Seite - 64 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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roh geliefert und im Lande selbst nicht weiterverarbeitet; es wird noch langer
Entwicklung bedürfen, ehe Brasilien genug frei und genug reif sein wird für
eine organisierte und mechanisierte Veredlungsindustrie. Seine ganze
Leistung beschränkt sich auf Pflanzung, Pflückung und Verschiffung der
sogenannten »Kolonialwaren«, also auf die primitiven Prozesse, die zu ihrer
Verrichtung nichts anderes benötigen als Hände. Allerdings viele und billige
Hände. Menschen sind darum der dringlichste Rohstoff, den dies an allen
Stoffen der Natur überreiche Land in immer größeren Quantitäten einführen
muß; es ist vielleicht die merkwürdigste Eigenheit seiner
Wirtschaftsgeschichte, daß es Brasilien zu jeder Zeit an der jeweils besten
motorischen Kraft fehlen wird und es sie importieren muß – in den früheren
Jahrhunderten den menschlichen Arm, im neunzehnten die Kohle und im
zwanzigsten das Benzin. Daß es in jenen ersten Jahren von dieser
motorischen Kraft die billigste sucht, ist selbstverständlich. Zuerst bemühen
sich die Kolonisten, die Eingeborenen zu versklaven; da diese sich infolge
ihrer zarteren Konstitution als leistungsschwach erweisen und überdies die
Jesuiten immer wieder auf die königlichen Edikte zum Schutz der
eingeborenen Bevölkerung hinweisen, setzt von 1549 an ein regelrechter
Import von »schwarzem Elfenbein« aus Afrika ein. InTumbeiros – so genannt,
weil auf diesen grauenhaften Schiffen immer die Hälfte der
zusammengepferchten und geketteten Neger bei der Überfahrt zugrunde geht
– werden Monat für Monat und bald Woche für Woche neue Ladungen dieses
lebendigen Rohstoffs herübergebracht; in drei Jahrhunderten führt Brasilien
mindestens drei Millionen Sklaven von den zehn Millionen ein, die der neue
Weltteil aus dem geplünderten und entvölkerten Afrika bezieht; die genauen
Zahlen (manche schätzen den Import sogar auf viereinhalb Millionen) werden
nie mehr ganz zu rekonstruieren sein, da Rui Barbosa, um von der jungen
Republik von 1890 diese Schmach der Vergangenheit zu tilgen, um einer
edel-gemeinten Geste willen Auftrag gab, die Archivdokumente der
Sklaveneinfuhr zu verbrennen.
Der Sklavenhandel gilt lange Zeit in Brasilien als das zwar nicht
angesehenste, aber ergiebigste Geschäft; finanziert von London oder
Lissabon, liefert er dem Verfrachter wie dem Verkäufer sicheren Gewinn dank
des immer steigenden Bedarfs. Zunächst scheint der Negersklave, der im
Durchschnitt mit fünfzig bis dreihundert Milreis auf dem Sklavenmarkt in
Bahia gehandelt wird, verhältnismäßig teuer im Vergleich zum eingeborenen
Sklaven, der bloß mit vier bis höchstens siebzig Milreis notiert wird.
Aber bei dem Erstehungspreis eines starkknochigen Senegal- oder
Guineanegers müssen die Frachtkosten, der Abschlag für die auf der Fahrt
lädierte und ins Meer geworfene Ware, der ungeheure Zwischengewinn der
Sklavenjäger, der Sklavenhändler und Kapitäne eingerechnet werden und
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197