Ein falscher Schlag und alles zerbricht...#
Höhepunkte indischer abstrakter Steinmetzkunst#
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Die Aufnahmen durch den Verfasser erfolgten bei zahlreichen Indienaufenthalten im Zeitraum zwischen 1974 und 2012. Sie sind Teil des Archivs „Bilderflut Jontes“
Die Hälfte des Bundesstaates Rajasthan ganz im Westen Indiens nimmt die Wüste Thar ein, sodass nur karger Ackerboden und geringe Weideflächen für die Landwirtschaft übrigbleiben. Fast verschwenderisch hingegen ist Rajputana, „Land der Fürsten“ wie es früher hieß, mit Bodenschätzen versehen, unter welchen ein schöner, im Idealfall rein weißer Marmor und ein roter Sandstein als die wertvollsten Natursteine für Bau- und Steinmetzkunst hervorragen.
Besonderes Augenmerk verdienen dabei die von islamischer Baukunst geprägten Paläste und Grabheiligtümer. Der Islam untersagt seinen Anhängern die Darstellung lebender Wesen wie Mensch, Tier und Pflanze. Dies wurde nicht immer fundamentalistisch streng gehalten. Sonst würde es keine virtuose Miniatur- oder Monumentalmalerei gegeben, hätten die Türken, Perser und indischen Muslime nicht auch hier geglänzt. Freiplastische figurale Werke wird man aber vergeblich suchen, dafür voller Staunen vor abstrakten Reliefs und unglaublich schönen Kalligraphien stehen. Letztere erschließen sich voll wohl nur dem des Arabischen und Persischen Kundigen, uns Besuchern aus dem Westen bleibt nur die reine Ästhetik dieser flächengebundenen Dekorkunst.
Eines der schönsten Beispiele findet sich in einer ehemaligen, später aber aufgelassenen Residenzstadt des Gro0moguls Akbars des Großen, des eigenwilligsten und fähigsten Herrscher Indiens. Fatehpur Sikri war von 1571 bis 1585 Hauptresidenz. Eine Riesenmoschee, das größte Stadttor Indiens, bilden mit anderen Bauten den religiös-kultischen Teil der Stadt, dem sich eine Palaststadt mit den Wohnstätten Akbars und seiner Frauen, den Audienzhallen und Zonen für Spiel und Unterhaltung anschließt.
Zuvor nicht prognostizierter Wassermangel erzwang wenige Jahre nach der Gründung die Aufgabe der Stadt und führte zu deren Räumung.
Der farbliche Grundton wird durch den roten Sandstein Rajasthans bestimmt, der unweit davon gebrochen worden war. Doch inmitten eines großen Hofes nahe der Hauptmoschee erhebt sich ein zierlicher Grabbau aus rein weißem Marmor, der zum schönsten gehört, was die Architektur des muslimischen Indiens zu bieten hat.
Es ist das Grabmal des Shaikh Salim Chisthi, eines islamischen Sufimystikers, das 1581 fertig gestellt wurde. Akbar hatte diesen weisen Mann einmal im Dorfe Sikri besucht. Der Herrscher hatte noch immer keinen männlichen Thronerben und machte sich deswegen bereits Sorgen. Aber Salim Chisthi prophezeite ihm einen solchen und tatsachlich trat das erhoffte Ereignis auch bald ein. Zutiefst dankbar ließ Akbar nach Chisthis Tod einen Grabbau errichten, der 1581 vollendet war.
Unter der Kuppel liegt das eigentliche, von Marmorschranken umgebene Grab mit dem Scheinsarkophag. Frauen mit noch unerfüllten Kinderwünschen pilgern hierher und binden Stofffäden als Zeichen ihrer Gebete an diese Schranken. Ein Umgang, wie er sich auch in Palastanlagen findet, umfängt das Grab und wird nach außen hin durch unglaublich verfeinerte Marmorgitter abgeschlossen. Dadurch kann stets ein feiner kühlender Luftzug durch das Gebäude streichen, in welchem an Pilgertagen sich oft große Menschenmengen drängen.
Dieses Durchdringen von Innen und Außen zeigt sich besonders in den unglaublich virtuos bearbeitenden Fensterfüllungen mit ihren vielfach wechselnden abstrakten Mustern, die eher einem textilem Gewebe, einem Vorhang als einer Marmorschranke gleichen. Sie wirken derart aufgelöst, dass von innen durch ein steinernes feinmaschiges Gitter der Blick auf die Realität des Tages und seiner wechselnden Erscheinungen möglich ist.
Aus der Nähe wird die geometrische Auflösung der Fläche deutlich, die aus Mustern besteht, welche sich nach allen Seiten als in die Unendlichkeit reichend ausdehnen ließen.
Von außen manifestiert sich der steinerne Vorhang als unfassbar feine Blickschranke, die ihre Schönheit aus der vollendeten, hier zart plastischen Unendlichkeit bezieht.
Mittägliches Licht
Morgendlicher Schein
In der indischen Gegenwartskultur sind Handwerker, welche noch die traditionellen Arbeitsvorgänge beherrschen, in großer Zahl vorhanden. Deshalb kann die Restaurierung von in die Jahre gekommen architektonisch wertvollen Bauwerken noch immer sehr authentisch erfolgen. So werden am bis vor kurzem höchsten Gebäude Indiens, dem muslimischen Qutb Minar in Delhi diese Arbeit – hier in rotem Sandstein – wie vor Jahrhunderten mit den selben Werkzeugen wie damals durchgeführt werden.
Im Weichbild von Jaipur, der Hauptstadt Rajasthans, ragt auf einem Bergzug die Festung Amber in den Himmel. Sie war die Residenz hinduistischer Rajputenfürsten, ehe 1727 die heutige Millionenstadt Jaipur gegründet wurde und man die Residenz hierher verlegte.
Teile der Festung Amber waren einst eine prachtvolle und luxuriöse Wohnstätte der Maharajas und vermitteln auch heute noch den Eindruck von der hohen Wohnkultur dieser Dynastie. Gärten und Wasserspiele, Tempel und nach Hindusitte abgeschottete Wohnkomplexe für die Frauen sind heute als absolute touristische Attraktion für Massen von Fremden zugänglich, die es auch wagen können, auf Elefanten von der Talsohle zur Festung beförderte zu werden.
Architektonisch spricht hier dieselbe Feinsinnigkeit des Dekors aus den Details des sogenannten Spiegelpalastes, der eine märchenhafte Schönheit ausstrahlt. Auch hier ist das virtuose Marmorgitter wieder ein Element der Verbindung von innen nach außen. Der Blick bleibt aber nicht auf der gleichen Ebene, ihm wird die Weite der umgebenden Landschaft und der Tiefe ermöglicht.
Der Welt des Islams wieder ist der große Grabpalast für den Mogul Akbar den Großen in Sikandra zuzuordnen. In der Nähe der Residenzstadt Agra gelegen, vereint er in einzigartiger künstlerischer Weise Diesseits und Jenseits, Bauideen der Hindus mit der der Muslime. Akbar (1542-1505) war der bedeutendste Herrscher der Moguldynastie. Auch hier sind feinste Marmorgitter als Füllungen von Torbögen und luftigen Dachgalerien zu sehen.
Wie schon der Name sagt, ist die wirtschaftlich wichtigste Stadt des Bundesstaates Gujarat, wesentlich vom Islam geprägt. An der Grenze zwischen Abstraktion und Darstellung natürlich gewachsener pflanzlichen Wesen liegen die Fenster“gitter“, die keine Gitter im abstrakten Sinn sind, und welche die 1573 gegründete Siddi Saiyid-Moschee nach außen abschließen. Man betrachte sie zuerst von außerhalb des Gebäudes:
Auch die Effekte in Gegenlicht offenbaren große Schönheit.
Weniger großzügig sind die in rein abstrakter Dekoration aufgelösten Fenster.
In der Wüstenstadt Jaisalmer mit ihrem atemberaubenden Festungsberg gibt es einen eigenen Typ von bürgerlichen Hausbauten der einst von Reichtum strotzenden ansässigen Handelsleute an der vor Zeiten bedeutendsten west-östlichen Karawanenstraße Indiens. Es sind die die sogenannten Havelis, deren hochgezogene Umrisse sich förmlich in feinstgemeisseltem Dekor auflösen.
Es gibt auch hier in akkuratester Steinmetztechnik aufgelöste Fensterfüllungen. Man arbeitete hier in dieser Altstadt, die längst den Rang Weltkulturerbe der UNESCO innehat, in hellem Sandstein.
Es ist fast wie ein Wunder anzusehen, dass diese filigranen Kunstwerke noch heute zu uns sprechen. Unsagbare Geduld gepaart mit einer umfassenden Kenntnis der Eigenschaften des zu bearbeitenden Steines sind die handwerklichen Voraussetzungen. Muster an Muster zu reihen, entweder Entwürfe anderer umzusetzen oder selbst aus eigenem zu schaffen, fügen sich dazu. Und dass wir all dies trotz Erdbeben und Brandkatastrophen, trotz Kriegen und fanatischem Zerstörungswillen noch in unserer Gegenwart sehen und erleben können, schließt den Kreis dieser Empfindungen. Und was auf ewig verloren gegangen ist, kennen wir nicht und das ist auch besser so.