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Die Meisterin der Reduktion#

Winnie Jakob alias WIN, Österreichs Karikaturistin Nr. 1, ist 85jährig in Wien verstorben. Ihre Zeichnungen haben vor allem Größen der Musik und des Theaters festgehalten.#


Von der Wiener Zeitung (Freitag, 11. Jänner 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Dietmar Grieser


'Seitdem Sie mich karikieren, bekomm ich keinen einzigen Heiratsantrag mehr!' sagte Karl Böhm (hier im Bild) zu Winnie Jakob.\Quelle: Wiener Zeitung
"Seitdem Sie mich karikieren, bekomm ich keinen einzigen Heiratsantrag mehr!" sagte Karl Böhm (hier im Bild) zu Winnie Jakob.

Karikaturen von Promis sind nicht für die Promis da, sondern für uns. Wir Zeitungsleser sind es, die mittels dieser Kunstform ihren Blick auf die Akteure aus Politik und Wirtschaft, aus Wissenschaft, Kultur und Sport schärfen, um sie noch mehr vergöttern zu können (oder noch mehr zu verabscheuen - je nachdem).

So gesehen konnte es Winnie Jakob (respektive WIN, wie sie ihre Blätter zu signieren pflegte) egal sein, wie die Objekte ihres Zeichenstiftes auf die betreffenden Porträts reagierten. Ein Zuviel an Zustimmung hätte sie ja sogar dem Verdacht der Schmeichelei aussetzen können. Nein nein, es war schon gut so, wenn Winnie Jakob ihre "Opfer" nicht schonte oder gar schönte: Wir wollen Oskar Werner und Helmut Qualtinger, Friedrich Gulda und Elias Canetti so sehen, wie sie sind - mit all ihren Vorzügen und Schwächen.

Empfindlichkeiten#

Eine der verbreitetsten dieser Schwächen ist die Eitelkeit, der oft erschreckende Mangel an Selbstkritik. Winnie Jakob wusste davon ein Lied zu singen: Die Pultstars Klemperer und Karajan haben sie aus diesem Grund von den Orchesterproben ausgeschlossen, Zubin Mehta ließ ihr ausrichten, sie habe ihn zum "Krampus" herabgewürdigt, und Einzi Stolz, unnachsichtig über den Nimbus ihres "Robertl" wachend, drohte nicht nur mit Klage, sondern übte Rache, indem sie der "frechen Person" den seinerzeitigen Dauerauftrag zur Illustration der Raimundtheater-Programmhefte vermasselte.

Nur Karl Böhm reagierte mit Humor: "Seitdem Sie mich karikieren, bekomm ich keinen einzigen Heiratsantrag mehr!"

Wer war diese Person, die seit über 50 Jahren die Großen dieser Welt - insbesondere der Theater- und Musikwelt - mit ihrem Zeichenstift herausforderte?

Da ist zunächst einmal festzuhalten: Sie war kein Mann.

Warum sollte sie auch einer sein? Na ja, weil ihre Eltern sie auf den Vornamen Winifred haben taufen lassen. Winifred ist eine der Nebenfiguren in John Galsworthy´s "Forsyte Saga", und das war das Lieblingsbuch der Mutter. Hätte Frau Jakob nicht ahnen können, dass sie damit ihrer Tochter Scherereien bereiten würde? Als Winnie 1987 im Rahmen des Festivals "Europalia" zur Teilnahme an einer internationalen Gemeinschaftsausstellung aufgefordert wurde, war das Einladungsschreiben aus Brüssel prompt an einen "Herrn Winifred Jakob" adressiert. Und ein in den Sechzigerjahren erteilter Auftrag, zu einem Werbefilm des österreichischen Bundesheeres Cartoons beizusteuern, platzte in dem Augenblick, da die wahre Identität der Künstlerin offenbar wurde. Mochten Winnie´s Entwürfe bei dem zuständigen Ministerialbeamten noch so starken Anklang finden: Eine Frau im Dienste des Militärs - ausgeschlossen!

Karikaturist ist ein Männerberuf. Will es in diesem Metier eine Frau zu Erfolg bringen, muss sie ein Genie sein. Winnie Jakob war dieses Genie.

Da wollen wir natürlich wissen, wie sie das geschafft hat.

Also leicht war´s nicht. Im böhmischen Reichenberg, dem heutigen Liberec, kommt sie am 17. Mai 1927 zur Welt. Ihr Vater, Absolvent der Wiener Handelsakademie (und dort einer der Mitschüler von Karl Farkas), ist Industrieller; seine "Tuch- und Schafwollwarenfabrik" stellt unter anderem die Uniformstoffe für das österreichische Militär her. Mutter Alice ist ausgebildete Konzertpianistin.

Ein Multitalent#

Auch die kleine Winnie zieht´s zum Klavier. Ihren Bach übt sie mit solcher Hingabe, dass die um ihr Instrument besorgte Mutter den Steinway absperren und dem Töchterl ein eigenes Pianino hinstellen muss. Mit fünf Jahren lernt Winnie Ski laufen, mit sechs wird sie in die Ballettschule geschickt. Eine weitere Passion sind die Pferde - in späteren Jahren wird sie sich sogar als Dressur- und Turnierreiterin einen Namen machen und als Reitlehrerin (übrigens mit einem echten Lipizzaner am Zügel).

Doch zurück in die Kindheitsjahre. Es ist ein durch und durch musisches Elternhaus, in dem das Multitalent Winnie aufwächst: Onkel Anton Baumann bringt es bis zum Kammersänger und Intendanten der Wiener Volksoper; Onkel Rudolf Krausz ist einer der Architekten, auf die die ersten Wiener Gemeindebauten zurückgehen (und wohl auch Winnies zeichnerische Begabung).

Für die ersten diesbezüglichen Gehversuche dienen der Halbwüchsigen die leeren Seiten in "Kozenn´s Schulatlas" und der "Oswald´sche Farbenkreis" als Arbeitsmaterial, und sind es nicht religiöse Motive, zu denen sie von den Ursulinerinnen der Klosterschule gedrängt wird, zaubert sie mit ihren Buntstiften Figuren aus dem Wilden Westen aufs Papier. Nicht umsonst antwortet sie auf die Frage, was sie später einmal werden will: "Indianer."

1945 wird die Familie aus der wiedererstehenden Tschechoslowakei vertrieben, obwohl die Jakobs nicht zu denen zählen, die beim Einmarsch der Hitler-Truppen im März 1939 in Jubel ausgebrochen sind. Sie fühlen sich als "Deutsch-Böhmen", nicht als "Sudetendeutsche", halten während der Protektoratszeit sogar jüdische Freunde in ihrem Haus versteckt.

Der Start in der neuen Heimat Oberösterreich könnte schwieriger nicht sein; auch die gerade 18 gewordene Winnie muss bei der Existenzneugründung mithelfen. Dank ihrer vorzüglichen Englischkenntnisse kommt sie als Dolmetscherin bei der amerikanischen Besatzungsmacht unter. Zwar erhält sie im Jahr darauf einen Studienplatz an der Linzer Kunstgewerbeschule, doch im Hinblick auf die miserablen Berufsaussichten in der Graphikbranche entscheidet sie sich schweren Herzens für "Handfesteres" und lässt sich an der Universität Graz zur Englisch-Dolmetscherin ausbilden.

Herbert von Karajan fühlte sich von Winnie Jakobs Porträts nicht immer sehr geschmeichelt.
Herbert von Karajan fühlte sich von Winnie Jakobs Porträts nicht immer sehr geschmeichelt.
Quelle: Wiener Zeitung

Mit einer Stelle als Übersetzerin am US-Konsulat in Salzburg kann sie sich immerhin einen alten Wunschtraum erfüllen: Hier, wo einst Onkel Anton Baumann den Rocco im "Fidelio" gesungen hat, wäre sie dem von ihr so geliebten Festspielbetrieb nahe, fände zu der einen oder anderen Aufführung Zugang, erhielte vielleicht sogar Gelegenheit, manche der in Salzburg gastierenden Sänger und Dirigenten von Weltruf zu porträtieren. Denn inzwischen ist ihr jahrelang brachliegendes bildnerisches Talent wiedererwacht, und seitdem sie sich, auf ein Inserat der Wiener "Bilderwoche" reagierend, mit Erfolg als Witzzeichnerin betätigt, reift in ihr der Entschluss, was bislang nur Hobby gewesen ist, zum Beruf zu machen.

Treffsichere Porträts#

Muss sie sich die erste Zeit noch mit Schwindelmanövern wie "Mein Bräutigam ist Philharmoniker" in die Konzert- und Theatersäle einschleichen, so verschafft ihr die von ihrer Redaktion erwirkte Akkreditierung bei den Salzburger Festspielen endlich Zutritt zu den Proben, und Winnie kann nach Herzenslust Koryphäen wie Wilhelm Furtwängler oder Clemens Holzmeister und Publikumslieblinge wie Hans Moser oder Helene Thimig mit Zeichenstift und Tuschfeder festhalten: bleibende Dokumente von atemberaubender Treffsicherheit. Nur die Abnehmer ihrer Werke - die fehlen vorderhand noch. Erst im Festspielsommer 1959 ist es endlich so weit: Eine Pressekonferenz im Hotel "Österreichischer Hof", bei der die Trias Karajan/Böhm/Mitropoulos den aus aller Welt angereisten Medienvertretern Rede und Antwort steht, bringt Winnie Jakob den Durchbruch.

Der Wiener Musikkritiker Herbert Schneiber ist es, der auf die in Minutenschnelle aufs Zeichenpapier gezauberten Karikaturen der drei Maestri aufmerksam wird, sie der Künstlerin aus der Hand reißt und in seiner Zeitung publiziert.

Die Leser sind begeistert, verlangen nach Fortsetzung. Laufend erscheinen nun also - unter der Chiffre WIN - Winnie Jakobs Künstlerporträts in den österreichischen (und bald auch ausländischen) Blättern, in den Programmheften der Theater, in einschlägigen Büchern. Auch das noch junge Fernsehen greift zu und setzt Winnie Jakob in Live-Sendungen als Schnellzeichnerin ein; in Stift Geras gibt sie Sommer für Sommer ihr Können in Karikaturkursen weiter; Hans Weigel engagiert sie als Illustratorin seiner Attila-Hörbiger- und seiner Josef-Meinrad-Biographie.

Disneys guter Rat#

Derart rasant wächst Winnie Jakobs uvre an, dass es schon bald Buchbände füllt: "Karajan con variazioni", "Die Wiener Oper" und "Die Herren Lipizzaner" sind einige der Titel. Es folgen Ausstellungen ihrer Werke im In- und Ausland, öffentliche Sammlungen kaufen WIN-Blätter an, und sogar Walt Disney, den sie während der Dreharbeiten zu dem Hollywood-Film "Die Flucht der weißen Hengste" kennenlernt, zeigt sich an ihrer Kunst interessiert. Dass er ihr dennoch davon abrät, für ihn zu arbeiten, zeugt für seinen Respekt vor Winnie Jakobs Genius. Mit den Worten "It would ruin your talent" macht er ihr klar, dass über der Fließbandarbeit im Trickfilmstudio ihr kreatives Potenzial verkümmern würde.

Als "gezeichnete Kammermusik" rühmt einer ihrer vielen Bewunderer Winnie Jakobs Gabe, mit wenigen Strichen das Charakteristische ihrer Modelle herauszuarbeiten, "ein gezeichnetes Österreich-Lexikon" nennt es ein zweiter, und Förderer Hans Weigel fasst sein Urteil in die Worte: "Sie nimmt so viel von der Figur weg, dass das Ganze übrigbleibt."

Das allerschönste Kompliment aber verdankt sie Oskar Kokoschka, den sie bei einer Begegnung in der Salzburger Galerie Welz porträtiert und zum Zeichen seiner Zustimmung um Signierung des fertigen Blattes bittet. Kokoschka, tief beeindruckt von seinem Konterfei, lehnt freundlich, aber bestimmt ab: "Da könnten die Leut´ ja glauben, es sei von mir."

Dietmar Grieser, geboren 1934, lebt als Schriftsteller und literarischer Reporter in Wien. 2012 ist im Wiener Amalthea Verlag seine "autobiographische Spurensuche" "Das gibt´s nr in Wien" erschienen.

Wiener Zeitung, Freitag, 11. Jänner 2013