Seite - 29 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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künftigen Brasilien nicht eine Herrennation von Weißen und eine
Sklavennation von Farbigen geben, sondern nur ein einheitliches freies Volk
auf freier Erde.
Freilich, selbst ein königlicher Brief und Auftrag verliert dreitausend
Meilen weit viel von seiner gebieterischen Kraft, und ein Dutzend Priester,
von denen die Hälfte immer auf ruhelosen Missionsfahrten das Land
durchwandert, sind zu schwach gegen den selbstsüchtigen Willen der
Kolonie. Um wenigstens einen Teil der Eingeborenen zu retten, müssen die
Jesuiten in der Sklavenfrage paktieren. Sie müssen die angeblich im
»gerechten« Kriege, das heißt im Verteidigungskriege gegen die
Eingeborenen gemachten Gefangenen den Kolonisten als Sklaven
konzedieren, und selbstverständlich findet diese Verklausulierung die
allerbiegsamste und unkontrollierbarste Auslegung. Außerdem sind sie
genötigt, um nicht beschuldigt zu werden, das rasche Fortschreiten der
Kolonie zu verunmöglichen, den Import afrikanischer Neger zu befürworten;
selbst diese geistig hochstehenden und human gesinnten Männer können sich
nicht der Anschauung der Zeit entziehen, für die der Negersklave ein ebenso
selbstverständlicher Handelsartikel ist wie Wolle oder Holz. In jenen Jahren
beherbergt Lissabon, die europäische Hauptstadt, schon zehntausend
schwarze Sklaven; wie sie dann dem Kolonialland verweigern? Sogar die
Jesuiten selbst sind genötigt, sich Neger anzuschaffen; mit voller
Gleichmütigkeit berichtet in einem Atemzug Nóbrega, er habe drei Sklaven
und einige Kühe angeschafft für sein Kollegium. Aber an dem Prinzip, daß
die Eingeborenen Brasiliens nicht Freiwild jedes hergelaufenen Abenteurers
sind, halten die Jesuiten unbeugsam fest; sie schützen jeden ihrer Täuflinge,
und die ethische Unbeugsamkeit, mit der sie für das Recht der braunen
Brasilianer kämpfen, wird ihr Verhängnis sein. Nichts hat die Situation der
Jesuiten in Brasilien so schwierig gemacht wie dieser Kampf um die
brasilianische Idee der Besiedlung und Beseelung des Landes durch freie
Menschen, und wehmütig bekennt einer von ihnen: »Viel ruhiger hätten wir
gelebt, wenn wir bloß in den Kollegien geblieben wären und uns darauf
beschränkt hätten, einzig religiösen Dienst zu tun.« Aber der Gründer ihres
Ordens war nicht umsonst vordem Soldat gewesen, er hatte seine Schüler zum
Kampf erzogen für eine Idee. Und diese Idee haben sie mit ihrem Leben in
das Land getragen: die Idee Brasiliens.
Es zeigt den großen Strategen in Nóbrega, daß er bei seinem
Eroberungsplan des künftigen Reiches sofort den richtigen Punkt für den
Brückenschlag in die Zukunft erkannte. Bald nach seiner Ankunft in Bahia
hatte er seine erste Ausbildungsschule errichtet und mit den
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197