Seite - 43 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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erforschen sie erste Wege in das unbekannte Territorium, und während sie
entvölkern, besiedeln sie zugleich. Denn an manchen Stellen bleiben ein paar
von ihnen zurück; damit entstehen neue Zellen der Besiedlung, neuen
Zentren, von denen neue Nerven und Adern sich weiterbilden ins
Unbetretene; in bitterster Feindschaft dem geduldigen Siedlungsplan der
Jesuiten entgegenwirkend, haben sie anderseits gerade durch ihr ungeduldiges
Vordringen ins Unbekannte das Werk der Durchdringung beschleunigt, nach
Goethes Wort »ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und doch das
Gute schafft«. Auch sie haben an der Schaffung Brasiliens ihr gutes Teil.
Paulisten sind es auch, die auf einer ihrer entradas in die völlig
unbewohnten Bergtäler von Minas Gerais eindringen und dort im Rio das
Velhas das erste Gold finden. Einer der Bandeirantes bringt die Nachricht
nach Bahia, ein anderer nach Rio de Janeiro, und sofort setzt von beiden
Städten und allen möglichen Orten eine ganze Völkerwanderung in diese
unwirtlichen Gebiete ein. Die Plantagenbesitzer treiben ihre Sklaven mit sich,
die Zuckerwerke werden verlassen, Soldaten desertieren; in ein paar Jahren
entsteht im Goldbezirk ein kleiner Ring von Städten, Vila Rica, Vila Real,
Vila Albuquerque mit hunderttausend Einwohnern. Dazu kommt bald darauf
die Entdeckung der Diamanten. Mit einemmal ist Brasilien die reichste
Goldquelle der Welt und der kostbarste Besitz der portugiesischen Krone
geworden, die sich von vornherein den Fünftteil an allem gefundenen Gold
und jeden Diamanten über zweiundzwanzig Karat gesichert hat.
Die neue Provinz bietet zunächst das Bild eines vollkommenen Chaos. Wie
in den ersten Zeiten der Kolonisation fühlen sich in diesen abgelegenen
Gebirgstälern, weil noch ohne staatliche Kontrolle, die Eindringlinge jenseits
von Recht und Pflicht, und der eingesetzte Gouverneur stößt ebenso wie
seinerzeit die Jesuiten – auf entschlossenen Widerstand, sobald er Ordnung
und Zucht einführen will. Die »Paulisten« wehren sich gegen die emboabas,
die Eindringlinge von der Küste, und es kommt zu verzweifelten Kämpfen, in
denen schließlich die königliche Autorität die Oberhand behält. An und für
sich ist es nur Habgier, welche die ersten Goldgräber, die den unerwarteten
Reichtum mit niemand anderem teilen wollen, zusammenrottet. Aber hinter
ihrem eigenmächtigen Widerstand wirkt als höherer Wille schon unbewußt
ein nationales Empfinden. Die Paulisten stellen mit diesen ersten Revolten
gegen die portugiesische Autorität rein instinktiv die Forderung auf,
allerdings noch ohne sie zu formulieren, daß jeder Reichtum der
brasilianischen Erde Brasilien gehöre; sie empfinden es als absurd, daß das
Gold, das sie – oder vielmehr ihre Sklaven – graben, verwendet werden solle,
um tausende Meilen über dem Meer in einem Lande, das sie zeitlebens nie
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197