Seite - 58 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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liegt, wird erst die Zukunft enthüllen. Gewiß ist nur, daß die größten
Eisenvorräte der Welt hier unangetastet warten, allein schon ausreichend, um
unseren ganzen Erdball für Jahrhunderte zu versorgen, und daß im
geologischen Bilde kaum ein Erz-, ein Stein-, eine Pflanzenart diesem
gewaltigen Imperium fehlt. Soviel in den letzten Jahren an erster ordnender
Übersicht auch geleistet worden ist, die eigentliche Feststellung und
Bewertung steht hier noch im Anfang und sogar vor dem entscheidenden
Beginn. So muß man es immer wieder sagen: dies ungeheure Land bedeutet
für unsere überdrängte, vielfach schon ermüdete, ausgeschöpfte Erde dank
einer Unverbrauchtheit und Weiträumigkeit heute eine der größten
Hoffnungen und vielleicht sogar die berechtigste Hoffnung unserer Welt.
Der erste Eindruck von diesem Lande ist der einer verwirrenden Üppigkeit.
Alles ist vehement, die Sonne, das Licht, die Farben. Das Blau des Himmels
schmettert hier stärker, das Grün ist tief und satt, die Erde dicht und rot, kein
Maler kann auf seiner Palette glühendere, blendendere, schillerndere Farbtöne
finden als hier die Vögel auf ihrem Gefieder, die Schmetterlinge auf ihren
Schwingen tragen. Immer erreicht die Natur ihren Superlativ, die Gewitter,
die mit krachenden Blitzen den Himmel aufreißen, die Regen, die wie
Wildbäche niederstürzen, die Vegetation, die in ein paar Monaten zu
gewaltigen grünen Wildnissen wuchert. Aber auch die Erde, seit
Jahrhunderten und Jahrtausenden unberührt und zur vollen Leistung noch
nicht herausgefordert, gibt hier auf jeden Anruf Antwort mit einer fast
unglaubhaften Kraft. Erinnert man sich an die Mühe, die Qual, die
Geschicklichkeit, die Zähigkeit, mit der man in Europa einem Garten oder
einem Feld Blumen oder Früchte entringen muß, so begegnet man hier im
Gegenteil einer Natur, die man eher bändigen muß, nicht zu wild, nicht zu
ungestüm sich zu entfalten. Hier muß man Wachstum nicht fördern, sondern
bekämpfen, damit es mit seinem barbarisch wilden Wuchern nicht die
menschliche Pflanzung überflute. Allein und ohne Pflege schießen hier die
Bäume und Sträucher auf, die einem Großteil der Bevölkerung die Nahrung
frei in die Hand reichen, die Banane, der Mango, der Mandioca, die Ananas.
Und jede neue Pflanze, jede Frucht, von einem anderen Erdteile gebracht,
gewöhnt und verwöhnt sich sofort in diesem jungfräulichen Humus.
Diese Impetuosität und Bereitwilligkeit, diese – fast möchte man sagen:
Generosität, mit der dieses Land auf jedes Experiment, das man mit ihm
versucht, Antwort gibt, ist ihm paradoxerweise sogar in seiner
Wirtschaftsgeschichte mehrmals zur Gefahr geworden; in regelmäßiger Folge
entstanden hier Krisen der Überproduktion einzig darum, weil alles zu rasch
und zu leicht ging, immer mußte – die Versenkung der Kaffeesäcke ins Meer
im zwanzigsten Jahrhundert ist das letzte Beispiel – Brasilien, sobald es etwas
zu produzieren begann, sich selbst zurückdämmen, nicht zu viel zu
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197