Seite - 25 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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allem Kämpfer. Bei den Expeditionen zur Befreiung Rio de Janeiros ist er die
antreibende Kraft der Armee und der strategische Berater des Gouverneurs, in
der Verwaltung bewährt er die idealen Fähigkeiten eines genialen
Organisators, und die Klarsichtigkeit, die man aus seinen Briefen spürt, paart
sich mit einer heroischen Energie, die keine Selbstaufopferung scheut.
Rechnet man nur die Reisen zusammen, die er in jenen Jahren vom Norden
zum Süden und wieder zum Norden und quer durch das Land unternommen,
so ergeben schon diese Inspektionsfahrten hunderte und vielleicht tausende
Nächte voll Sorge und Gefahr. In all diesen Jahren ist er Gouverneur neben
dem Gouverneur, Lehrer über und neben den Lehrern, Städtegründer und
Friedensstifter, und so gibt es kein wichtiges Geschehnis in der damaligen
Geschichte Brasiliens, das nicht mit seinem Namen verbunden wäre. Die
Wiedergewinnung des Hafens von Rio de Janeiro, die Gründung von São
Paulo und Santos, die Befriedung der feindlichen Stämme und die Errichtung
der collégios, die Organisation des Unterrichts, die Errettung der
Einheimischen vor der Sklaverei sind in erster Linie seine Tat. Überall war er
im Beginn; mögen die Namen seiner Schüler und Nachfahren Anchieta und
Vieira im Lande späterhin populärer geworden sein als der seine, so sind sie
doch nur Fortentwickler seiner Idee gewesen. Wo sie bauten, fanden sie schon
das Fundament. In der Geschichte Brasiliens, dieser obra sem exemplo na
História, war es Nóbregas Hand, die das erste Blatt beschrieb, und jeder Zug
dieser energischen und festen Hand ist unauslöschlich geblieben bis in die
Gegenwart.
Die ersten Tage nach der Ankunft widmen die Jesuiten der
Rekognoszierung der Situation. Ehe sie lehren, wollen sie lernen, und sofort
macht einer der Brüder sich ans Werk, um möglichst schnell die Sprache der
Eingeborenen zu meistern. Daß die Eingeborenen sich noch auf dem tiefsten
Tiefstand der nomadischen Epoche befinden, zeigt schon der erste Blick. Sie
gehen völlig nackt, kennen keine Arbeit, haben weder Schmuck noch das
primitivste Gerät. Was sie zum Leben brauchen, holen sie von den Bäumen
oder aus den Flüssen, sobald eine Gegend abgegrast ist, ziehen sie weiter. An
sich eine gutmütige und sanfte Rasse, führen sie Krieg untereinander nur, um
Gefangene zu machen, die sie dann unter großen Festlichkeiten verzehren.
Aber auch dieser kannibalische Brauch stammt nicht aus einer besonderen
Grausamkeit ihrer Natur; im Gegenteil, diese Barbaren geben dem
Gefangenen noch ihre Tochter zur Frau und hegen und pflegen ihn, ehe sie
ihn schlachten. Wenn die Priester versuchen, sie des Kannibalismus zu
entwöhnen, so stoßen sie mehr auf verwundertes Erstaunen als auf wirklichen
Widerstand, denn diese Wilden leben noch völlig jenseits jeder kulturellen
oder moralischen Erkenntnis, und Gefangene zu verzehren bedeutet für sie
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197