Seite - 101 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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erscheinen. Die Menschen brauchen hier keine heftigen und gewaltigen
Spannungen, keine sichtbaren und ausnutzbaren Erfolge, um zufrieden zu
sein. Es ist kein Zufall, daß der Sport, der doch im letzten die Leidenschaft
des sich gegenseitig Überholens und Übertreffens darstellt, die ein gut Teil
der Verrohung und Entgeistigung unserer Jugend verschuldet, in diesem
Klima, das mehr zur Ruhe und zu behaglichem Genießen lockt, nicht jene
absurde Überwichtigkeit gewonnen hat, und daß jene wüsten Szenen und
tollwütigen Erregungen völlig fehlen, wie sie in unseren sogenannten
zivilisierten Ländern an der Tagesordnung sind. Was Goethe auf seiner ersten
Italienreise bei den Südländern so sehr sympathisch erstaunte, daß sie nicht
ununterbrochen materielle oder metaphysische Zwecke des Lebens suchten,
sondern sich des Lebens an sich auf stille und oft lässige Weise freuen, ist hier
immer wieder von neuem dankbar zu empfinden. Die Menschen wollen hier
nicht zu viel, sie sind nicht ungeduldig. Nach der Arbeit oder zwischen der
Arbeit ein bißchen plaudern, Kaffee trinken, frisch rasiert und mit
gutgeputzten Schuhen zu flanieren, an seinem Haus, an seinen Kindern seine
gute Freude zu haben, ist den meisten genug. Alle Zustände des Behagens,
des Glücks sind mit dieser friedlichen Gelassenheit gemischt. Darum ist und
war es von je verhältnismäßig so leicht, dieses Land zu regieren, darum
brauchte Portugal so wenig Militär und benötigt die Regierung heute so wenig
Druck und Nachdruck, um Frieden und Ordnung zu bewahren. Das
Zusammenleben im Staat ergibt sich hier mit unendlich viel weniger Haß von
Gruppe zu Gruppe und Klasse zu Klasse dank dieser ihnen immanent
innewohnenden Friedlichkeit und Neidlosigkeit.
Im wirtschaftlichen, im erfolgstechnischen Sinne mag dieser Mangel an
Impetus, dieses Nicht-gierigsein, Nicht-ungeduldigsein, das an sich
individuell für mich eine der schönsten Tugenden des Brasilianers darstellt,
ein gewisses Manko sein. Mit Europa oder mit Nordamerika verglichen,
bleibt im Tempo die kollektive Arbeitsleistung des ganzen Landes stark
zurück, und schon vor vierhundert Jahren hat Anchieta den hemmenden
Einfluß verzeichnet, den die erschlaffende Wirkung des Klimas
notwendigerweise ausüben muß. Aber man kann diese Minderleistung
keineswegs Trägheit nennen. An sich ist der Brasilianer ein ausgezeichneter
Arbeiter. Er ist anstellig, schafft und begreift rasch. Man kann ihn zu allem
heranbilden, und die aus Deutschland herübergekommenen Emigranten, die
neue und oft komplizierte Industrien ins Land übertragen, rühmen
einstimmig, mit welcher Wendigkeit und welchem Interesse sich die
einfachsten Arbeiter auf neue Formen der Produktion umzustellen wissen. Im
Kunsthandwerk zeigen die Frauen viel Geschick und in den Wissenschaften
die Studenten regstes Interesse, und es wäre ungerecht im höchsten Maße, den
brasilianischen Handwerker oder Arbeiter minderwertig zu nennen. In São
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197