Maschinen rosten, altern aber nicht #
Dass Roboter in Alten- und Pflegeheimen kräftig mit anpacken werden, ist keine gewagte Prognose. Warum aber beschäftigt uns dieses Thema so sehr?#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 28. Juli 2016).
Von
Michael Funk
Roboter, die durch die Gänge flitzen, das Pflegepersonal mit kleineren oder größeren Hilfsarbeiten unterstützen und womöglich auch noch Alleinunterhalter sind: Kaum eine Veranstaltung zu den gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit lässt diese Technikvision außen vor. Selbst jene, die sich seit Langem mit dem Thema beschäftigen, fragen sich: Warum ist das so? Schließlich sind doch auch andere Entwicklungen irgendwie außer Rand und Band – denken wir etwa an die synthetische Biologie und das künstliche Erschaffen von einzelligem Leben im Labor. Vielleicht sind damit verbundene Ängste und Hoffnungen zu abstrakt? Wer weiß schon, was es mit einer „Fusion-PCR“ und „Oligonukleotiden“ auf sich hat? Gelenkschmerzen aber kennt jeder. Hier berühren uns Pflegeroboter konkreter als andere neue Technologien, in Momenten der Krankheit und Sorge. Sie fordern uns heraus, in den Spiegel zu sehen.
Und manche Techniker unternehmen enorme Anstrengungen, um uns mit „Humanoiden Robotern“ einen Spiegel vorzuhalten. Von außen erscheinen diese Geräte menschlich, mit Kopf, Armen und Beinen, sprechend und mit künstlicher Haut. Trotzdem zeigen die Roboter auch Grenzen der Technik: außer Rand und Band, aber doch nicht dem Menschen gleich.
Der Mensch und sein Ebenbild #
Es gibt Roboterforscher wie Hiroshi Ishiguro, die ihresgleichen als Maschine erschaffen. Auf vielen Bildern hat sich der Roboterenthusiast schon mit seinem technoiden Ebenbild ablichten lassen. Und doch, eines wird sein Roboter-„Klon“ nicht können: zusammen mit dem Schöpfer altern. Die Maschine kann rosten, aber jene Fragilität des menschlichen Leibes – zugleich das Zentrum faszinierender sensorischer und geistiger Leistungen – werden Geräte aus Aluminium und Silikon nicht erreichen. Wir können das Älterwerden nicht trennen von unseren Gaben des rationalen Denkens, kreativer Kunst oder dem handwerklichen Können, wodurch so vieles erschaffen wird.
Warum beschäftigen uns Pflegeroboter so sehr? Weil sie nicht auf Fachmessen oder im Fernsehen bleiben, nicht in Fabrikhallen oder als Drohnen in ethisch fragwürdigen Kriegen weit weg zum Einsatz kommen. Nein, sie treten unserem Leib entgegen im Moment der Endlichkeit. Sie zwingen uns – eindringlicher als jeder Industrieautomat oder jedes Smartphone – über unsere Schwächen und die damit verbundenen Stärken des Menschseins nachzudenken.
Trotzdem könnten Smartphones im Umgang mit Pflegerobotern eine wichtige Rolle spielen. Oft wird auf die immer älter werdende Bevölkerung hingewiesen und auf den daraus ableitbaren Umstand, dass wenige junge Menschen immer mehr Ältere zu pflegen haben. Gleichzeitig taucht aber in fast jeder Diskussion das Argument auf: „Wer heute jung ist und mit Smartphones und Computern aufwächst, wird im Alter weniger Scheu vor Pflegerobotern haben.“ Aber was soll aus den heute Jungen überhaupt im Alter werden, wenn Maschinen ihre Arbeitsplätze ersetzen? Spätestens seit der Industriellen Revolution wissen wir, dass technischer Fortschritt ganze Berufsgruppen um Lohn und Brot bringen kann. Pflegeroboter betreffen nicht nur Ethikkommissionen – sie fordern Pflegefachkräfte, ehrenamtliche Helfer und die Familie bei häuslicher Pflege heraus. Pflege ist harte und wertvolle Arbeit. Es ist aber auch erschütternd, in Gesprächen mit Pflegekräften zu erfahren, wie hoch die psychische und körperliche Belastung ist. Burnout oder Bandscheibenvorfälle sind leider nicht selten. Und nun soll noch die Angst um den Arbeitsplatz hinzutreten? Oder werden wir die Roboter als Ergänzung brauchen, da in alternden Gesellschaften die wenigen Jungen nicht mehr reichen, um all die vielen Alten zu pflegen? Auch dieses Argument ist zu hören.
In Diskussionen mit angehenden Altenpflegern begegnet man aber auch Optimismus. Maschinen könnten Reinigungsaufgaben übernehmen und den Pflegern so mehr Zeit für soziale Arbeit verschaffen, oder beim Tragen und Heben von Patienten helfen. Denn gerade hier ist die körperliche Belastung für das Personal enorm und Hilfe gewünscht. „Exoskelette“ sind mechanische Verstärkungen der menschlichen Gliedmaßen: Der Pfleger kann in den Roboter hineinschlüpfen wie in einen Anzug, bleibt als sozialer Akteur erhalten, und erhält beim Heben bettlägeriger Patienten Entlastung. Kleinere Roboter wie die Robbe „Paro“ werden erprobt für den Einsatz zur Demenzprävention. Das von außen wie ein Kuscheltier wirkende Gerät reagiert durch Sensoren und Mechanik unter einer weichen Oberfläche auf äußere Reize wie Worte oder Streicheln. Eine Hoffnung ist, dass Menschen künftig mit technischer Hilfe länger selbstständig im vertrauten Heim leben können.
Datenschutz und Sicherheit #
Neue Tätigkeitsfelder entstehen auch im Bereich der Medizintechnik. Denn Roboter müssen von Fachpersonal gewartet und entsprechend des Krankheitsbildes oder der Umgebung eingestellt werden. Viel zu tun bleibt außerdem für Ethik und Rechtsprechung. Haftungsfragen beschäftigen die Gesetzgebung, die Schadensregulierung wird Versicherer vor neue Herausforderungen stellen: Wer zahlt für Schaden durch einen technischen Fehler des Roboters? Besonders Datenschutz und Privatheit werden unser Nachdenken über Werte im Umgang mit Pflegerobotern anregen. Denn anders als der PC am Arbeitsplatz oder Drohnen in der Luft sammeln Pflegeroboter intime gesundheitliche Informationen aus allernächster Nähe. Und das müssen sie auch, um sicher zu funktionieren. Hier liegt ein Wertekonflikt vor: Datenschutz ist wie auch die Sicherheit eine wichtige Norm. Aber die sichere Funktion setzt, nicht nur in der Pflege, das Erfassen vieler Informationen durch verschiedenste Sensoren voraus. Pflegeroboter funktionieren in sensiblem Umfeld und werden, wie etwa Trinkwassersysteme, zu Teilen der kritischen Infrastruktur gehören. All das geht über Aspekte der rein technischen Funktionserfüllung weit hinaus. Pflegeroboter lassen uns über Alter und Jugend, Gesundheit und Krankheit nachdenken. Welchen Wert gestehen wir dem Alter zu? Man sollte entgegen dem Jugendwahn mancher Werbung oder Lifestyle-Posse das Älterwerden und die Grenzen unserer Leiblichkeit nicht als funktionale Bürde behandeln. Altern ist ein starker, menschlicher Weg zu sich selbst und ein sozialer Wert, verbunden mit Lebenserfahrung sowie der Aussicht auf Weisheit. Wir sehen, dass Roboter so etwas nicht können. Diese Maschinen sollten nicht als Paladine ewiger Jugend vergöttert werden, sondern schlicht als Werkzeuge für menschliche Zwecke Anwendung finden. Die technische Entwicklung wird sich nicht aufhalten lassen. Real ist aber auch das Potenzial, auf technische Veränderung eben mit sozialer Innovation zu reagieren.
Wir haben unser Altern mit allen Chancen und Risiken selbst in der Hand. Und wie jedes andere Werkzeug auch, verlieren Roboter ihren Sinn, sobald wir sie sprichwörtlich aus der Hand geben.
Der Autor ist Philosoph an der Uni Wien.
Siehe auch JOANNOVUM 1/2020.#
Das steirische Unternehmen schepp medtech GMBH entwickelt Roboter für die neurologische Therapie bei verschiedenen Krankheitsbildern. Der Fokus eines weiteren steirischen Unternehmens tyromotion GmbH liegt auf der Entwicklung neuartiger Technologien durch den Einsatz von leistungsfähigen mechatronischen Systemen in der Rehabilitation.