Seite - 28 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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diesen wüsten Gesellen einen Gemahl suchen, geht Nóbrega in seiner
Großzügigkeit sogar so weit, den König zu bitten, er möge auch die
gefallenen Mädchen, die Dirnen aus den Straßen Lissabons herüberspedieren.
Hier fände jede einen Mann. Nach einiger Zeit gelingt es den vereinten
geistlichen und amtlichen Autoritäten tatsächlich, in den Sitten wieder eine
gewisse Ordnung zu schaffen. Aber in einem Punkte stoßen sie bei der ganzen
Kolonie auf erbitterten Widerstand – in der Frage der Sklaverei, die vom
Anfang bis zum Ende, von 1500 bis fast 1900, die Crux des brasilianischen
Problems bleiben wird. Die Erde braucht Hände, und es sind nicht genug
Hände da. Die wenigen Kolonisten reichen nicht aus, um das Zuckerrohr zu
pflanzen und in den engenhos, den primitiven Fabriken zu arbeiten; außerdem
sind diese Abenteurer und Conquistadoren nicht deshalb über das Meer in
dies tropische Land gekommen, um hier mit Hacke und Schaufel zu werken.
Sie wollen hier Herren sein; so hatten sie sich einfach geholfen, indem sie die
Eingeborenen wie Hasen einfingen und sie dann unter der Peitsche roboten
ließen, bis sie zusammenbrachen; die Erde gehört ihnen, argumentieren sie,
mit allem, was darüber und darunter ist, also auch alle diese zweibeinigen
braunen Tiere, gleichgültig ob sie bei der Arbeit verrecken oder nicht; für
jeden Toten holt man sich in der munteren caça al branco ein Schock neuer
ein und hat dazu noch einen sportlichen Spaß.
Gegen diese bequeme Auffassung greifen nun die Jesuiten energisch ein,
denn die Versklavung und Entvölkerung des Landes geht schroff ihrem
weitreichenden und wohldurchdachten Plan zuwider. Sie können es nicht
dulden, daß die Kolonisten die Eingeborenen zu Arbeitstieren herabdrücken,
weil sie sich es doch gerade als die wesentlichste Aufgabe gesetzt haben,
diese Unbelehrten dem Glauben, der Erde und der Zukunft zu gewinnen.
Jeder freie Eingeborene bedeutet für sie ein notwendiges Objekt der
Besiedlung und Zivilisierung. Während es bislang im Interesse der Kolonisten
lag, die einzelnen Stämme zu fortwährenden Kriegen gegeneinander zu
hetzen, damit sie einander rascher ausrotten und man außerdem nach jedem
Kriegszug die erbeuteten Gefangenen als billige Ware kaufen könnte, suchen
die Jesuiten die Stämme untereinander zu versöhnen und in dem gewaltigen
Raume durch Ansiedlung zu isolieren. Der Eingeborene stellt für sie als
künftiger Brasilianer und gewonnener Christ die vielleicht kostbarste
Substanz dieser Erde dar, wichtiger als das Zuckerrohr, das Brasilholz und der
Tabak, um derentwillen sie geknechtet und ausgerottet werden sollen. Als die
wesentliche, die gottgewollte Nahrung wollen sie diese noch ungeformten
Menschen in die Scholle einsetzen, ebenso wie die fremden Früchte und
Pflanzen, die sie von Europa mitgebracht haben, statt sie verkümmern und
weiter verwildern zu lassen. Ausdrücklich haben sie sich darum vom König
die Freiheit der Eingeborenen ausbedungen, in ihrem Plan soll es im
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197