Seite - 44 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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sehen werden, Paläste und gigantische Klöster zu bauen. In gewissem Sinn ist
dieser erste, rasch niedergeschlagene Aufstand der Goldgräber gegen die
portugiesische Autorität schon das erste Vorspiel des großen
Unabhängigkeitskampfes, der in derselben Stadt, an derselben Stelle ein
halbes Jahrhundert später seine niedergehaltenen Kräfte neuerdings entladen
wird. Denn das Gold als die sichtbarste, münzbarste Wertsubstanz hat
Brasilien zum erstenmal das Selbstbewußtsein seines Reichtums gegeben;
von der Stunde seiner Entdeckung an betrachtet sich das Land nicht mehr als
der Verschuldete und Dankespflichtige gegen sein Ursprungsland, sondern als
freies Subjekt, das seine einstige Verpflichtung bereits in hundertfachen
Werten an die Heimat zurückerstattet hat.
Im ganzen dauert dieser Goldtaumel nicht länger als fünfzig Jahre. Dann
versagt – eine Katastrophe für Portugal – diese kostbare Quelle. Aber immer
wiederholt sich in der Geschichte Brasiliens das gleiche merkwürdige
Phänomen: was für sein Mutterland, für Portugal, ein Unglück bedeutet, wird
für die Kolonie zum Gewinn. Über Portugal bricht, sobald die Goldsendungen
ausbleiben, eine Finanzkrise schwerster Art herein, die Pombal nicht
bemeistern kann und die im weiteren Verlauf die Austreibung der Jesuiten
und seinen eigenen Sturz zur Folge hat: Brasilien wird dagegen eher
stabilisiert. Denn durch die Auffindung des Goldes ist eine neue Verschiebung
des Gleichgewichts und damit eine erste Konsolidierung in der
Menschenverteilung Brasiliens eingetreten. Abermals sind große Massen in
das bisher schwachbesiedelte Innere verpflanzt worden, und selbst als das
Schwemmgold im Sande abgeschöpft ist, ziehen es die einstigen Goldgräber
vor, die hier keine Bleibe und auch sonst keine Heimat haben, statt an die
Küste zurückzuwandern, in der mata, dem fruchtbaren Tiefland von Minas
Gerais, sich anzusiedeln. Damit ist abermals – wie vordem São Paulo – eine
Provinz bevölkert und der bisher ungenützte Strom des São Francisco als
lebendige Verkehrsader gewonnen. Immer mehr wird Brasilien aus einer
bloßen Küste ein wirkliches Reich.
Aber wichtiger als alles gewonnene Gold ist für Brasilien das mächtig
erstarkte Gefühl seines eigenen Wertes. Teilweise in Kämpfen wider die von
Norden gegen den Maranhão vordringenden Franzosen, teilweise durch kühne
Streifung ins Unbekannte und fortschreitende Besiedlung des Westens, hat
sich die Bevölkerung aus eigener Kraft das Flußgebiet des Amazonas, Mato
Grosso, Goiaz, Rio Grande do Sul und eine Reihe anderer Provinzen
gewonnen, deren jede einzelne räumlich so groß oder größer ist als die
allmächtigen europäischen Staaten, wie Spanien und Frankreich und
Deutschland; zu einer Zeit, da das gleiche umfangreiche Nordamerika kaum
ein Sechstel seines Bodens kennt, hat Brasilien sich bis nahe zu den heutigen
Grenzen ausgebreitet, und längst ist das eigene kleine Mutterland kein
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197