Seite - 33 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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November 1555 eine kleine Flotte unter französischer Flagge in der Bucht
von Guanabara erscheint und dort auf einer der Inseln ein paar hundert Leute
landet. Denn sie stören de facto damit keinen fremden Besitz. Rio de Janeiro
ist damals noch keine Stadt und kaum eine Niederlassung. In den paar
verstreuten Hütten findet sich kein Soldat, kein Beamter des portugiesischen
Königs, und der sonderbare Abenteurer, der hier die Fahne hißt, begegnet
keinerlei Widerstand bei seinem kühnen Abenteurerstreich. Zweideutige und
attraktive Figur, dieser Rhodosritter Nicolas Durand de Villegaignon, halb
Pirat, halb Gelehrter und ein ganzes blutechtes Stück Renaissance. Er hat
Maria Stuart aus Schottland an den französischen Königshof gebracht, im
Kriege sich ausgezeichnet, in den Künsten dilettiert. Er ist gerühmt von
Ronsard und gefürchtet vom Hofe, weil unberechenbar, ein quecksilberner
Geist, dem jede geregelte Tätigkeit widerwärtig ist und der das beste Amt, die
höchsten Würden verachtet, um lieber frei und ungehemmt seinen oft
phantastischen Launen nachgeben zu können. Den Hugenotten gilt er als
Katholik, den Katholiken als Hugenotte. Niemand weiß, welcher Sache er
dient, und er weiß vielleicht selbst nichts anderes von sich, als daß er irgend
etwas Großes und Besonderes tun möchte, etwas anders als die anderen,
etwas Wilderes, Verwegeneres, Romantischeres und Eigenartigeres. In
Spanien wäre er ein Pizarro geworden oder ein Cortez, aber sein König,
vollauf im Lande beschäftigt, organisiert keine kolonialen Abenteuer; so muß
der ungeduldige Villegaignon eines auf eigene Faust erfinden. Er rafft ein
paar Schiffe zusammen, lädt sie voll mit ein paar hundert Mann, meistens
Hugenotten, die sich im Frankreich der Guisen unbehaglich fühlen, aber auch
Katholiken, die in die neue Welt wollen, und, ruhmsüchtig im höchsten
Grade, nimmt er sich vorsichtsweise gleich einen Geschichtsschreiber, André
Thévet, mit, denn er hat keinen geringeren Traum als eine »France
Antarctique« zu gründen, deren Schöpfer, Gouverneur oder vielleicht sogar
eigenwilliger Fürst er sein will. Wieweit der französische Hof diese Pläne
gekannt, wieweit er sie gebilligt und sogar gefördert hat, ist kaum ersichtlich.
Wahrscheinlich hätte im Falle eines Erfolgs König Heinrich sich seine Tat
ebenso zu eigen gemacht wie Elisabeth von England die ihrer Piraten Raleigh
und Drake; zunächst läßt man Villegaignon bloß als Privatperson sein Glück
versuchen, um nicht gegenüber Portugal durch eine offizielle Mission und
Annexion ins Unrecht zu kommen.
Villegaignon, als bewährter Soldat zunächst auf Verteidigung bedacht,
errichtet sofort nach seiner Ankunft auf der heute nach ihm benannten Insel
ein Fort Coligny zu Ehren des hugenottischen Admirals, während er die
gegenüberliegende künftige Stadt – vorläufig nichts als Sumpf und leere
Hügel – aus Respekt für seinen König großspurig Henriville tauft.
Unbedenklich in religiösen Dingen, holt er, da er für diese erträumte Kolonie
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197