Seite - 21 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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in zwölf capitanias aufgeteilt und jede einem Manne mit vollem Erbrecht
zugeteilt, der sich verpflichten muß – was schon in seinem eigenen Interesse
liegt – diesen Strich Land oder vielmehr dieses Reich kolonisatorisch zu
entwickeln. Denn was diese Capitane zugeteilt bekommen, sind wirkliche
Reiche, jedes so groß wie Frankreich oder Spanien. Ein Adeliger, der in
Portugal nichts besitzt, ein Offizier, der sich in den Kämpfen in Indien
bewährt hat und Belohnung verlangt, ein Geschichtsschreiber wie João de
Barros, dem der König Dank schuldig ist, sie alle erhalten jeder mit einem
Federstrich ein Zwölftteil Brasilien, also eine phantastische Region, in der
Erwartung, daß sie nun ihrerseits Menschen hinüberziehen würden und damit
das verliehene Land wirtschaftlich kultivieren und indirekt dem Heimatland
erhalten.
Dieser erste Versuch, in die ganz zufällige und zersplitterte Art der
Besiedlung eine gewisse Methode zu bringen, ist großzügig gedacht. Die
Vorteile für die donatários sind unermeßlich; außer dem Münzrecht sind ihnen
bei geringen Pflichten alle Rechte eines souveränen Fürsten eingeräumt;
wüßten sie wirklich ein Volk nach sich zu ziehen, so müßten ihre Kinder und
Enkel gleichwertig sein allen Monarchen Europas. Aber die Beschenkten sind
zumeist ältere Leute, die das Beste ihrer Energie längst in königlichem Dienst
verbraucht haben; sie nehmen zwar das verliehene Land als Erbschaft für
Kinder und Kindeskinder an, ohne es aber mit tatkräftiger Arbeit für sich
selbst wertvoll zu gestalten. In den nächsten Jahrzehnten erweist es sich, daß
nur zwei der Capitanias, die von São Vincente und Pernambuco –
Nova Lusitânia genannt – dank der rationellen Zuckeranpflanzung
prosperieren. Die anderen geraten durch Gleichgültigkeit ihrer Besitzer, durch
Mangel an Kolonisten, durch die Feindseligkeit der Eingeborenen und
verschiedene Katastrophen zu Wasser und zu Land bald in einen anarchischen
Zustand. Die ganze Küste droht in Stücke zu zerfallen; abgesondert
voneinander, ohne Übereinkommen, ohne gemeinschaftliches Gesetz, ohne
Kriegsmacht, ohne Befestigungen und Soldaten liegen die Capitanias jeder
feindlichen Macht, ja sogar jedem einzelnen verwegenen Korsaren täglich zur
Beute bereit. Und verzweifelt schreibt am 12. Mai 1548 Luís de Góis an den
König: »Wenn Eure Majestät nicht in kürzester Zeit den Capitanias an der
Küste zur Hilfe kommen, werden nicht nur wir unser Leben und unsere
Besitzungen verlieren, sondern auch Eure Majestät das ganze Land.« Wenn
Portugal nicht Brasilien einheitlich organisiert, ist Brasilien verloren. Nur ein
entschlossener Vertreter des Königs, ein governador geral, der auch
militärische Macht mit sich bringt, kann Ordnung schaffen und rechtzeitig die
abbröckelnden Stücke in eine Einheit zusammenschweißen.
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197