Seite - 109 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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neue Aristokratie des Reichtums, weil sie großenteils selbst vermögend sind
und hier die Unterschiede viel unmerklicher als bei uns ineinanderfließen.
Das Brasilianische kennt nicht das Exklusive – dies seine eigentliche Kraft –
und wie in der rassenmäßigen, so ist auch in der sozialen Schichtung der
Assimilationsprozeß ein ständiger. Alle Tradition, alle Vergangenheit ist hier
zu kurzfristig, als daß sie sich nicht willig und leicht in die neuen und erst
werdenden Formen des Brasilianischen auflöste.
Auf diesen beiden Gruppen ruht, da die unterste Masse durch
Analphabetismus und räumliche Isolierung an der Herausformung einer
typisch brasilianischen Kultur noch nicht teilnimmt, sowohl im produktiven
als auch im aufnehmenden Sinne der ganze individuelle Anteil Brasiliens an
der Weltkultur. Um diese spezifische Leistung gerecht einzuschätzen, darf
nicht vergessen werden, daß das ganze geistige Leben dieser Nation kaum
viel mehr als hundert Jahre umfaßt und daß in den dreihundert kolonialen
Jahren vordem jede Form des kulturellen Auftriebs systematisch unterdrückt
worden war. Bis 1800 ist in diesem Land, das keine Zeitung und kein
literarisches Werk drucken darf, das Buch eine Kostbarkeit, eine Rarität und
außerdem meist eine Überflüssigkeit, denn man schätzt eher zu hoch als zu
tief, wenn man annimmt, daß um 1800 unter hundert Menschen
neunundneunzig Analphabeten einem einzigen gegenüberstanden, der lesen
und schreiben konnte. Zuerst waren es noch die Jesuiten, die in ihren
Colégios den Unterricht besorgten, bei dem sie selbstverständlich die
Unterweisung in der Religion jeder Form der universellen und
zeitgenössischen Bildung voranstellten. Mit ihrer Austreibung 1765 entsteht
ein völliges Vakuum im öffentlichen Unterricht. Weder Staat noch Stadt
denken daran, Schulen einzurichten. Eine besondere Steuer auf Lebensmittel
und Getränke, die 1772 der Marquis de Pombal anordnet, um von diesem
Ertrage Elementarschulen zu eröffnen, bleibt bloßes papiernes Dekret. Mit
dem flüchtenden portugiesischen Hofe kommt 1808 die erste wirkliche
Bibliothek ins Land, und um nach außen hin seiner Residenzstadt einen
gewissen kulturellen Glanz zu geben, läßt der König Gelehrte
herüberkommen und gründet Akademien und eine Kunstschule. Aber damit
ist nicht viel mehr als eine dünngestrichene Fassade geschaffen; noch immer
geschieht nichts Großzügiges, um systematisch die großen Massen in das
doch recht bescheidene Geheimnis des Lesens, Schreibens und Rechnens
einzuführen. Erst unter dem Kaiserreich beginnt man 1823
herumzuprojektieren, daß cada villa ou cidade tenha uma escola pública,
cada província um liceu, e que se estabeleçam universidades nos mais
apropriados locais. Aber es dauert noch vier Jahre, bis 1827 gesetzlich
wenigstens die Minimalforderung festgelegt wird, in jeder größeren Ortschaft
müsse eine Elementarschule vorhanden sein. Damit ist endlich der
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197