Seite - 45 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Maßstab mehr, denn eingezeichnet in die immensen Gemarkungen Brasiliens,
erscheint Portugal klein wie ein Tintenfleck auf einem riesigen Tuch. Wie
dann 1750 im Vertrag von Madrid endgültig die Grenzen der Kolonie gegen
die spanischen festgesetzt werden sollen, muß Spanien ärgerlich anerkennen,
daß Brasilien längst nicht mehr auf die veralteten Linien des Vertrags von
Tordesillas zurückgeschoben werden könne und durch das stärkere Recht
seiner kolonialen Leistung alle papierenen Paragraphen zunichte gemacht hat.
Langsam beginnt um die Wende des achtzehnten Jahrhunderts Europa,
beginnt das Land selbst zu begreifen, wie groß, wie mächtig, wie einheitlich
es in den scheinbar ereignislosen Jahren auf seine stille, beharrliche Art
geworden ist. Und je mehr es seiner Kindheit, seiner finanziellen
Abhängigkeit entwächst, um so mehr muß es als Ungehörigkeit und
Ungerechtigkeit empfinden, daß seine freie Entwicklung durch die
unpolitische und überdies ungeschickte Vormundschaft Portugals immer noch
in kleinlicher Weise gehemmt wird.
Denn um möglichst viel Gewinn aus seiner Kolonie herauszuholen,
umstrickt die portugiesische Krone Brasilien mit einem Netzwerk von
Gesetzen, das dem jungen Land die von Kraft strotzenden Adern vom
Welthandel abbindet; die Regierung erlaubt zum Beispiel gerade dem Lande,
wo die Baumwolle frei und üppig ihre Heimat hat, keine eigene Fabrikation
von Textilwaren, um Brasilien zu zwingen, die Fertigware von Lissabon zu
bestellen, und derartige Verbote häufen sich bis ins Willkürliche und Stupide.
So wird 1775 durch ein Dekret verboten, Seife zu erzeugen, es wird verboten,
heimischen Alkohol zu keltern, um die Konsumenten zu nötigen, mehr
portugiesischen Wein zu trinken. Der Gouverneur weigert sich, in seinem
Palast jemanden zu empfangen, der nicht aus portugiesischen Stoffen
gefertigte Kleider trägt. Einem Lande, das schon zweieinhalb Millionen
Einwohner besitzt, wird untersagt, Reis anzupflanzen, im Jahrhundert der
Philosophie und Aufklärung seinen Städten nicht der Druck von Zeitungen
und nicht einmal von Büchern erlaubt, kein Brasilianer darf ein fremdes
Schiff kaufen, kein Ausländer in Rio leben und kaum einer dort landen.
Brasilien wird abgesperrt wie der Privatgarten des Königs von Portugal.
Selbst im neunzehnten Jahrhundert wird noch, als Humboldt für seine
großartige Schilderung, die Brasilien erst wahrhaft für die Welt entdeckt, das
Land bereisen will, den Behörden vertraulicher Befehl erteilt, wenn
ein certain baron Humboldt sich einstelle, ihm die möglichsten
Schwierigkeiten zu bereiten.
So ist es leicht zu begreifen, mit welcher leidenschaftlichen
Aufmerksamkeit die Brasilianer den Unabhängigkeitskampf Nordamerikas
verfolgen, das von einer viel milderen und klügeren Hüterschaft sich
gewaltsam losreißt und seine Freiheit erzwingt. Die früheren Former und
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197