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Nur wenige Gerechte - Symbole des Widerstandes gegen die NS-Herrschaft#

von Peter Diem
--> Fotos: P. Diem

O5 am Stephansdom
O5=Österreich
Das Zeichen "O5" besteht aus dem Buchstaben „O" und der Ziffer „5". Die letztere steht für den Buchstaben „E", den 5. Buchstaben des Alphabets. "O5" war somit der verschlüsselte Anfangsbuchstabe des Wortes „Österreich", das in den sieben Jahren der nationalsozialistischen Besetzung 1938-1945 verboten und durch den Begriff „Ostmark" ersetzt worden war. Die Bezeichnung "O5" stammt von Dr. Jörg Untereiner, damals Medizinstudent, nach dem Krieg Professor für Orthopädie an der Universität Gijon in Asturien, Spanien. Jörg Untereiner wuchs in der Steiermark auf und studierte in Graz. 1944 zur Wehrmacht eingezogen, kam er in die Mediziner- und Studentenkompanie nach Wien, wo er sich der Widerstandsgruppe Dr. Hans (von) Becker und Major Alfons (Freiherr von) Stillfried anschloss. Untereiner gründete in den verschiedenen Studentenkompanien (Wien, Graz, Leoben, Innsbruck und Salzburg) Widerstandsgruppen. Im Frühherbst 1944 forderten Becker und Stillfried Untereiner auf, eine Schmieraktion in möglichst vielen Städten Österreichs durchzuführen, und zwar sollte er den Slogan „Freiheit für Österreich" an die Wände malen. Untereiner meinte, dieser lange Slogan benötige zu viel Platz, und man würde auch zu lange brauchen, was die Gefahr der Entdeckung vergrößere. Statt dessen schlug er das Zeichen "O5" vor, was sofort Anklang fand. Einige Tage später wurde die erste Aktion in Wien durchgeführt, zunächst in drei, später in weiteren vier Wiener Bezirken. Untereiner selbst begann die Aktion am Stephansplatz in Wien. Als er mit zwei Gehilfen am Gebäude der neuen Universität ebenfalls das "O5" anbringen wollte, wurden die drei von einer Wehrmachtsstreife entdeckt, sie konnten aber nach einer Schießerei flüchten und entkommen. Untereiner selbst fiel Ende Februar 1945, einige Tage nach dem historischen Treffen der Spitzenleute von „O5" und „POEN" („Provisorisches österreichisches Nationalkomitee") beim Bauunternehmen Spitz auf der Heiligenstädter Lände und dann bei Major Stillfried auf dem Saarplatz, in die Hände der Gestapo. Er wurde beim Betreten des Cafe Herrenhof verhaftet und in das KZ Mauthausen gebracht. Dort war er mit Dr. Becker zusammen. Beide wurden am 7. Mai 1945 von amerikanischen Truppen befreit.

--> Briefliche Mitteilung von Fritz P. Molden vom 8. 4. 1991 an den Autor

Reste der in den letzten Kriegswochen in Wien angebrachten Aufschriften der Widerstandsbewegung waren noch lange Zeit völlig verblasst am Südpfeiler der die Prater Hauptallee überspannenden Ostbahnbrücke sichtbar:

Verwischte Spuren
Verwischte Spuren

O5 heute
O5 heute
An der Westfassade des Stephansdoms, gleich rechts neben dem Riesentor, findet sich das in den uralten Stein gemeißelte Zeichen "O5". Das Zeichen "O5" wurde am Höhepunkt des Kampfes um Wien von Oberstleutnant Mühlfeit heimlich rechts vom Riesentor des Wiener Stephansdoms angebracht. 1965 wurde es in den Stein geschnitten. Es dient dem ewigen Gedächtnis der im Widerstand umgekommenen Österreicher, aber auch als Protest dagegen, dass man sich um die Opfer des Widerstandskampfes in der Zweiten Republik herzlich wenig gekümmert hat. Als eines der wenigen Widerstands-Zeichen erinnert es an jene Österreicher, die nicht mit den Wölfen heulten, sondern ihr Leben aufs Spiel setzten, um die Ehre Österreichs zu retten. Von Zeit zu Zeit wird das Zeichen liebevoll mittels weißer Kreide sichtbar gemacht - als bleibende Mahnung: zu verzeihen, aber niemals zu vergessen. Dr. Hans (von) Becker, vor dem Zweiten Weltkrieg Propagandareferent der „Vaterländischen Front", nach dem Krieg österreichischer Geschäftsträger in Chile, wo er im Dezember 1948 ermordet wurde, war einer der Organisatoren des zivilen österreichischen Widerstandes. Nach seiner 1946 verfassten Schrift „Österreichs Freiheitskampf" kam es zwischen der Niederlage der deutschen Wehrmacht bei Stalingrad und den ersten Monaten des Jahres 1944 zu einer Konsolidierung der Widerstandskräfte.

Man hatte Mittel und Wege gefunden, Kontakt zu den Alliierten aufzunehmen und so mit Hilfe von „Feindsendern" Informationen in die „Ostmark" zu leiten. Bei der Aufstellung des Volkssturms gelang es, viele Widerstandskämpfer einzuschleusen. Nun mussten auch die Straßenaktionen im großen Maßstab durchgeführt werden. Es war notwendig, ein Zeichen zu erfinden, das kurz und einprägsam ist. Die Anfangsbuchstaben des Wortes Österreich ergaben "O5" (e = 5. Buchstabe des Alphabets). Eine Nacht später waren die Straßen dreier Wiener Bezirke mit dem Zeichen verschmiert. Die nächste Nacht tauchte es in allen Bezirken auf und einige Tage später gab es bereits eine Sonderabteilung für O5 in der Gestapo-Leitstelle.

--> Hans Becker, Österreichs Freiheitskampf. Wien 1946, 20.

Durch Spitzel in den Reihen der Widerstandsbewegung wurde ein umfassender Schlag der Gestapo möglich, der die Wiener Organisation empfindlich schwächte und dem auch Becker selbst zum Opfer fiel. Ein für den 6. April 1945 vorgesehener Plan, durch Inhaftierung der militärischenund zivilen Spitzen des Regimes die sofortige Kapitulation Wiens herbeizuführen und einen Aufruf an die Bevölkerung durch die O5 zu erlassen, konnte nicht verwirklicht werden. Folgendes aber konnte erreicht werden:

- Mit den Sowjets konnte vereinbart werden, dass die Wasserleitungen nicht angegriffen und die Versorgungsbetriebe intakt bleiben würden.
- Ende März berichteten die alliierten Sender über die O5.
- Es gelang Oberfeldwebel Ferdinand Käs, sich zu Marschall Tolbuchin durchzuschlagen und Absprachen über die Besetzung der Stadt zu treffen. In der Folge wurde der Volkssturm aufgelöst, Widerstandsleute nahmen ihre Waffen mit.
- Eine Kampfgruppe der Studentenorganisation besetzte am 6. April das Gelände des Allgemeinen Krankenhauses.
- In der Nacht zum 7. April konnten Panzerverstärkungen, die unter den Decknamen „Bernstein" und „Diamant" mit der Nordbahn nach Wien gebracht werden sollten, durch eine manipulierte Haltverfügung gestoppt werden.
- Die Sprengung der Reichsbrücke und einer Donaukanalbrücke durch die SS konnte verhindert werden. Mit Ausnahme der hinter der Donaukanallinie verschanzten SS trafen die zum Teil in die Stadt hereingeführten russischen Einheiten kaum auf nennenswerten Widerstand.

Der Ortskommandant von Wien, General von Bühnau, kabelte am 7. April nach Berlin, dass „die Wiener Bevölkerung stärkeres Feuer gegen die deutschen Truppen richte als der Feind". Das letzte Telegramm, das Hitler aus dem Führerbunker in seine ehemalige Heimat sandte, lautete: „Vorgehet mit brutalsten Mitteln gegen die Rebellen von Wien".

--> Gordon Shepherd, Die österreichische Odyssee. Wien 1958, 176

In den Bundesländern hatten sich ebenfalls Widerstandsgruppen gebildet, die jedoch aus Sicherheitsgründen weitgehend autonom operierten. Zahllose Sabotageakte wurden verübt, für die viele Hunderte Patrioten ihr Leben gaben. In letzter Minute konnte die Sprengung der im Salzbergwerk von Altaussee versteckten Kunstschätze (darunter die rudolfinische Kaiserkrone!) und der Salzachbrücken in der Landeshauptstadt Salzburg verhindert werden.

Die Widerstandsgruppen in Westösterreich, vor allem in Tirol, versuchten noch in den letzten Wochen des Krieges, aktiv in das Kampfgeschehen einzugreifen.

--> Otto Molden, Der Ruf des Gewissens. Wien 1958

Die O5 löste sich etwa zehn Tage nach Kriegsende auf. Sie wirkte in dieser kurzen Zeitspanne noch bei der Wiedereinsetzung der Beamtenschaft aus der Zeit vor 1938 mit und half durch eine aus dem Boden gestampfte Ärzteorganisation, einen sanitären
Zusammenbruch zu verhindern. Als politische Kraft wollte sie nicht auftreten, sondern überließ dieses Feld den traditionellen Parteien.
Gordon Shepherd sieht die letzten Tage der O5 freilich etwas weniger ruhmvoll, wenn er schreibt:

Eine Schar erregter Österreicher, vom ehemaligen Heimwehrmann bis zum Kommunisten, was das politische Bekenntnis anlangt, auf der sozialen Seite vom Fürsten bis zum Briefträger herab in einem Wiener Palais verbarrikadiert, und zwar gegen einen Feind, der anderes zu tun hatte als sie anzugreifen. Auf dem Dache hißte man die rot-weiß-rote Flagge und holte sie wieder ein, je nachdem wie die Kämpfe um das Stadtzentrum zwischen den Panzern der SS und der Roten Armee hin- und herschwankten.

--> Shepherd, a. a. O. - Hugo Portisch weist auf die großen Organisationsmängel der O5 unmittelbar nach Einstellung der Kampfhandlungen hin (Österreich II, a. a. O., 143 ff.). Siehe auch Gerhard Jagschitz, Der österreichische Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime. In: P. Schneck/K. Sretenovic (Hg.), Zeitgeschichte als Auftrag politischer Bildung. Wien 1979, 65 ff.

Ursachen des geringen Grades an Widerstand in der "Ostmark"#

Bild 'Symbole_O5'
Insgesamt litt der österreichische Widerstand weniger an schlechter Organisation als an folgenden Umständen:

o Seit dem Zerfall der Donaumonarchie hatte das deutschsprachige Restösterreich an seiner wirtschaftlichen Lebensfähigkeit gezweifelt.

o Maßgebliche Politiker der Ersten Republik aus allen Lagern traten von Beginn an für den Anschluss an Deutschland ein. (Die Sozialdemokraten strichen erst knapp vor der Illegalität beim Parteitag im Oktober 1933 den Anschlussparagraphen aus dem Parteiprogramm.)

o Selbst als sich der Ständestaat nach der Ermordung von Bundeskanzler Dollfuß am 25. Juli 1934 auf einen österreichisch-nationalen, auf Eigenstaatlichkeit und Unabhängigkeit bedachten Kurs begab, lag diesem die Vorstellung zugrunde, dass der Österreicher in seinem Wesen nichts anderes als ein „Deutscher mit Sondermission" sei. Schuschnigg hat in vielen seiner Reden verschiedene Bilder dafür gebraucht, so z. B. am 29. Mai 1935: „Österreich hat nie einen Zweifel darüber gelassen, und wird es, solange wir leben, auch in aller Zukunft nicht tun, dass es sich als deutscher Staat bekennt."

o Millionen Österreicher hatten am 10. April 1938 für den Anschluß gestimmmt: bei einer Beteiligung von über 99 Prozent der 4,484.000 Stimmberechtigten votierten 99,73 Prozent mit „Ja". 5.776 Zettel waren ungültig, nur 11.929 Österreicher hatten es über sich gebracht, mit „Nein" zu stimmen.

o Hunderttausende hatten einen Beamten- oder Soldateneid auf Adolf Hitler abgelegt.

o Es existierte keine anerkannte österreichische Exilregierung im Ausland.

o Es gab keinen organisierten militärischen Widerstand, obwohl es seit 1937 einen von Feldmarschalleutnant Alfred Jansa ausgearbeiteten Verteidigungsplan gegen den deutschen Einmarsch gegeben hatte. Dieser hätte in heutiger Sicht die Okkupation zwar nicht verhindert, aber doch entscheidend verzögert. Die Westmächte hätten es weitaus schwerer gehabt, dem erzwungenen Anschluss Österreichs tatenlos zuzusehen. Und Österreich wäre nach Ende des Weltkrieges ein respektierter Staat wie die Niederlande gewesen. Jansa mußte jedoch schon im Jänner 1938 auf Druck Schuschniggs zurücktreten.

o Die Gestapo war in der Ostmark infolge der gleichen Sprache ungleich erfolgreicher als in anderen von Nazi-Deutschland besetzten Gebieten - und auch deshalb, weil es mehr Denunzianten gab als anderswo. Außerdem hatte die Gestapo fast eineinhalb Friedensjahre Zeit gehabt, alle mißliebigen Personen zu entfernen, da ihr ja auch alle Polizeikarteien in die Hände gefallen waren.

Die Zahl der Opfer, die der österreichische Widerstand gegen die Nazi-Herrschaft kostete, war dennoch höher, als man heute vielleicht anzunehmen geneigt ist. Insgesamt dürften über 35.000 Österreicher ihr Leben im Kampf gegen den Nationalsozialismus verloren haben, die Hälfte davon in den Konzentrationslagern, an die 10.000 in Gestapogefängnissen.2.700 Österreicher wurden bei Gerichtsverhandlungen als aktive Widerstandskämpfer zum Tode verurteilt und hingerichtet. 65.000 österreichische Juden wurden ermordet. Und schließlich fielen nicht weniger als 380.000 Österreicher als Angehörige der deutschen Wehrmacht in einem Krieg, der in Wahrheit nicht der ihre war.

Beachte: Den höchsten Blutzoll im Verhältnis zu ihrer Stärke leisteten die österreichischen Kommunisten, die als einzige Partei am Tag vor dem deutschen Einmarsch dazu aufgerufen hatten, die Unabhängigkeit Österreichs wieder herzustellen.

--> Erika Weinzierl, Der österreichische Widerstand. In: Österreich - die Zweite Republik. Hg. von Erika Weinzierl und Kurt Skalnik, Graz 1972, 109 ff.
--> Oliver Rathkolb, Raoul Bumballa, ein politischer Nonkonformist 1945. In: Unterdrückung und Emanzipation. Festschrift für Erika Weinzierl, Wien 1985. 295 ff.
--> Herbert Steiner, Widerstand und Verfolgung im Dritten Reich. In: Leopold Rettinger u. a. (Hg.),Zeitgeschichte. Beiträge zur Lehrerfortbildung, Band 22. Wien 1982, 165 ff.

--> Der legendäre Film „Der Dritte Mann", ein Klassiker aus dem Jahr 1949 von Carol Reed mit Orson Welles als Harry Lime, zeigt in einer Einstellung die abschließende Verfolgungsjagd im Wiener Kanalnetz. Dabei ist auf einer Kanalwand der Code 05 zu sehen. Dieser Kultfilm hat das Wien des Zweiten Weltkriegs und seinen Widerstandscode weltberühmt gemacht (R. Bouchal/G. Lukacs, Geheimnisvoller Da Vinci Code in Wien, 2009)


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