zu verstehen, so das Credo des Forschers. Er bedient sich des Ausdrucks „lifelikeness“ (Lebensähnlichkeit), um das seltsame Gefühl zu beschreiben, das die elektronisch gesteuerten Androide heute schon im Menschen auslösen können: Das ist ja fast schon einer oder eine von uns.

Kodomoroid
Hiroshi Ishiguro. Der japanische Robotik-Forscher hat für sich selbst einen maschinellen Doppelgänger geschaffen (Geminoid HI-2).
Foto: © AFP / Kazuhiro Nogi
Kodomoroid
Hier präsentiert er den sprachbegabten Androiden „Kodomoroid“.
Foto: © AFP / Kazuhiro Nogi

Dass Roboter als belebte Wesen empfunden werden oder gar so etwas wie eine Seele haben können, ist in Ländern mit christlich- abendländischer Prägung eine abwegige Vorstellung. In Japan hingegen ist auch heute noch die alte religiöse Tradition des Shintoismus lebendig, die von einem animistischen Weltbild geprägt ist. Wenn Objekte in der Natur als beseelt wahrgenommen werden, liegt die Vorstellung nahe, dass auch Maschinenwesen zum belebten Kosmos gehören. So gibt es in Japan bereits Friedhöfe für Hunderoboter, auch für Pflegeroboter wird die Einrichtung von Grabund Gedenkstätten diskutiert.

„Aber auch die jüngere japanische Geschichte spielt für die Roboterbegeisterung eine große Rolle“, erläutert Michael Funk, Technikphilosoph an der Universität Wien. „Die Niederlage des japanischen Kaiserreichs im Zweiten Weltkrieg wurde als Schande empfunden, die japanische Gesellschaft wollte sich daher neu erfinden. Die Technik wurde zur großen Projektionsfläche dieser Erneuerung.“ In den Comics der japanischen Pop-Kultur, wo es von positiv besetzten Maschinen- Männchen nur so wimmelt, sei dies exemplarisch nachzuvollziehen. „Kein Wunder, dass Roboter in Japan rasch zum Sinnbild einer neuen, besseren Gesellschaft wurden“, sagt Funk, der freilich auch auf ökonomische Gründe verweist: Denn Japan sei ein Land mit wenig Einwanderung und einer alternden Gesellschaft. Während der wachsende Pflegebedarf in Mitteleuropa noch durch billige Pflegekräfte aus Osteuropa kompensiert werden könne, müsse sich Japan hier verstärkt mit maschinellen Arbeitskräften behelfen. „Der japanische Roboter- Hype ist letztlich ein Spiegelbild der religiösen, sozialen und ökonomischen Situation des Landes“, resümiert der Technikphilosoph.

Mensch-Roboter-Symbiose #

In einem Workshop bei der Wiener Konferenz hat Funk gemeinsam mit dem Techniker Bernhard Dieber vom Joanneum Research Klagenfurt einen ganz anderen Roboter präsentiert: Im Vergleich zu Ishiguros kunstvollen Geschöpfen wirkt „Yumi“ recht bescheiden und rein funktional – sehr europäisch, könnte man meinen. Er besteht lediglich aus einem Rumpf mit zwei Armen, mit denen er ebenso kräftig wie geschickt zupacken kann. Die japanische Faszination an Androiden kann Dieber nicht nachvollziehen: „Ich sehe keinen Grund, Roboter menschenähnlich nachzubauen – es sei denn aus pragmatischen Gründen, etwa um die Vorteile des menschlichen Bewegungsapparats auf die Maschine zu übertragen.“

Der Vortrag von Hiroshi Ishiguro neigt sich dem Ende zu. Der japanische Visionär spricht von Androiden, die durch neuronale Netzwerke kontrolliert werden, und von einer Gesellschaft, in der Menschen und Roboter symbiotisch zusammenleben. Zuletzt die Fragen aus dem Publikum. „Wenn Sie einen Streit mit Ihrer Frau haben, holen Sie dann einen Roboter, der Sie versteht und vermitteln kann?“ Ishiguro schweigt ungewöhnlich lange. Das Publikum beginnt zögerlich zu lachen

DIE FURCHE, 22. Februar 2018

Siehe auch JOANNOVUM 1/2020#


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