Seite - 32 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Reihe von Brüdern herangebildet, weiße und farbige, die, sobald sie der
Landessprache mächtig sind, als missões volantes von Stamm zu Stamm
ziehen, um immer neue Nomaden zur Seßhaftigkeit zu bewegen und für den
Glauben zu gewinnen. Ein Knotenpunkt ist geschaffen, die ersteescola para
muitas nações de índios, und rasch bildet sich zwischen dem Missionar und
den angesiedelten Stämmen ein ehrliches Gefühl der Solidarität; bei dem
ersten Überfall schweifender Banden sind es schon die Neugetauften, die mit
leidenschaftlicher Aufopferung unter der Führung ihres Häuptlings Tibiriças
den Angriff abwehren. Das große Experiment nationaler Besiedlung unter
geistlicher Führung, das dann in der Jesuitenrepublik von Paraguay seine
einmalige Gestaltung finden wird, hat begonnen.
Die Gründung Nóbregas bedeutet aber auch einen großen Fortschritt im
nationalen Sinne. Zum erstenmal ist ein gewisses Gleichgewicht für den
künftigen Staat geschaffen. Während vordem Brasilien eigentlich nur ein
Streifen Küste war mit seinen drei oder vier Hafenstädten im Norden, die
einzig mit tropischen Produkten handelten, beginnt nun auch im Süden und
im inneren Land Kolonisation sich zu entwickeln. Bald werden diese langsam
gesammelten Energien schöpferisch vorstoßen und aus eigener Neugier und
Ungeduld das Land sich selbst in seinen Formen und Flüssen, in seiner Weite
und Tiefe entdecken. Mit der ersten disziplinierten Innensiedlung hat sich die
vorgefaßte Idee bereits in Saat und Tat verwandelt.
Brasilien ist etwa fünfzig Jahre alt, da es nach embryonischen ungewissen
Regungen zum erstenmal Zeichen wirklich bewußten Eigenlebens zu geben
beginnt. Langsam treten die ersten Resultate kolonialer Organisation in
Erscheinung. Die Zuckerplantagen von Bahia und Pernambuco werfen,
obwohl noch primitiv gehandhabt, reichlich Gewinn ab. Öfter und öfter
streifen Schiffe heran, um Rohprodukte zu holen und gegen Waren
einzutauschen; es sind noch nicht viele, die sich herab nach Brasilien wagen,
und kaum gibt ein Buch Bericht von dieser weiträumigen Welt. Aber gerade
die zögernde und sporadische Art, mit der sich die Kolonie im Welthandel
bemerkbar macht, ist im letzten Sinn Brasiliens Glück, weil es ihm eine
organische Entwicklung gewährt. In Zeiten der Eroberung und der Gewalt
bedeutet es immer eher einen Vorteil für ein Land, wenn es unbeachtet und
unbegehrlich bleibt; die Schätze, die Albuquerque in Indien und den
Molukken erspäht hat, die Beute, die Cortez aus Mexiko und Pizarro aus Peru
heimbringt, lenken eigentlich in glücklichster Weise die Aufmerksamkeit und
Besitzgier der anderen Nationen von Brasilien ab. Noch immer gilt das
»Papageienland« als eine quantité négligeable, um die sich weder das eigene
Land noch die andern ernstlich bemühen.
Es ist darum eigentlich kein ausgesprochen kriegerischer Akt, wenn am 10.
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197