Seite - 53 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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anderseits ist – insbesondere seit dem nordamerikanischen Sezessionskrieg –
die Sklavenfrage aus einem sozialen ein moralisches Problem geworden, das
eingestandenerweise oder uneingestandenerweise das Gewissen der ganzen
Nation bedrückt. Offiziell zwar ist seit 1831 – eigentlich schon 1810 durch
einen Vertrag mit England – jeder neue Import von Sklaven und damit
eigentlich der Sklavenhandel verboten; 1870 wird dieses Schutzgesetz
ergänzt, durch das Gesetz des ventre livre, demzufolge jedem Kinde einer
Sklavin schon vom Mutterleibe an die Freiheit gewährt ist. Durch diese zwei
Gesetze wäre eigentlich praktisch die Sklavenfrage nur eine Frage der Zeit,
keine prinzipielle mehr, weil jeder Zuwachs an neuen Sklaven verhindert ist
und mit dem Absterben des lebenden Materials es bald nur mehr freie
Menschen in Brasilien geben müßte. In Wirklichkeit kehren sich aber weder
die Sklavenimporteure noch die Besitzer abgelegener Plantagen im geringsten
an diese Gesetze. Fünfzehn Jahre nach dem Verbot des Sklavenhandels
werden 1846 noch fünfzigtausend, 1847 nicht weniger als
siebenundfünfzigtausend, 1848 sogar sechzigtausend Neger importiert, und da
die mächtige Gruppe dieser Händler mit schwarzem Elfenbein aller
internationalen Vereinbarungen spotten, muß die englische Regierung
Kanonenboote armieren, um die Schiffe mit der verbrecherischen Fracht
abzufangen. Von Jahr zu Jahr tritt das Sklavenproblem mehr in den
Mittelpunkt der Diskussion, immer stärker wird der Druck der liberalen
Gruppen, mit einem Schlag die »schwarze Schande« abzuschaffen, jedoch in
gleichem, vielleicht noch in stärkerem Maße steigert sich die Gegenwehr der
landwirtschaftlichen Kreise, die – nicht mit Unrecht – durch eine so plötzliche
Maßregel eine katastrophale Krise für ein Land befürchten, dessen Wirtschaft
zu neun Zehnteln auf der Sklavenarbeit fußt.
Für den Kaiser wird dieses Problem immer mehr zum persönlichen
Konflikt. Als geistiger Mensch, als Liberaler und Demokrat, als sentimentale,
wenn auch etwas habsburgisch kühle Natur, muß ihm die Sklaverei ein Greuel
sein. Deutlich zeigt er seinen Widerwillen gegen alle, die mit diesem
schandbaren Geschäft zu tun haben, indem er sich hartnäckig weigert,
irgendeinem und auch dem reichsten Manne, der sein Vermögen durch
Sklavenhandel gemacht hat, ein Adelsprädikat oder eine Auszeichnung zu
verleihen. Es ist dem kultivierten Manne unermeßlich peinlich, bei seinen
Besuchen in Europa vor den großen Vertretern der Humanität, deren
Freundschaft er sucht, vor einem Pasteur, einem Charcot, einem Lamartine,
einem Victor Hugo, einem Wagner, einem Nietzsche als verantwortlicher
Herrscher des einzigen Weltreiches zu gelten, das noch die Sklavenpeitsche
und die Brandmarkung duldet. Aber lange muß er diesen seinen persönlichen
Widerwillen im Hintergrund halten und jede Einmischung vermeiden gemäß
dem Ratschlag seines besten, seines weisesten Staatsmannes Rio Branco, der
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197