Seite - 15 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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– schon ehe Columbus Audienz nahm, wußte die portugiesische Krone mehr
oder minder Bestimmtes von diesem Lande im fernen Westen. Aber was
immer Portugal wußte, hütete es sich wohl, den eifersüchtigen Nachbarn
bekanntzugeben; im Zeitalter der Entdeckungen behandelte die Krone jede
neue Nachricht über nautische Erkundungen als militärisches oder
kommerzielles Staatsgeheimnis, auf dessen Verlautbarung an fremde Mächte
Todesstrafe stand. Karten, Portolane, Schiffsrouten, Pilotenberichte wurden
ebenso wie Gold und Edelsteine als Kostbarkeiten in der Tesouraria, der
Schatzkammer Lissabons, verschlossen, und besonders in diesem Falle war
eine vorzeitige Verlautbarung untunlich, denn nach der päpstlichen
Bulle Inter caetera gehörten noch alle Gebiete hundert Meilen westlich von
Kap Verde rechtmäßig den Spaniern zu. Eine offizielle Entdeckung jenseits
dieser Zone hätte zu dieser frühen Stunde nur den Besitz des Nachbarn, nicht
den eigenen gemehrt. Es lag also keineswegs im Interesse Portugals, eine
solche Entdeckung (wenn sie tatsächlich stattgefunden hat) vorzeitig zu
melden. Erst mußte rechtmäßig gesichert sein, daß dieses neue Land nicht
Spanien, sondern der portugiesischen Krone gehöre, und dies hatte sich mit
auffälliger Voraussicht Portugal durch den Vertrag von Tordesillas gesichert,
der am 7. Juni 1494, also kurz nach der Entdeckung Amerikas, die
portugiesische Zone von den ursprünglichen hundert léguas auf 370 westlich
von Kap Verde hinausschob – gerade soviel also, um die angeblich noch nicht
entdeckte Küste Brasiliens okkupieren zu können. Wenn dies ein Zufall
gewesen, so war es jedenfalls einer, der sich merkwürdig mit der sonst
unerklärlichen Abweichung Pedro Álvares Cabrals von dem natürlichen
Kurse paart.
Diese Hypothese mancher Historiker von einer früheren Kenntnis
Brasiliens und einer geheimen Instruktion des Königs an Cabral, derart weit
nach Westen abzuschwenken, damit er dort durch einen »wunderbaren
Zufall« – milagrosamente, wie er an den König von Spanien schreibt – das
neue Land entdecken könne, gewinnt überdies viel an Glaubwürdigkeit durch
die Art, mit der der Chronist der Flotte, Pêro Vaz de Caminha, dem König von
der Auffindung Brasiliens Bericht erstattet. Er äußert keinerlei Erstaunen oder
Begeisterung, unvermutet auf neues Land gestoßen zu sein, sondern
verzeichnet bloß trocken die Tatsache als eine Selbstverständlichkeit; ebenso
äußert der zweite, unbekannte Chronist nur che ebbe grandissimo piacere.
Kein Wort des Triumphes, keine der bei Columbus und seinen Nachfolgern
üblichen Vermutungen, daß man damit Asien erreicht hätte – nichts als kalte
Notiz, die eher ein bekanntes Faktum zu bestätigen als ein neues
anzukündigen scheint. So kann Cabral sein Ruhm, als erster Brasilien
entdeckt zu haben, der ihm ohnehin durch Pinzons Landung nördlich des
Amazonenstroms schon streitig gemacht wird, vielleicht noch durch späteren
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197