Tsampa und Buttertee – Karge Kost in kargem Land#
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Alle Fotos wurden vom Autor in Tibet in den Jahren 1991, 1993, 1995, 1999 und 1999 aufgenommen und sind Teil des Archives "Bilderflut Jontes".
Das Tibetische Hochland, einst ein annähernd souveräner Staat, der sich vollkommen abgeschlossen hatte, und heute eine räumlich stark reduzierte Autonome Region der Volksrepublik China darstellt, ist ein klimatisch sehr benachteiligtes Gebiet. Die Talebene des mächtigen Stromes Tsangpo, der als Brahmaputra in Indien ins Meer mündet, liegt durchschnittlich auf einer Seehöhe von 3500 m. Und darüber erheben sich in der Himalayakette die höchsten Berggipfel der Erde.
Allerdings gibt es hier eine staunenswerte Vegetation, die es erlaubt, dass sich hier Mensch und Vieh, wenn sie sich noch auf traditionelle Weise ernähren, in reicher kultureller und physischer Weise durchaus wohlfühlen können. Als einziges Getreide gedeiht hier die Gerste noch in Höhen bis etwa 4000 m und die bewundernswerten Yak-Rinder grasen noch bis 6000 m hinauf. Obstbäume, allen voran die Marille blühen und fruchten auch noch um 3000 m. Auch Buchweizen/Heiden gedeiht noch in diesen Höhen.
Buchweizen/Heiden blüht, denn er ist kein Gras, sondern ein Knöterichgewächs. Auch Marillenbäume gedeihen bis ins große Höhen und liefern mit ihren getrockneten Früchten wertvolle Vitaminzubußen für die langen Wintermonate.
Gerste eignet sich nicht zum Brotbacken. Ihr fehlt der Kleber. Man kann daraus Bier brauen, was heute auf der ganzen Welt geschieht. Tibet hat mit dem alkoholischen Gerstengetränk Chang eine eigene Tradition.
Gerstenmehl aber bildet als Tsampa einen Großteil der traditionellen tibetischen Nahrung. Dabei werden die Gerstenkörner entspelzt und mit erhitztem Sand so lange geschüttelt, bis die Körner halbwegs erschlossen sind und zu einem Mehl gestampft werden können. Dieses formt man nun mit kräftig gebutterten Tee, dem Bö cha zu einem Teig, der roh gegessen wird. Es wird manchmal auch noch Käse hinzugefügt, wodurch diese Speise noch gehaltvoller wird. Auch Trockenfrüchte finden da als Beigabe ihren Platz. In Klöstern muss diese Standardkost in großen Mengen von einem ganzen Team hergestellt werden.
Die zweite Komponente für das Tsampa ist der Buttertee Bö cha. Die Teeblätter werden von alters her nicht aus dem näher gelegenen Indien, sondern über weitgestreckte Handelswege aus China ins Land gebracht. Nur die minderwertigsten Teesorten werden dazu verwendet, die man als Handelseinheit zu Teeziegeln presst. Mit Butter vermengt, mit dem Natursalz aus den tibetischen Salzseen, das auch noch Soda enthält, wird der längere Zeit gekochte, nicht ziehen gelassene Sud zubereitet. Tibeter trinken davon ungeheure Mengen. Er wärmt den Körper, hält durch das Koffein den Kreislauf stabil, deckt den Flüssigkeitsbedarf. Für Mönche ist er in den im langen Winter ungeheizten Klöstern die einzige Möglichkeiten, sich zu wärmen. Bis zu 40 Schalen bilden den täglichen Konsum und alle Zeremonien und Rituale werden immer wieder durch Teepausen unterbrochen. Das traditionelle Trinkgefäß ist eine aus Holz gedrechselte Schale. Ständig wallen in den Küchen die großen Teekessel, aus welchen in Transportkannen die lebensspendende Flüssigkeit zu den Leuten befördert wird. Bei der Zubereitung wird der Sud in einem Mischgefäß mit großen Klumpen Butter durch Stampfen homogenisiert. Er ähnelt dann mehr einer Suppe als dem gewöhnten Schwarztee. Wenn in Lhasa einst abertausende Mönche zu den großen Festen und Prüfungen der höchsten Lamas zusammenströmten, mussten riesige Teemengen gekocht werden, wobei das Problem vor allem in der Beschaffung der Brennstoffmengen bestand, die dazu notwendig waren. Heinrich Harrer und Peter Aufschnaiter machten sich in Tibet dadurch nützlich, dass sie schnellwachsende Baumarten wie Pappeln pflanzten, die dann das nötige Brennholz lieferten. In manchen Klöstern haben sich noch alte, heute nicht mehr gebrauchte Teesammelkessel erhalten, die exzellente Beispiele der tibetischen Bronzegießekunst darstellen.
Von allergrößter Wichtigkeit ist in der tibetischen Kost die Butter. Lieferant derselben ist das Yak, ein Hochlandrind, das besonders fette Milch liefert. In tieferen Lagen werden auch ein Mischling aus Yak und Rind, das Dzo, und das Hausrind gehalten. Der Bedeutung des Yak angemessen gibt es in Lhasa sogar ein Denkmal für dieses Tier.
Nur in den Sommermonaten geben die Tiere ausreichend Milch, um daraus Butter machen zu können. Bei den Nomaden geschieht dies mittels Stoßbutterfässern wie einst auch in unseren historischen alpinen Regionen.
Die im Sommer erzeugte Butter musste für den ganzen Winter reichen. Sie wurde in eine lederne Haut eingenäht, was auch die Handelsmenge ergab. Mit fortschreitender Zeit der Lagerung oxidierte sie, sie wurde auch „ranzig“. Das trug auch zum westlichen Klischee bei, dass die Tibeter Tee mit ranziger Butter tränken.
Außer zur Nahrung dient Butter auch als Lichtnahrung für die zahllosen Butterlampen in den Tempeln. Die Gläubigen kaufen die Butter fein säuberlich abgepackt vor dem Kloster.
Käse gehört ebenfalls zur tibetischen Kost. Er wird nicht mit Lab aus dem Rindermagen erzeugt, da die Tötung von Tieren tabuisiert ist. Er ist ein sehr harter Sauermilchkäse, der in kleinen auf Schnüre gefädelten Brocken auf den Märkten zu finden ist.
Klosterküchen sind meist große Räumlichkeiten, in welchen Kochfeuer unterhalten werden und Küchengeräte, Kochtöpfe und –pfannen sowie Geschirr vorhanden sind. Auch hier macht sich der Kulturwandel bemerkbar. Wo früher mit Holz und Yakdung gefeuert wurde, kann man heute auch schon elektrischen Strom und Flüssiggas bemerken. Niedere Chargen der Mönchsbelegschaft sind in der Küche tätig.
Seit der Öffnung Tibets für den Tourismus am Ende der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts haben sich auch Restaurants etabliert, die nicht nur in Lhasa und den größeren Städten florieren, sondern auch entlang der Fernstraßen versuchen, Gäste an sich zu locken. Oft mehrsprachig beschriftet, werben sie auf tibetisch, chinesisch und englisch um Gäste und bieten diesen bodenständige, aber auch westliche Speisen an. Meist wirken sie nicht sehr einladend.
Eine Neuerung zeigt sich auch darin, dass aufwändigeres Gebäck auftritt. Das hängt damit zusammen, dass der Import von Grundnahrungsmitteln aus dem chinesischen Binnenland und die fortschreitende technische Modernisierung der Küchen zunehmen. Früher war Reis eine Delikatesse, die nur den Wohlhabenden zugänglich war, musste er doch über tausende Kilometer aus Südchina durch Karawanen herbeigeschafft werden. Heute ist er bereits alltäglich.
Dass die ursprüngliche Beschränkung auf Tsampa der physischen Seite der Hochlandbewohner nicht genügen konnte, ist klar. Hier tut sich ein kultureller Zwiespalt auf. Einerseits ist die Deckung des Bedarfes durch tierisches Eiweiß jenseits der Milchprodukte ungenügend. Andererseits verbietet die buddhistische Ideologie der Gewaltlosigkeit das Schlachten von Tieren und den Fischfang. Man beschritt zur Umgehung des Gebotes zwei pragmatische Umwege. Zum einen beschäftigte man dafür Nichtbuddhisten und selbst in kleineren Orten bildeten sich kleine Gruppen von chinesischen Muslimen vor allen von Uiguren, die das Metier von Schlachtern und Fleischhauern übernahmen. Das war in Siedlungen leichter zu bewerkstelligen als bei den mobilen tibetischen Nomaden. Und da wurde folgendermaßen argumentiert: Was ist Schlachten? Das ist das Öffnen der Halsarterien und das Ausblutenlassen des Tieres. Wenn man das Tier hingegen erwürgte oder es gegen eine Felsklippe trieb, über welches es einen tödlichen Fall in die Tiefe tat, dann war das dann eine Tat, die das Schlachten umschrieb oder andererseits dem Tier die Schuld zumaß, dass es so ungeschickt gewesen sei, um abzustürzen. Und schon hatte man Fleisch für den so wichtigen Bedarf. Auf den Märkten wird deshalb Fleisch vor allem von Yaks und Dzos, Schafen und Ziegen in jeder gewünschten Menge angeboten. Solches Fleisch zu essen, scheuen sich selbst Mönche nicht. Allerdings sprechen sie vor dem Verzehr ein Gebet, das dem Tier dankt und ihm für eine gute Wiedergeburt Hoffnung geben soll.
Eine besondere Art der Konservierung von Fleisch ist das Trocknen des ganzen Körpers des Tieres, vor allem von Ziegen, die in einer skurrilen quasi hockenden Pose in der kalten und trockenen Hochlandsluft zusammendörren und dadurch praktisch unbeschränkt haltbar bleiben.
Literatur#
- Karin Brucker – Christian Sohns, Die tibetische Küche. 108 Köstlichkeiten vom Dach der Welt. München 2003
- Alexandra David-Neel, Gargantua au pays des neiges. Saumune 1993
- Rinjing Dorje, Food in Tibetan Life. London 1985
- Betty Jung, The Kopan Cookbook. Recipes from the kitchen of a Tibetan Buddhist Monastery. Kathmandu 1997²
- Indra Majupuria – Diki Lobsong, Tibetan cooking. Pioneer book on the food and cookery of the well known mysterious and one time forbidden land. Lushkar/Gwalior 1989²
- Tsering Wangmo – Zara Honshmand, The Lhasa Moon Tibetan Cookbook. Ithaca/NY 1999