Seite - 85 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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war, zwingt ihm nicht der Wille des äußeren Weltmarkts, sondern sein eigener
Wille auf durch das Gesetz von 1888, das endgültig die Sklaverei abschafft.
Im ersten Augenblick ist es ein heftiger Schock für die Wirtschaft, ein so
heftiger, daß er sogar den Thron des Kaisers umstürzt. Viele der Neger, von
der neuen Freiheit berauscht, verlassen das innere Land und ziehen in die
Städte. Betriebe, die nur dank der unbezahlten Arbeitskräfte ein Erträgnis
abwarfen, werden stillgelegt, die Plantagenbesitzer verlieren mit den Sklaven
einen Großteil ihres Kapitals, und, ohnehin schon kaum mehr
konkurrenzfähig in der Produktion gegen die modernen maschinellen
Methoden, droht schließlich auch die Landwirtschaft und Kaffeeanpflanzung
zu versagen. Wieder erhebt sich der alte Ruf des Anfangs: Hände her nach
Brasilien! Hände, Menschen her um jeden Preis! Das zwingt die Regierung,
die Immigration, die bisher ein bloßes laissez-faire gewesen, eine passive,
gleichgültige Einstellung, durch Anlockung europäischer und asiatischer
Einwanderer systematisch in Schwung zu bringen. Vor der Ära des Kaffees
hatte Brasilien nur eine landwirtschaftliche Immigration gekannt. Schon 1817
ließ König João durch europäische Agenten zweitausend Schweizer
Kolonisten anwerben, die eine Siedlung Nova Friburgo begründeten, ihnen
folgte 1825 eine deutsche Gruppe in Rio Grande do Sul, nach und nach
entwickelten sich durch den Zuzug von etwa 120 000 Deutschen nach dem
Süden Brasiliens in Santa Catarina und Paraná geschlossene deutsche
Bezirke; aber alle diese Zuwanderung war mehr oder minder durch eigene
Initiative der Auswanderer oder durch die vermittelnde Tätigkeit privater
Agenturen erfolgt. Nun erst, da eine neue große und erträgnisreiche
Produktion in Schwung kommt und die Sklavenarbeit wegfällt, entschließt
sich der Staat und besonders die Provinz von São Paulo, die Einwanderung in
größerem Maßstabe als bisher zu fördern, indem sie den Unbemittelten die
Schiffsreise aus eigenen Mitteln finanziert und für alle diejenigen, welche
sich der Landwirtschaft zuwenden wollen, Grund und Boden zur Verfügung
stellt. Diese Zuschüsse erreichen in den entscheidenden Jahren bis zu
zehntausend Konto im Jahr an barem Gelde; aber kaum Brasilien den Weg
gebahnt und die Tore geöffnet hat, strömen schon die Massen herein. Im Jahr
nach der Sklavenbefreiung, 1890, steigt die Immigration von 66 000 Köpfen
auf 107 000, um 1891 die bisher erreichte Höchstzahl von 216 760 zu
erreichen, und hält dann unentwegt auf einem schwankenden aber immer
hohen Niveau an, das erst in den letzten Jahren der Erschwerungspolitik
wieder auf ungefähr 20 000 im Jahr herabgesunken ist.
Diese Immigration von vier bis fünf Millionen Weißen in den letzten
fünfzig Jahren hat einen ungeheuren Energieeinschuß für Brasilien bedeutet
und gleichzeitig einen gewaltigen kulturellen und ethnologischen Gewinn
gebracht. Die brasilianische Rasse, die durch einen dreihundertjährigen
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197