Seite - 41 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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diesem Kriege Brasilien für Portugal zurückgewonnen, in Wirklichkeit aber
schon sich selbst.
Denn zum erstenmal in diesem Kriege zwischen Portugiesen und
Holländern ist dieses neue, in seinen Kräften und Eigenheiten noch
unbekannte Element in Erscheinung getreten: der Brasilianer.
Langsam hat sich dieser Typus zu formen begonnen und zunächst in
ziemlich gegensätzlicher Art. Die Küste und das Innere des Landes zeigen ein
durchaus verschiedenes Bild. In den Küstenstädten strömt ständig neues Blut
ein, Zuwanderer, Händler, Matrosen und Sklaven, in den aldeias des
Binnenlands wiederum erhält sich dasselbe Blut durch ständige Vermischung.
Die Menschen der Küste sind Händler oder primitive Industrielle, ihre wahre
Heimat ist das Meer, unwillkürlich blicken sie mit ihren Produkten und
Plänen ständig nach Europa hinüber. Für die Kolonisten dagegen ist die
Heimat die Erde, und nur Erde erzeugt das volle Gefühl der Verbundenheit.
Die stärkere Energie ist bei den Männern des Hinterlandes. Sie wohnen im
Ungesicherten und, gewöhnt an die Gefahr, haben sie begonnen, sie zu lieben.
Vor allem in São Paulo beginnt ein merkwürdiger Typus sich zu bilden: der
Paulista. Als Portugiesen oder Söhne von Portugiesen einerseits die
nomadische Lust der alten Indios, anderseits die Abenteurerfreude der
europäischen Ahnen im Blut liebt dies neue Geschlecht es nicht, die Erde
selbst zu bestellen, die es besitzt. Längst besorgen diese grobe Arbeit für sie
ihre Sklaven, und die langsame Art, Reichtum zu erwerben, widerstrebt ihrem
unruhigen Blut. Mit Ackerbau und Viehzucht wird man nicht reich, solange
man sie nicht mit hundert Sklaven in großem Stile betreibt, und sie wollen
reich werden auf Conquistadorenart – reich, mit einem Schlag und wenn auch
mit Einsatz ihres Lebens. So schließen sich die Ansiedler von São Paulo
mehrmals im Jahr zu größeren Gruppen zusammen, um als Bandeirantes, die
Fahne voran, zu Pferd und mit einem Troß von Dienern und Sklaven wie einst
die Raubritter ins Land zu ziehen, nicht aber ohne vorher ihre Fahne feierlich
in der Kirche segnen zu lassen. Manchmal vereinigen sich bis zweitausend
Menschen zu solchen entradas, und für ein paar Monate bleiben dann die
Stadt und die Siedlungen leer von Männern. Was sie suchen, wüßten sie selbst
nicht zu sagen; halb ist es das Abenteuer, halb die Hoffnung auf irgendeinen
unvermuteten Fund in diesem grenzenlos weiten und unerforschten Land. Seit
den Tagen, da die Schätze Perus und die Silberminen Potosis entdeckt
wurden, wollen die Gerüchte von einem sagenhaften Eldorado nicht
verstummen. Warum sollte es nicht in Brasilien verborgen sein? So ziehen die
Paulistas die Flußläufe entlang, die Berge auf und nieder, auf immer anderen
ungebahnten Wegen, in welcher Richtung gerade der Wind die
vorangetragene bandeira treibt, immer erregt von der Hoffnung, irgendwo auf
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197