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Der Zauberer vom Cobenzl#

Entdecker, Energie- und Meteoritenforscher: Über das Vermächtnis des vielbelächelten Barons Karl von Reichenbach (1788 - 1869)#


Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 8./9. Jänner 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Christian Pinter


Ein Chirurg, ein fürstlicher Medicus, ein Regimentsarzt - unter den Vorfahren von Karl Ludwig Reichenbach finden sich gleich mehrere Mediziner. Sein Vater ist allerdings Stuttgarter Stadtbibliothekar und will seinen am 12. Februar 1788 geborenen Sohn zum Studium der Rechtswissenschaft bewegen. An der nahen Universität Tübingen wendet sich Karl jedoch lieber der Naturforschung zu und entdeckt eine Leidenschaft fürs Sammeln, zunächst von Mineralien, Käfern und Pflanzen. Der König ist mit Napoleon verbündet und zieht junge Männer in großer Zahl zur Armee ein. Es ist, als ob Karl die Gräuel des bevorstehenden Russlandfeldzugs ahnt, bei dem fast alle 16.000 Soldaten aus Württemberg umkommen werden: Jedenfalls gründet er zusammen mit anderen eine Auswanderungsgesellschaft mit dem fernen Ziel Tahiti. Das Projekt endet mit zweimonatiger Haft auf der Festung Hohenasperg. Dennoch darf Karl danach in den Staatsdienst eintreten.

Holzteer und Paraffin#

Die wohlhabende Buchhändlerstocher Friederike Erhard wird seine Frau. So kann Karl ab 1816 auf Reisen gehen, von Schlesien bis ins Elsass, von Sachsen bis in die Steiermark und nach Kärnten. Überall mustert er Eisenhütten. Die benötigte Holzkohle wird dort durch das Erhitzen von trockenem Holz gewonnen. Karl ersinnt neue Öfen, die mehr Material fassen und auch die Gewinnung der Nebenprodukte erleichtern: Holzessig und Teer. In Hausach, einer Bergbaugemeinde im Schwarzwald, verwirklicht er seine Idee.

In Wien hat Karl den Industriellen Hugo Franz Altgraf zu Salm-Reifferscheidt kennen gelernt. Dessen Familie besitzt die Eisenhütten von Blansko. Reichenbach übersiedelt in die kleine Stadt nördlich von Brünn und errichtet dort seine neuen Verkohlungsöfen. Dann erweitert er die Salmschen Werke und übernimmt deren Leitung. Dafür erhält er ein Drittel des Gewinns. Die Zinkbüsten der Heerführer auf dem sogenannten "Heldenberg" in Niederösterreich stammen teils aus Blansko, ebenso wie die stählernen Bauelemente der Wiener Stadtbahn.

Im schwarzen, öligen Holzteer entdeckt Karl 1830 eine wachsartige Substanz, das Paraffin . Es wird bald für Kerzen, Salben oder Pflegemittel Verwendung finden - und es kommen weitere Entdeckungen hinzu, die sich ebenfalls vermarkten lassen.

Am Abend des 25. November 1833 erhellt ein Feuerball den Himmel über Mähren, gefolgt von explosionsartigen Donnerschlägen. Nahe Blansko stürzen Steine herab. Reichenbach lässt die Arbeiter Wald und Felder durchkämmen, bis Tage später insgesamt acht Fundstücke mit einem Gesamtgewicht von 350 Gramm sichergestellt sind. Von nun an sammelt er auch Meteorite.

Stuttgart ernennt den wirtschaftlich so erfolgreichen Schwaben zum Ehrenbürger. 1839 wird er geadelt. Doch der Titel "Baron" bringt ihm wenig Glück: Der noch mit dem Altgrafen geplante Einstieg in die Zuckerproduktion aus Futterrüben misslingt; Karl verliert schließlich die Leitung aller Salmschen Betriebe. Seine Seidenraupenzucht scheitert ebenso wie die Beteiligung an einem Wiener Kolonialwarengeschäft. Reichenbach kauft die Theresienhütte in Ternitz und baut sie aus, um Eisenbahnschienen zu produzieren. Doch gerade weil das Kaiserreich so entschieden auf den Bahnausbau setzt, senkt es drei Jahre später die Einfuhrzölle; der Baron kann nicht mithalten. Er wird schließlich einen Großteil seiner Besitzungen im niederösterreichischen Gutenbrunn, in der Steiermark, in Galizien und in Mähren wieder verlieren. Seine Gattin Friederike erlebt das nicht mehr, sie stirbt bereits im Mai 1835. Im gleichen Jahr erwirbt Karl das ehemalige Gut des Grafen Philipp von Cobenzl in Döbling: Der Staatsmann hatte auf dem Reisenberg ein repräsentatives Sommerschloss errichten lassen, umkränzt von Teichen, Springbrunnen, Skulpturen und einer Grotte. Die zauberhafte Anlage war bald so berühmt, dass die Wiener den Reisenberg in "Cobenzl" umtauften. Reichenbach residiert im großen weißen Schloss.

In Wien macht ihn der Arzt Dr. Eisenstein 1844 auf eine Patientin aufmerksam, die reizbar auf Magnete reagieren soll. Bald glaubt Karl, Menschen mit "einer außerordentlichen Verschärfung der Sinne" könnten im Finstern "Lichtausströmungen" aus Magneten und Kristallen ebenso sehen; wie rund um Stimmgabeln oder Lebewesen. "Bösartige und wilde" Tiere sollen am stärksten leuchten. Reichenbach selbst gelingen solche Sichtungen nicht. Daher sucht er fortwährend nach "sensitiven" Zeitgenossen: leicht zu erschreckende Menschen, die unruhig schlafen, Gedränge und enge Kleider meiden, von Wetterfühligkeit und Migräne geplagt werden.

Die Lehre vom "Od"#

Von Karl entlohnt, erblicken sie nach mehrstündigem Ausharren in lichtlosen Kammern oft das, was er von ihnen erwartet. Lüge, Sinnestäuschung oder elektrostatische Aufladungen lässt er als Erklärung für die geschilderten Lichterscheinungen nicht gelten. Draußen nimmt das linke Auge der Sensitiven die Mondscheibe angeblich rotgelb und unrein wahr, das rechte sieht sie bläulich-gelb und scharf begrenzt. Abends wollen die Versuchspersonen eine Art zarter "Lohe" über den Fingerspitzen und anderen herausragenden Körperteilen erkennen; das Erdmagnetfeld zwinge ihr eine südliche Neigung auf, schreibt Reichenbach.

Dies alles sei Ausdruck einer besonderen Kraft, die der Baron provisorisch "Od" nennt. Die hätte zwei Pole, ähnlich dem Magnetismus und der Elektrizität. Der Blutkreislauf erzeuge durch Reibung positives Od, Atmung und Verdauung lieferten negatives.

Berühren die rechten Finger einer sensitiven Person den Fadenwickel eines Pendels, so soll negatives Od von der Aufhängung hinab strömen und das Lot in Schwingung versetzen. Immer vorausgesetzt, man trägt keine odpositiven Metalle bei sich: Taschenuhr, Schlüssel, Ohrringe oder Strumpfbandspangen sind abzulegen. Zittrige Hände oder Atembewegungen sind für Karl keine ausreichende Begründung allfälliger Pendelschwingungen.

Er will die Physik unbedingt um eine neue motorische Kraft bereichern, die sich allerdings nur sensitiven Menschen kund tut. Seine "Odstrahlen" lassen sich vorgeblich sogar mit großen Glaslinsen bündeln: Ein laues Gefühl auf der Hand der Versuchsperson genügt ihm als Nachweis. Im lichtlosen Keller seines Schlosses, so raunen die Wiener, treibe der Baron seltsame Versuche mit Menschen. Das "Neue Wiener Tagblatt" nennt ihn in einem Artikel den "Zauberer vom Cobenzl". Falls Kritiker die Experimente wiederholen, misslingen sie. Lange Telegrafenleitungen, so entschuldigt sich Karl dann, hätten den Versuchspersonen wohl jede Sensibilität geraubt. Schon 1862 bestreiten sieben Berliner Professoren ausdrücklich die Existenz des Od, darunter der angesehene Meteoritenforscher Gustav Rose. Karl kontert ausgerechnet mit seinen Experimenten zum Tischrücken: Vom Od der Probanden aufgeladen, knistere, krache und wanke solch ein Möbelstück, erzählt er. Schließlich würde daraus gar "ein unregelmäßiges Fortrücken am Boden". Auch das vermag die Gelehrtenwelt nicht zu überzeugen.

Zum Studium der Meteorite setzt Reichenbach keine "sensitiven" Menschen ein. Hier bevorzugt er Mikroskope. Längst ist ihm das regelmäßige Spiel einander kreuzender Lamellen vertraut, das für die meisten angeätzten Eisenmeteorite typisch ist. Karl von Schreibers, der Leiter der k.k. Hof-Naturalien-Kabinette zu Wien, taufte es einst nach dem Entdecker - dem Grazer Alois von Widmanstätten. In diesem Widmanstättenschen Gefüge erkennt Reichenbach drei Bestandteile. 1861 schenkt er ihnen griechische und deutsche Namen. Die schmalen Stäbe sind aus stahlgrauem "Kamazit" ("Balkeneisen") geformt. Sie werden jeweils vom papierdünnen, silberweißen "Taenit" ("Bandeisen") eingefasst. Der Raum zwischen den beiden Mineralen ist dem "Plessit" ("Fülleisen") vorbehalten. Wie man später erkennt, bildet sich der Kamazit aus dem Taenit, sofern dieser unvorstellbar langsam abkühlen darf. Im Nickeleisenkern von größeren Asteroiden herrschten einst wohl solche Bedingungen. Reichenbach selbst bringt die Meteorite aber lieber mit Kometen in Verbindung.

Meteoriten-Sammlung#

Zwei Jahrzehnte zuvor verblüffte er die Wissenschafter mit dem von ihm "genau geprüften" Meteorsteinfall im ungarischen Iwan. Am Abend des 10. August 1841 sollen südöstlich des Neusiedler Sees gleich Millionen von Meteorsteinchen niedergegangen sein, "klein wie Erbsen, Hirse und Mohnkörner". Zur Bestätigung brachte er damals eine ganze Tasche voll Proben mit, die allerdings gewöhnlichem Bohnerz ähnelten. Wie Schreibers nachwies, handelte es sich dabei wirklich bloß um irdischen Limonit. Damit begann eine Reihe langer, bitterer Auseinandersetzungen mit anderen Meteoritenforschern. Reichenbach führt sie besonders gern mit jenen, die im Umfeld der kaiserlichen Sammlung stehen: Paul Partsch, Moriz Hörnes und Wilhelm Haidinger. Schließlich darf er die Wiener Kollektion nur noch unter Aufsicht betreten. Die umfasst damals schon Meteorite aus 245 Fundorten. Karl besitzt nur 41 Himmelsproben weniger. Er wird seinen Schatz der Universität Tübingen vermachen, nicht Wien. Der 81-jährige Baron stirbt am 19. Jänner 1869 vereinsamt in Leipzig. Seine "Od-Lehre" fällt rasch der Vergessenheit anheim.

Das verfallene Schloss auf dem Cobenzl wird hundert Jahre später von der Gemeinde Wien abgerissen. Die Fachbegriffe "Kamazit", "Taenit" und "Plessit" überdauern hingegen. Damit hat sich Reichenbach ein buchstäblich eisernes Denkmal gesetzt.


Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien.

Wiener Zeitung, Sa./So., 8./9. Jänner 2011


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