Seite - 51 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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eindeutig für Brasilien entschieden habe; er bleibt hier der Fremde, der
Ausländer, und immer mehr organisieren sich die nationalen Elemente gegen
ihn. Die französische Julirevolution gibt seiner Popularität den letzten Rest,
denn alles Französische wirkt stimulierend auf die brasilianischen
Parlamentarier, die in ihren Reden, Verordnungen und Debatten gewohnt sind,
das Pariser Vorbild nachzuahmen, und diese Kopierung des Französischen
geht so weit, daß groteskerweise zwei führende brasilianische Politiker sogar
Lafayette und Benjamin Constant heißen. Nur rechtzeitige Resignation des
unbeliebten Kaisers kann den Thron noch gegen den republikanischen
Ansturm retten; so dankt Pedro I. 1831 zugunsten seines Sohnes ab in der
richtigen Erkenntnis: Meu filho tem sôbre mim a vantagem de ser brasileiro.
Auch bei dieser Abdankung wird wieder die brasilianische Tradition
glücklich gewahrt, staatspolitische Umstürze womöglich ganz ohne
Blutvergießen und in konzilianter Art zu vollziehen. Still, nicht verfolgt von
Haß und Groll, verläßt der erste Kaiser Brasiliens das Land.
Der neue Kaiser Pedro II., o imperador menino, dem Blut nach zugleich ein
Habsburger und ein Bragança, ist bei der Abdankung seines Vaters fünf Jahre
alt. José Bonifácio übernimmt für ihn die Regentschaft, und nun beginnt vor
und hinter den Kulissen ein wildes Politisieren und Intrigieren. Für Brasilien,
das dreihundert Jahre unselbständig und mundtot gewesen, sind die
parlamentarischen Rechte und die Pressefreiheit zu neue Dinge, als daß sich
nicht alle daran berauschten. Unablässig gehen die Debatten; die politische
Erregung bleibt aus bloßer Rede- und Politisierfreude eigentlich ohne äußeren
Anlaß – ständig in Hochspannung, eine Partei arbeitet für die Errichtung einer
Republik, eine andere sucht den persönlichen Regierungsantritt Pedro II. zu
beschleunigen, dazwischen überkreuzen sich persönliche Intrigen. Keine
Regierung, keine Partei scheint wirklich stabil. Viermal in sieben Jahren wird
der Regent gewechselt, ehe endlich die konservative Partei, um eine gewisse
Beruhigung zu erzwingen, 1840 die vorzeitige Majorennitätserklärung Pedro
II. durchsetzt. Mit fünfzehn Jahren wird der bisherige imperador menino am
18. Juli feierlich zum Kaiser von Brasilien gekrönt.
Wie wenig Vertrauen die Welt den ständigen Bündeleien und Zänkereien
der südamerikanischen Politiker entgegenbringt, zeigt die kühle Aufnahme
des geheimen Botschafters, der sofort nach der Thronbesteigung nach Europa
abgesandt wird, um für den jungen Kaiser eine Gemahlin von fürstlichem
Rang zu suchen. Sein erster Weg geht nach Wien zu den Habsburgern, den
nächsten Verwandten des jungen Kaisers. Aber während seinerzeit seinem
Vater Pedro I. ohne Zögern eine Erzherzogin aus dem immer reichen
Bestände der kaiserlichen Familie zugeteilt wurde, bleibt diesmal der
allmächtige Kanzler Metternich abwartend und kühl. Die südamerikanischen
Staaten haben durch die Unstabilität ihrer Regierungen, die fortwährenden
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197