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Gnatsch, gnatsch, plopp#

Ein Patent für alle Klebenslagen: Der Kaugummi wird 150 Jahre alt.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 27. Juli 2019

Von

Christina Böck


Kaugummi
Kaugummi-Automaten
Foto: pixabay.com

Oft war der Kaugummi ja nur das Mittel zum Zweck vulgo notwendige Übel. Zum Beispiel wenn man Lust auf die Lektüre der neuesten Abenteuer eines jugendlichen Kriminellen mit Augenklappe hatte, der nicht ohne Grund nach einer Panzerfaust benannt war. Um zu den Comics über Bazooka Joe zu kommen, musste man an einem Kaugummi vorbei.

Oder wenn man einen dieser funkelnden Juwelen haben wollte, die so verlockend aus dem Kaugummi-Automaten glänzten. Die Chance einen solchen zu ergattern, sie war selbst mit einem Budget von vielen Schillingen zur Beseitigung der Kollateralkaugummis ungefähr so hoch wie bei der Kasperlpost zu gewinnen.

Schmutzigrosa Stein#

Diese Ringe gibt es schon lange nicht mehr, und Bazooka Joe Comics wurden auch schon vor geraumer Zeit eingestellt. Nur Kaugummi-Automaten, die gibt es noch vereinzelt. Sie sind so ein aus der Zeit gefallenes Objekt des öffentlichen Raums, das nur mehr von der Seltsamkeit namens Telefonzelle übertroffen wird.

Aber der Kaugummi hat sie alle überdauert, am Samstag feiert er sogar seinen 150. Geburtstag. Für sein Alter ist er noch recht frisch, jedenfalls frischer als früher. Die Geschmacksfarbe eines Automatenkaugummis hielt exakt drei Gnatscher lang, der Bazooka erwies sich ein bisschen langlebiger. Allerdings wurde er nach höchstens sieben, acht zugegeben beachtlichen Blasen zu einem schmutzigrosa Stein im Mund.

Vom Streifen, der in der Fernsehwerbung früher immer angeboten wurde, wenn man sich an der Zwiebel gelabt hatte, geht der Trend heute eindeutig zum sogenannten Pellet. Es war ein weiter Weg dahin von der Birkenrinde. Denn eigentlich ist der Kaugummi ja schon sehr viel älter als die knackigen 150 Jahre. Nämlich mindestens 9000 Jahre.

Harz schmeckt nicht nach Minz#

Schon damals bewegten Menschen im heutigen Skandinavien ihre Kiefer mit und in Birkenharz. Klingt nicht so schmackhaft? Ja, natürlich, das reicht gegen das Erdölderivat, mit dem wir heute den Mundraum frisch halten, nicht heran. Fairerweise muss man sagen, dass unsere Vorfahren keine Süßungsmittel, Weichmacher und Farbstoffe hatten. Und keine kleinen Comics zum Um-den-Harz-wickeln. Das Harz hat auch einfach immer nach Harz geschmeckt. Und nicht nach Minze oder Erdbeere. Oder, weil wir in einer Zeit leben, in der es nichts gibt, das es nicht gibt: nach Chardonnay und Foie Gras.

Das hätte sich Amos Tyler aus Ohio auch nie träumen lassen. Der und nicht vielleicht ein Mann namens Wrigley, wie sicher jeder mit klebrigem Halbwissen getippt hätte, hat am 27. Juli 1869 ein Patent für eine "verbesserte Kaugummi-Verbindung" zugesprochen bekommen.

Immer etwas im Mund#

Berühmter - und wohl auch reicher - wurde aber der Mann namens William Wrigley. Der ist aber auch nicht wirklich absichtlich zum Kaugummimagnaten geworden, eigentlich hat er Seifen verkauft, denen erst Backpulver, dann Kaugummi als Bonus beigelegt wurde. Der erwies sich dann als der wahre Verkaufsschlager. Damals - Anfang des 20. Jahrhunderts - vertraute man übrigens noch auf das Rezept der Maya und Azteken. Die Basis der Süßigkeit war Chicle, das ist ein Gummi, der aus dem Milchsaft des Breiapfelbaums gemacht wird - allerdings gibt der Baum den Saft nur alle sechs Jahre ab.

So jetzt natürlich: Warum das ganze überhaupt? Die Soziologie erklärt es so: "Menschen hatten immer schon gern etwas im Mund." So wie Zigaretten, wahrscheinlich. Gegen diese Sucht kann man sich ja auch mit Kaugummis behelfen. Er klebt wirklich in allen Lebenslagen. Das erklärt freilich nicht zufriedenstellend, warum man etwas im Mund haben will, das nur kurz süß ist, keinen Nährwert hat, in der Entsorgung immer problematisch ist und in Singapur sogar verboten ist.

Letzteres führt schon auf die richtige Fährte. Nicht zuletzt Hollywood hat in den 50er-Jahren den Rebellen-Nimbus gerne mit mahlenden Kiefern illustriert. James Dean hat seine Coolness gummischnalzend unterstrichen, Marlon Brando versteht man in "Die Faust im Nacken" kaum vor lauter Kauerei. Die Verheißung von Freiheit hatte dieses Naschgut hierzulande auch in der Nachkriegsrealität, für alle Kinder der Besatzungszeit, die von den US-Soldaten mit zuckrigen Gummi-Streifen beglückt wurden.

In der pinken Blase#

Je weniger der Kaugummi das Establishment im Lauf der Jahrzehnte erzürnt hat - und er mittlerweile vielleicht sogar erwünscht ist, um den Mundgulli zu desodorieren - desto mehr hat sich diese auflehnende Bedeutung verschoben. Spätestens seit der Begrifflichkeit "Bubble Gum" hat der Kaugummi auch eine spielerische Komponente. Bevorzugt in die Farbe Pink getaucht, wie in einer berühmten Szene aus dem Musical-Film "Grease". Aber weil ein frech ins Gesicht des Gegenübers geblasener Kaugummiballon auch ein Akt der Impertinenz sein kann, mischen sich die beiden Images gern. Deswegen zeigt sich die mörderische Superschurkin Harley Quinn aus dem Film "Suicide Squad" nebst Baseballtotschläger lolitahaft mit Kaugummiblase.

Dieser Ambivalenz bedient man sich daher auch gern in der Popmusik. Es gibt sogar ein eigenes Genre mit dem Namen Bubblegum-Pop. Es richtet sich an Menschen, die es gern rosa haben, mit Glitzer, ohne Ecken und Kanten - also im Wesentlichen kleine Mädchen. Wenn man jung ist, merkt man ja auch nicht so schnell, wenn etwas schal schmeckt. Aber auch das kann man ironisch brechen, wenn man zum Beispiel Katy Perry ist. Die Popsängerin spielt ausgefeimt auf der Klaviatur der süßen Sexualität mit Knalleffekt.

Apropos Knallen: Die größte Kaugummiblase der Welt hat eine gewisse Susan Montgomery Williams aus Fresno (Kalifornien) fabriziert. Sie war 58,4 Zentimeter groß. Nachahmer sollten beachten, dass sie, um als offizielle Rekordhalter anerkannt zu werden, nicht mehr als drei handelsübliche Kaugummis gleichzeitig verwenden dürfen. Plopp.

Wiener Zeitung, 27. Juli 2019