Seite - 49 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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anderen südamerikanischen Staaten schwere Blutopfer gekostet, diesem
bevorzugten Lande zunächst erspart; Brasilien kann die europäische
Unruhezeit geruhig nutzen, um seine Grenzen langsam zu konsolidieren.
Längst – 1750 – sind die alten Einschränkungen des Vertrages von Tordesillas
für ungültig erklärt worden. Weit nach Westen, den ganzen Lauf des
Amazonas entlang, erstreckt sich das neue Königsreich in die Tiefe; im Süden
ist Rio Grande do Sul dazugewonnen, im Norden die lang umkämpfte Grenze
bis nach Guyana hinaufgerückt, und die gute Gelegenheit, daß Europa auf
Kongressen beschäftigt ist, verlockt Dom João VI., sich mit einem
Handstreich Montevideos zu bemächtigen und Uruguay – allerdings nur
vorübergehend – an Brasilien als cisalpinische Provinz anzuschließen. Die
endgültige Form Brasiliens ist mit dem neunzehnten Jahrhundert soviel wie
erreicht.
Diese Jahre der Gegenwart des königlichen Hofes bringen außer dem
politischen dem Lande auch ungemeinen moralischen Gewinn. Seit die
Jesuiten unter Pombal aus dem Lande vertrieben wurden, geschieht es zum
erstenmal, daß Portugiesen von kulturellem Rang, Gelehrte, Wissenschaftler
sich in der Hauptstadt ansässig machen. In großzügigster Weise beruft der
König außerdem Forscher und Maler aus Frankreich und Österreich, um
Institute zu begründen oder zu erweitern. Erst von diesem Zeitpunkt an
besitzen wir wirkliche Bilder und Darstellungen von Rio, wissenschaftliche
Studien, lesbare Schilderungen. Das königliche Brasilien ist nun nicht mehr
die einstige terra do exilio, seit es die terra do refúgio seines Königs
geworden, und in wenigen Jahren wird es ein Gegenpol europäischer
Zivilisation und die Stätte eines glanzvollen und hochgeachteten Hofes. Und
nichts zeigt deutlicher die Weltstellung dieses neuen Landes, als daß der
Kaiser von Österreich, nach Napoleons Fall der mächtigste Mann Europas,
den Thronfolger dieses Reiches, Dom Pedro, nicht für zu gering hält, um ihm
eine Schwester Maria Louisens, seine Tochter Leopoldine zu vermählen, die
mit größten Festlichkeiten in Rio empfangen wird. Könnte König João seiner
eigenen Neigung folgen, so bliebe er zeitlebens in dem neuen Land, dessen
Schönheit und zukünftiger Wert ihm wie all den Seinen bald klargeworden ist.
Aber das heimische Portugal verlangt, nun da Napoleon von seiner wüsten
Insel St. Helena Europa nicht mehr beunruhigen kann, seinen angestammten
König eifersüchtig zurück. João gerät in Gefahr, falls er dem immer
gebieterischer werdenden Rufe nicht folgt, den Thron seiner Vorfahren zu
verlieren. Lange zögert er den Abschied hinaus, aber schließlich geht es nicht
länger: 1820 kehrt João VI. nach Lissabon zurück, nachdem er zuvor den
Thronerben Dom Pedro zu seinem Stellvertreter in Brasilien ernannt.
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197