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Zwischen idyllischem Bach und reißendem Fluss#

Die Wien#


Von der Wiener Zeitung/Beilage "Wiener Journal" (Freitag, 22. Juni 2012) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Anita Ericson


Der Wienfluss ist in seinem kurzen Oberlauf ein idyllisch plätschernder Bach. Bei starkem Regen jedoch kann er binnen kürzester Zeit zum reißenden Fluss werden. Das hat sein Gesicht geprägt.#

Wienfluss bei Urania
Die Urania blickt heute auf einen sehr gezähmten Wienfluss.
© Anita Ericson

Es ist kaum zu glauben, dass man Angst vor den Fluten haben muss, wenn man an der Urania steht und das dünne Bacherl ansieht, das da zwischen meterhohen Betonwänden in den Donaukanal rinnt. Als totes Gewässer, auf dem gerade noch ein paar unerschrockene Enten dümpeln, fließt die Wien traurig ihrer Mündung zu. Es ist ein kümmerliches Ende für den anfangs so schönen Fluss, wo noch an der Stadtgrenze Reiher im kristallklaren Wasser staksen und sich an Fischen, Fröschen und Krebsen delektieren. Wo noch bis Hütteldorf prächtige Libellen dicht über dem Bachbett schwirren und es aus der dichten Ufervegetation zirpt und piepst und quakt.

Dass man ihn quasi in Beton gegossen hat, hat natürlich seinen guten Grund: Gleichwohl der Wienfluss von seiner Quelle am Kaiserbrunnberg im westlichen Wienerwald bis zu seiner Mündung im Donaukanal nur 34 Kilometer zurücklegt, wird er dennoch bei starkem Regen zur teuflischen Gefahr - innerhalb weniger Stunden kann er auf das 2000-fache seines Niedrigwasserstands anschwellen. Geologische und klimatische Besonderheiten in seinem außerstädtischen Einzugsgebiet - auch wenn es sich hier nur um rund 20 Kilometer Fließstrecke handelt (!) - sind für seine Unberechenbarkeit verantwortlich. Zum einen fangen sich atlantische Regenwolken gerne im zentralen Wienerwald, wo die Wien und ihre zahllosen Zuläufe entspringen, weswegen es hier deutlich mehr regnet als sonst wo im weiten Umkreis. Zum anderen bilden hier tiefgründige Lehmböden, die kaum Wasser aufnehmen und so für extrem raschen Abtransport von Schmelz- und Regenwasser sorgen, den Untergrund. Kommt es nun zu starken Regenfällen, steigt der Wasserstand in der alles entwässernden Wien, die darüber hinaus im ersten Teil ein Gefälle von 43 Prozent aufweist, rapide an.

Es ist also kein Wunder, dass es vor den umfassenden Regulierungen manchmal zu verheerenden Überschwemmungen kam, die im immer dichter besiedelten Wiental katastrophale Ausmaße annahmen. 1630 etwa verschwand ein Teil von Penzing gänzlich in den Fluten, 1785 schoss das Wasser zwei Meter hoch durch Schloss Schönbrunn, nachdem es innerhalb von zehn Minuten nach einem heftigen Gewitter um neun Meter gestiegen war. Erste Versuche, den Wienfluss zu regulieren, fruchteten nur wenig, sie reichten vom Errichten von Wehranlagen über das Fällen der Bäume im Uferbereich bis hin zum Anlegen von Auffangbecken. Die ersten wirksamen Maßnahmen wurden 1814 bis 1817 systematisch gesetzt: Im Bereich der städtischen Vororte von Schönbrunn bis zum Stubentor verbreiterte man das Flussbett und pflasterte die Uferböschungen.

Wienfluss bei Hietzing
Den Wienfluss (hier bei Hietzing) muss heute niemand mehr fürchten.
© Anita Ericson

Ein weiteres Problem waren die hygienischen Zustände. Wurde der Wienfluss im vorindustriellen Zeitalter noch nachhaltig durch Mühlen, für die man eigene Mühlbäche ableitete (und an deren Standorte Namen wie Schleifmühl- oder Hofmühlgasse erinnern), genutzt, begannen sich im ausgehenden 18. Jahrhundert zunehmends Gewerbebetriebe am Ufer anzusiedeln. Wäscher, Gerber und Färber, die der rasch wachsenden Textilindustrie zulieferten, kippten ihre Abwässer ebenso ungeklärt in die Wien wie die Zinskasernen, die für die vielen Arbeiter entstanden waren. Es dauerte nicht lange, bis sich der fischreiche Bach in eine stinkende Kloake verwandelt hatte. Als es 1830 in Folge eines Donauhochwassers zum Einstau des Wienflusses kam, begann in Wien die Cholera zu wüten, die hier besonders viele Opfer forderte. Rasch wurden parallel zum Fluss Abwasserkanäle ausgehoben, die sogenannten Cholerakanäle, die kurzfristig auch Erleichterung brachten.

Doch mittel- und langfristig griffen sämtliche Maßnahmen nicht weit genug. Nach wie vor trat die Wien alle paar Jahre über die Ufer und die Abwasserkanäle platzten ständig sprichwörtlich aus allen Nähten. Erst nach dem katastrophalen Donauhochwasser von 1862 entschied man sich definitiv, sowohl die Donau als auch die Wien endgültig zu zähmen. 1895 wurde mit den Regulierungsarbeiten begonnen: Die Wien wurde von Mariabrunn bis zur Mündung bei der Urania begradigt und in ein tiefes künstliches Bett gelegt, die Abwasserkanäle wurden ausgebaut. Gleichzeitig wurde die Wiental-Stadtbahnlinie bis Hütteldorf gebaut, die noch heute als U4 neben dem Wienfluss fährt. Stadtbahnplaner Otto Wagner hatte sogar vorgeschlagen, die Wien bis nach Schönbrunn komplett zu überwölben, um darüber zwischen Kaiserresidenz und Stadtpark einen Prachtboulevard zu errichten. Aus Geldmangel wurden diese Pläne allerdings nie realisiert und die Einwölbungen nur bis zum Naschmarkt durchgeführt.

Ein beschauliches Bächlein
Ein beschauliches Bächlein ist die Wien.
© Anita Ericson

Zusätzlich zu diesen Arbeiten entlang des gesamten innerstädtischen Flusslaufs wurden in Hadersdorf gigantische Rückhaltebecken errichtet, deren Aufgabe es ist, einen Teil der Fluten so lange zurückzuhalten, bis die Hochwasserwelle genügend abgeklungen ist - sie nahmen (und nehmen) dem Wienfluss endgültig seinen Schrecken. Das riesige Areal, das sich zwischen Westausfahrt und Westbahn erstreckt, besteht aus sieben Becken. Sechs Becken mit einem Gesamtvolumen von 1.160.000 Kubikmetern dienen dem Rückhalt des Wienflusses, im siebenten Becken wird der Mauerbach bei Bedarf umgeleitet. Sie sind so dimensioniert, dass sie selbst dann noch die Stadt vor dem Überlaufen beschützen, wenn die Wien mit der Kraft eines tausendjährigen Hochwassers in Richtung Mündung donnert - wenn sie, in Zahlen gesprochen, mehr als 300 Kubikmetern Wasser in der Sekunde transportiert. Zum Vergleich: Bei Normalwasserstand sind es nur 0,2 Kubikmeter, die talwärts fließen, bei regelmäßig wiederkehrenden Hochwässern bis zu 140.

So kommt es, dass sich heute an der westlichen Stadtausfahrt - dort, wo an vergleichbarer Stelle im Süden, Norden und Osten kommerzgeile Einkaufszentren entstanden sind - ein einzigartiges Feuchtbiotop erstreckt: Die Rückhaltebecken, die stets ein wenig Wasser führen, sind weitgehend sich selbst überlassen, nach dem Neusiedler See und den Donauauen stellt der Schilfgürtel des Aufhofs das drittgrößte Schilfgebiet Österreichs dar. Über 120 Vogelarten, darunter so klangvolle Namen wie Eisvogel, Storch und Schilfrohrsänger, sind hier zu beobachten, angesiedelt haben sich aber auch Säugetiere wie Bisamratten, Fischotter oder Biber.

Ausgehend von dieser Stelle, in etwa auf Höhe der Bahnstation Wolf in der Au, wurde Ende der 1990er ein ganzer Flusskilometer, bis ziemlich genau zur Bahnstation Hütteldorf, revitalisiert. Auf Initiative des damaligen Umweltstadtrats Fritz Svihalek, des damaligen Zuständigen der MA-45 Gernot Ladinig und des Ingenieurbiologen Florin Florineth von der Universität für Bodenkultur wurde der Wienfluss mit studentischer Hilfe wieder in einen naturnahen Zustand versetzt. Der Unterschied ist frappant, wenn man in Hütteldorf zum Fluss hinunter steigt: Stadteinwärts folgt der Blick einem betonierten Rinnsal, stadtauswärts betritt man ein Naturparadies, in dem sich Fließstrecken und stille Buchten abwechseln, in dem das Flussbett aufgebrochen ist, Weiden überhängen und Fische im klaren Wasser schwimmen. Ein Uferweg für Fußgänger und Radfahrer erschließt diese Wien-Au der Naherholung. "Ursprünglich war gedacht, die Wien nicht nur auf dieser kurzen Versuchsstrecke zu revitalisieren sondern bis ganz zur Mündung", appelliert Prof. Florineth an die zuständigen Stellen, vielleicht doch noch das nötige Geld - rund 400 bis 500 Euro pro Laufmeter - lockerzumachen, "Damit hätten wir ein Naherholungsgebiet allererster Güte mitten im dicht verbauten Stadtgebiet. Doch leider hat das derzeit keine Priorität." Stattdessen wurde der bestehende Radweg voriges Jahr bis zur Kennedy-Brücke in Hietzing um 5,3 Millionen Euro erweitert - und nicht nur Florineth bezweifelt, dass es Spaß macht, entlang der toten Wien zu radeln. Selbst die unerschrockensten Kämpfer um mehr Radkultur in der City meiden das im Sommer aufgeheizte Betonbecken.

die Wien beim Rückhaltebecken Auhof-Hadersdorf
Kaum als Fluss zu erkennen: die Wien beim Rückhaltebecken Auhof-Hadersdorf.
© Anita Ericson

Auch auf der niederösterreichischen Seite hat man in den Flusslauf regulierend eingegriffen, allerdings viel sanfter. Das Kernstück der Hochwasserregulierung ist der Wienerwaldsee bei Purkersdorf, der zeitgleich mit den Auhof-Becken angelegt wurde. Beton hat man indes nur für die Staumauer verwendet, der große See hat ansonsten alle Attribute eines natürlichen Gewässers. Seltene Vögel wie die Blässhühner brüten hier, rare Reptilien wie die Würfelnatter bevölkern sein dichtes Schilf, geschützte Pflanzen wie die Sumpfschwertlilie gedeihen an seinen Ufern. Bis 2004 diente der Wienerwaldsee der Trinkwasserversorgung der Anrainergemeinden und der westlichen Vororte Wiens - heute trinkt man dort zwar auch Hochquellenwasser, doch der strenge Naturschutz des Sees wurde beibehalten. Zum Leidwesen der Bevölkerung ist Baden und Eislaufen nach wie vor strikt verboten, nur rundherum darf man gehen, laufen, skaten oder radeln. Das freut wiederum die Angler, die hier ungestört aus seinem sauberen Wasser Barsch, Hecht, Karpfen, Zander, Forelle oder Schleie fischen. Ungestört? Auch hier wurde, nebst Bibern, erst vor kurzer Zeit ein Fischotter gesichtet. Manchmal renaturiert sich die Natur eben selbst.

Wiener Zeitung/Beilage "Wiener Journal", Freitag, 22. Juni 2012


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