Seite - 42 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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die sagenhaften Minen zu stoßen. Und solange sich das kostbare Erz nicht
finden läßt, solange nicht der »Hercules vom Sertão«, Fernão Dias,
wenigstens die Smaragde entdeckt, bringen sie wenigstens eine andere Beute
mit: lebendige Menschen. In den ersten Jahrzehnten sind
diese entradas nichts anderes als eine wüste, grausam rücksichtslose
Sklavenjagd. Den Paulisten scheint es einfacher und zugleich spannender,
statt am Markt in Bahia sich Neger zu kaufen, die Eingeborenen mit Hunden
und Pferden in scharfer, die Sinne erregender Jagd wie Hasen einzufangen;
aber am bequemsten finden sie es schließlich, statt mit den Bluthunden den
Verängstigten bis tief in den Urwald nachzujagen, sich diese Sklaven einfach
von den Kolonien zu holen, wo sie die Jesuiten so schön ordentlich
angesiedelt und schon im voraus zur Arbeit erzogen haben.
Selbstverständlich ist dieses Raubrittertum gegen jedes Gesetz, denn
ausdrücklich hat der König die Freiheit der Eingeborenen bestätigt, und
Anchieta erhebt verzweifelte Klage: Para êste género de gente não há melhor
prègação que espada e vara de ferro. Aus bloßer Gewinngier zerstören die
Rotten ihr in Jahren und Jahren mühsam aufgebautes Ansiedlungswerk; sie
entvölkern ihre Kolonien, sie tragen den Terror tief in befriedetes Land
hinein, sie knechten und rauben nicht nur wehrlose, sondern auch schon
kultivierte und dem Christentum gewonnene Menschen. Aber schon sind die
Paulisten dank der rapiden Vermehrung durch Mischlinge zu stark, als daß sie
Gebot und Gesetz noch einschüchtern könnte; selbst die päpstlichen Bullen
gegen diese entradas und bandeiras haben mitten im sertão, im Urwald,
keine Gewalt. Immer wilder und zugleich weiter geht die Menschenräuberei
ins Land hinein, und noch aus dem Anfang des neunzehnten Jahrhunderts
finden wir in Debrets »Voyage pittoresque au Brésil« eines der grausigen
Bilder, wie nackte Männer, Frauen und Kinder an langen Stangen
zusammengekoppelt wie Vieh von diesen brutalen Sklavenjägern verschleppt
werden.
Dennoch haben diese wilden Gesellen in der Geschichte des Landes wider
Willen ein großes Verdienst. Immer war die an sich verächtliche Gier nach
raschem Gewinn eine der stärksten Kräfte, die den Menschen ins Weite
getrieben; sie führte die phönizischen Schiffe über das Meer, sie lockte die
Conquistadoren in die unbekannten Erdteile, sie peitschte, obwohl der
schlimmste Trieb, die Menschheit vorwärts von Stillstand und bequemem
Behagen. So ergänzen paradoxerweise die Bandeirantes, die nur raffen und
rauben wollen, das zivilisatorische Werk des Aufbaus Brasiliens, denn durch
ihr wildes, zielloses Vordringen fördern sie die geographische Entdeckung des
Landes. Von Bahia aus den São Francisco empor, von São Paulo den Paraná
hinab und den Paraguay, nach Minas Gerais die Serra empor nach Mato
Grosso und Goiaz, quer durch den Urwald vordringend, schaffen und
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197