Seite - 24 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
Bild der Seite - 24 -
Text der Seite - 24 -
Konglomerat verschiedenster Elemente ein Organismus und aus den
offenbarsten Gegensätzen eine Einheit geworden ist.
Selbstverständlich wissen die Jesuiten, daß eine Aufgabe solcher Tragweite
nicht sofort zu lösen ist. Die Jesuiten sind keine vagen und verworrenen
Träumer und ihr Lehrer Ignacio de Loyola kein Franz von Assisi, der an eine
milde Brüderlichkeit der Menschen glaubt. Sie sind Realisten und durch ihre
Exerzitien geschult, Tag für Tag neu die Energie zu stählen, um den
unermeßlichen Widerstand der menschlichen Schwächen in der Welt zu
überwinden. Sie wissen um die Gefährlichkeit und Langwierigkeit ihrer
Aufgabe. Aber gerade daß ihr Ziel von Anfang an vollkommen ins Weite, ins
Jahrhundertweite, ja ins Ewige gerichtet ist, hebt sie so großartig ab von der
Beamtenschaft und Kriegerschaft, die raschen und sichtbaren Gewinn für sich
und das Heimatland wollen. Die Jesuiten wissen genau, daß Generationen und
Generationen nötig sein werden, um diesen Prozeß des abrasileiramento zu
vollenden, und daß jeder von ihnen, der sein Leben, seine Gesundheit, seine
Kraft an diesen Anfang wagt, auch nicht die flüchtigsten Resultate seiner
Bemühungen jemals selbst erschauen wird. Es ist mühsame Saatarbeit, die sie
beginnen, mühsame und scheinbar aussichtslose Investition, aber gerade daß
sie in völlig ungepflügtem Land einsetzt und in einem Land ohne Grenzen,
steigert ihre Anspannung, statt sie zu vermindern; wie das rechtzeitige
Kommen der Jesuiten ein Glücksfall für Brasilien, so ist Brasilien ein
Glücksfall für sie, weil die ideale Werkstatt für ihre Idee. Nur dadurch, daß
niemand vor ihnen hier wirkte und niemand neben ihnen wirkt, können sie ein
welthistorisches Experiment hier im vollen Umfang verwirklichen, Materie
und Geist, Stoff und Form, ein leeres, völlig unorganisiertes Land und eine
noch unerprobte Methode der Organisation begegnen sich, um etwas Neues
und Lebendiges zu schaffen.
Ein besonderes Glück in dieser glücklichen Begegnung einer gewaltigen
Aufgabe und einer noch gewaltigeren Energie, die sich anschickt, sie zu
bewältigen, ist die Gegenwart eines wirklichen Führers. Manuel da Nóbrega,
dem der Auftrag seines Provinzials, nach Brasilien zu reisen, derart rasch
zufällt, daß er nicht einmal Zeit mehr hat, von dem Meister des Ordens,
Ignacio de Loyola, in Rom persönliche Instruktionen zu empfangen, steht in
der Fülle seiner Kraft. Er ist zweiunddreißig Jahre alt und hat auf der
Universität Coimbra studiert, ehe er in den Orden eingetreten ist; aber nicht
seine besondere theologische Gelehrsamkeit gibt ihm die historische Größe,
sondern seine ungeheure Energie und seine sittliche Kraft. Nóbrega – schon
durch einen Sprachfehler gehemmt – ist nicht wie Vieira ein großer Prediger,
nicht wie Anchieta ein großer Schriftsteller. Er ist im Geiste Loyolas vor
24
zurück zum
Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197