Seite - 35 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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und es dauert noch abermals zwei Jahre, bis 1559 endlich ein paar Schiffe von
Lissabon herüberkommen und Mem de Sá an eine kriegerische Aktion gegen
die Eindringlinge denken kann.
Der eigentliche Leiter der Expedition ist Nóbrega, der gemeinsam mit
Anchieta von seinen Täuflingen möglichst viele herangeholt hat, um die
schwache portugiesische Truppe zu verstärken. Zugleich mit dem Gouverneur
erscheint er am 18. Februar 1560 vor Rio, und sobald am 15. März von São
Vincente die rasch zusammengelesenen Hilfstruppen eintreffen, beginnt der
Sturm auf die Festung Villegaignons. Vom heutigen Horizont aus gesehen, ist
diese bedeutsame Aktion freilich nur eine Art Frosch- und Mäusekrieg.
Hundertzwanzig Portugiesen und hundertvierzig Eingeborene stürmen das
Fort Coligny, das von vierundsiebzig Franzosen und einigen Sklaven
verteidigt wird. Die Franzosen können nicht standhalten und flüchten
rechtzeitig auf das Festland hinüber zu den befreundeten Eingeborenen, um
sich auf dem Morro do Castelo neu zu verschanzen. Für die Portugiesen ist es
ein Sieg, weil das Fort Coligny, die Zwingburg, eingenommen ist; ohne die
Franzosen zu verfolgen oder zu vernichten, kehren sie wieder nach Bahia und
São Vincente zurück.
Aber es ist nur ein halber Sieg, denn die Franzosen bleiben im Lande. Im
ganzen sind sie etwa einen Kilometer zurückgeworfen, also eine Strecke, die
man heute im Automobil in fünf Minuten durchfährt. Sie sitzen ungehindert
im Hafen wie zuvor, treiben weiter ihren Handel, laden Schiffe ein und aus,
bauen am Morro do Castelo eine neue Festung statt der alten, sie reizen sogar
die Tamoios, die ihnen befreundeten Eingeborenen, zu Unternehmungen
gegen die Portugiesen, und der erste Angriff auf São Paulo durch Angehörige
dieses Stammes war wahrscheinlich von ihnen organisiert. Aber Mem de Sá
hat keine Macht, die Eindringlinge zu vertreiben. Wie immer in Brasilien, von
Anfang an bis heute, ist das Manko das gleiche: es sind zu wenig Menschen
da. Mem de Sá vermag in Bahia keinen einzigen Arm zu entbehren, sonst
geriete die Zuckerproduktion, der ökonomische Nährstoff des Landes, ins
Stocken, außerdem hat eine verhängnisvolle Pest den Großteil der
Bevölkerung hinweggerafft. Ohne Unterstützung von Portugal ist es darum
unmöglich, die Franzosen aus ihrer neuen Position zu verdrängen, und diese
Unterstützung läßt endlos auf sich warten; unbehelligt verbleiben die
Kolonisten Villegaignons weitere fünf Jahre in Rio. Und wieder ist es
Nóbrega, der unablässig drängt und abermals und abermals mahnt, daß, wenn
statt Portugals die Franzosen weiterhin Sukkurs schicken, die Bucht von Rio
und damit Brasilien endgültig der Krone verloren sei. Endlich hört die
Königin auf seine dringliche Bitte und entsendet aus Lissabon Estácio de Sá
gemeinsam mit den von den Jesuiten im Lande vorbereiteten Hilfstruppen
gegen den Feind. Neuerlich beginnen in liliputanischen Maßen die
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197